# taz.de -- Konzert von Wolvennest und E-L-R: Selbst die Blumen sind tot
       
       > Im Berliner Privatclub beweisen Wolvennest und E-L-R, wie Teufelszeug,
       > Hokuspokus und Brachialmusik heutzutage für Ruhe sorgen können.
       
 (IMG) Bild: Irgendwo zwischen Konzert und Ritual: Auftritt von E-L-R im Kerzenlicht
       
       Auf den äußeren Schein soll man im Allgemeinen ja nicht viel geben. Dass in
       diesem speziellen Fall martialisch ausstaffierte Metalheads ganz knuffige
       Gestalten sind, zählt längst auch zur Allgemeinbildung. Es ist ein Klischee
       – und trotzdem oft wahr. Aber Knuffiges ist nun mal rar dieser Tage, und
       darum erwischt es einen dann doch kalt (beziehungsweise warm), wenn man es
       über die Kreuzberger Schlachtfelder des Nahost-Konflikts in den Privatclub
       geschafft hat, wo [1][Wolvennest aus Belgien] spielen.
       
       Hier trägt man Schwarz. Jacken, Hosen und Gürteltaschen sind mit
       unleserlichen Band-Patches bestickt und die meisten haben finster bedruckte
       T-Shirts an: Pentagramme, Teufelsfratzen, Leichen – so was halt. Die Füße
       stehen still, dafür wippt man umso entschlossener mit dem Kopf und lächelt
       grimmig, weil es eben gut tut, wenn etwas dermaßen dicht dröhnt.
       
       Ansagen und Klatschpausen zwischen den Songs bleiben die Ausnahme, dafür
       zieht sich der wogende Soundteppich umso bruchloser durch die Setlist und
       bis in den Körper. Metaphorische Textbrocken tun ihr Übriges und zum
       Schluss verdichtet sich das Ganze zu einem klebrigen Gelee aus Weltschmerz,
       Tod und Teufel: ein Ritual, das niemandem mehr erklärt werden muss, weil eh
       alle wissen, wie es geht.
       
       ## Hintertür zur Hölle
       
       Und ausgerechnet hier – an der Hintertür des Pandämoniums – stellt sich
       schließlich so was wie der erste „Endlich normale Leute“-Moment der ganzen
       Woche ein: inmitten wirklich großer Fragen von Selbstaufgabe bis
       Seelenbrand, die bei (Kerzen-)licht betrachtet, kein bisschen irrer sind
       als der weltanschauliche Politwahnsinn draußen vor der Tür.
       
       Die Metalszene redet gemeinhin nicht gerne über Politik. Auch das ist eins
       jener wahren Klischees, über die sich sonst trefflich streiten lässt. Aber
       heute und angesichts der Weltlage wollen wir ihr den Gefallen mal tun.
       
       Also Musik. Wolvennest gehören zur nochmal extra finsteren Sparte
       untergangsaffiner Rockmusik. Formal zwar irgendwo im Black Metal wurzelnd,
       machen sie es einem mit der Genrebestimmung gar nicht so leicht. Das
       gattungsübliche infernalische Kreischkrächzen kommt (fast) nicht vor, und
       auch die erwartbaren geschrabbelten Soundteppiche werden hier wie Gummi
       gedehnt, mit einer doomigen Ambiente-Note und psychedelischen Spielereien,
       die man fast Krautrock nennen könnte. Nur dass halt wer ’nen
       Schwarzweißfilter über das Panorama gezogen hat.
       
       Vor allem Sängerin Sharon „Shazzula“ Schievers stiftet der Melange eine
       sphärische Grundstimmung: ungewöhnlich, aber doch sonderbar passgenau.
       „Atmospheric Sludge“ trägt man der Band gelegentlich als Etikett nach –
       aber wer damit was anfangen kann, dem oder der ist hier eh nicht mehr zu
       helfen.
       
       ## Weiblich gelesene Metalheads
       
       Apropos Sängerin: [2][Supportact E-L-R] aus der Schweiz hat mit Bassistin
       I.R. und Gitarristin S.M. gleich zwei Frauen, beziehungsweise weiblich
       gelesene Metalheads, auf der Bühne. Auch hier liegt Ritualismus in der
       Luft. Von der Decke baumelt ein Kranz getrockneter Pflanzen (ja, selbst die
       Blumen sind tot), mit denen es bestimmt irgendeine okkulte Bewandtnis hat,
       die mir nur leider gerade nicht einfallen will. Die Bässe treiben einen
       jedenfalls voran, auch wenn die Sache vielleicht ein bisschen zu
       selbstsicher ins Repetitive mäandert. Für zwei, drei Songs gelingt ihnen
       das außerordentlich gut – vielleicht sogar besser als dem Hauptact –, aber
       dann ist doch einen Tacken zu schnell zu klar, wo die Reise hingeht, um so
       richtig reinzukommen.
       
       Andererseits: Was soll’s? Transzendenz ist bekanntlich ohnehin eher eine
       Sache der Breite als der geraden Linie. Und das Gesamtbild ist zumindest
       atmosphärisch dicht und wird von E-L-R auch hinreichend souverän
       runtergeknüppelt.
       
       Wir ziehen uns trotzdem irgendwann an die Bar zurück, wo es immer noch laut
       genug ist und trotzdem der Abstand reicht zum Intifada-Wahnsinn draußen auf
       der Straße. Man kann das Eskapismus schimpfen und hätte wohl auch recht
       damit. Aber wir wollten heute ja eigentlich nicht mehr über Politik reden.
       
       14 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.discogs.com/de/artist/4930766-Wolvennest
 (DIR) [2] https://www.e-l-r.band/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan-Paul Koopmann
       
       ## TAGS
       
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