# taz.de -- Death Metal mit Cannibal Corpse: Die Krach gewordene Negation
       
       > Cannibal Corpse sind berüchtigt für heftigen Metal. Dabei geht es der
       > US-Band überhaupt nicht um Gewalt, Hass, Verstümmelung oder überhaupt
       > Musik.
       
 (IMG) Bild: Die Band Cannibal Corpse bei einem Auftritt in Polen im August 2022
       
       Sonderlich weit her ist es diesmal nicht mit der Faszination des Bösen.
       Wahrscheinlich liegt’s am Wetter, das insgesamt nicht gut ist für solche
       Kopfsachen. Vor der Bühne ist es zu heiß und dermaßen staubig, dass einem
       das Bier im Plastikbecher verschlammt. Außerdem war es natürlich eine bloße
       Unterstellung, dass all die sonnenverbrannten und anstrengend aufgedrehten
       Menschen gar nicht wegen der Musik, sondern wegen des Bösen hier wären –
       nur weil da oben Cannibal Corpse spielen.
       
       Zu Gast ist die US-amerikanische Death-Metal-Legende auf dem
       [1][Reload-Festival bei Sulingen], weit draußen im niedersächsischen
       Nirgendwo.
       
       Und obwohl die berüchtigte Band zu den bekanntesten und dienstältesten im
       Line-up zählt, sind die Publikumsmagneten doch andere. Cannibal Corpse
       spielen schon am Freitagnachmittag, was erstens nicht gerade ein
       Premiumplatz ist und zweitens auch ein sonderbares Setting für die
       Gewaltorgie stiftet: Hier und da sitzen noch Kleinkinder auf Schultern, mit
       „Mickymäusen“ zum Schutz der Ohren. Eingeladen vom Veranstalter, flanieren
       auch diverse Anwohner:innen des Festivals über das Gelände:
       „Zivilisten“, wie an der Pommesbude einer schnaubt.
       
       Und während diese Normalmenschen sich noch neugierig lächelnd über das
       unverständliche Gegrunze und die heute extrabrachial abgelieferte
       Krawallmusik amüsieren, macht „Sänger“ George „Corpsegrinder“ Fisher auf
       der Bühne seinen ältesten und schlechtesten Witz: Einen „Song für die
       Ladys“ kündigt er an – und die Band brettert den Corpse-Klassiker „Fucked
       with a Knife“ runter, eine Vergewaltigungs- und Mordfantasie, an der so
       ziemlich alles unerträglich ist und die gerade darum auch als mustergültig
       für das Corpse’sche Œuvre gelten muss.
       
       ## Kein Unterschied bemerkbar
       
       Wobei: Ganz richtig ist das nicht, denn anders als die heutige Zugabe
       „Hammer Smashed Face“ stand das Messerlied immerhin auch früher nicht auf
       dem Index.
       
       Cannibal Corpse haben immer an ihrer Außenwirkung gearbeitet: Entsetzliche
       Lieder noch schlimmer anzusagen ist das eine; bemerkenswert clever war
       früher aber die Gegenrichtung, nämlich in Deutschland verbotene Lieder bei
       Konzerten einfach gar nicht mehr anzusagen – wohl wissend, dass auch
       geschulte Zensor:innen und Ordnungskräfte im Zweifel sowieso keinen
       Unterschied verstehen.
       
       Aufregen mag sich hier keine:r. Die einen spielen mit, die anderen gehen
       halt weg. Oder man findet irgendwo dazwischen ins Nirwana, weil nur
       ausgewiesene Unmenschen so ein Konzert durchstehen, ohne ganz grundsätzlich
       auf Distanz zu gehen: zur Musik, zum Publikum und eben zu sich selbst.
       Cannibal Corpse ist die Krach gewordene Negation von … einfach allem.
       
       Keine Ahnung, ob die Band davon weiß. Dafür spräche mindestens das
       XXXL-Shirt des Corpsegrinders, das inmitten psychedelisch wabernder
       Salzränder sein eigenes Konterfei zeigt. Womit bewiesen wäre: Es geht bei
       Cannibal Corpse nicht um Gewalt, Hass, Verstümmelung oder gar Musik,
       sondern ausschließlich um eins: um Cannibal Corpse nämlich.
       
       27 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.reload-festival.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan-Paul Koopmann
       
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