# taz.de -- Autorität in der Erziehung: Tanzt mir doch auf der Nase rum
       
       > Viele Erwachsene können sich nicht damit abfinden, dass Kinder so viel
       > wert sind wie sie. Den Machtanspruch loszuwerden ist nicht einfach.
       
 (IMG) Bild: Kinder, heute gibt es „falsche“ Spaghetti!
       
       Manchmal ist man dem Kind unterlegen. Weil Kinder nicht immer kooperativ
       sind. Weil Kinder nicht verstehen, was es heißt, dass gleich ein Meeting
       beginnt. Oder dass Eltern auch mal aufs Klo müssen. Weil Kinder an einem
       Tag Spaghetti lieben und am nächsten einen Nervenzusammenbruch haben, weil
       die gleichen Nudeln plötzlich „falsch aussehen“.
       
       Mit Argumenten ist da nichts zu machen. Man hat die Wahl, sich entweder
       nach dem Kind zu richten und zu spät zu kommen, das Kind aufs Klo
       mitzunehmen und es zu fragen, was es denn lieber essen würde als Spaghetti.
       Oder man pocht auf seine Autorität, sagt Dinge wie: „Du musst“, „Hör jetzt
       auf“ oder „Das passiert jetzt so, weil ich es sage“.
       
       Autoritäres Verhalten hat mehr mit einem selbst zu tun, mit den eigenen
       Gefühlen und Unzulänglichkeiten, als mit dem Gegenüber. Es ist der Versuch,
       eine andere Person zu kontrollieren. Jeder von uns hat Tage, da läuft es
       nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. Wenn uns dann noch jemand
       anbrüllt und unter Druck setzt, wird es davon sicher nicht besser.
       
       Aber in unserer Gesellschaft ist tief verankert, dass Kinder weniger wert
       sind als Erwachsene. Dass ihre Gefühle und Meinungen nicht valide sind. Und
       dass man „durchgreifen“ muss, sonst tanzen sie einem „auf der Nase herum“.
       
       ## Missouri hat die Prügelstrafe wieder eingeführt
       
       Als Erwachsene diesen Machtanspruch loszuwerden, den man so in keiner
       anderen zwischenmenschlichen Beziehung erheben würde, ist viel Arbeit.
       Manchmal rutscht mir immer noch ein „Weil ich es sage“ raus. Einatmen,
       ausatmen. Verbindung zum Kind suchen. Sich von anderen Menschen, die einen
       beobachten, nicht beeinflussen lassen.
       
       In einer Kleinstadt [1][im US-Bundesstaat Missouri wurde gerade die
       Prügelstrafe in Schulen wieder eingeführt]. Mit Einverständnis der Eltern
       soll mit einem Holzpaddel geprügelt werden, wenn Alternativen ausgeschöpft
       seien. Das dürfe keine Verletzungen oder körperlichen Schäden verursachen.
       An die seelischen Verletzungen denkt dort niemand. Leider gibt es immer
       Erwachsene, die sagen, das habe ihnen selbst ja auch nicht geschadet. Was
       natürlich nicht stimmt. Irgendwo in ihnen drin sitzt ein kleines,
       zusammengekauertes Kind, das Rotz und Wasser heult. Doch wenn sie das
       zugeben würden, müssten sie sich damit auseinandersetzen, wie schlecht
       jemand, den sie liebten, sie behandelt hat.
       
       Manchmal denke ich daran, wie viele Menschen ich kenne, die über 50 sind
       und als Kind geschlagen wurden. Kinder, die unter eiskaltes Wasser gestellt
       wurden, wenn sie geweint haben, die mit Ohrfeigen zum Essen gezwungen oder
       dem Gürtel verdroschen wurden. Manchmal denke ich daran, wenn meine Kinder
       nicht tun, was ich gerne hätte, und freue mich über ihre angstfreien,
       unverwundeten Kinderseelen. Dann komme ich zu spät zum Meeting. Nehme das
       Kind mit aufs Klo. Oder gehe in die Küche und koche die „richtigen“ Nudeln.
       
       29 Aug 2022
       
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