# taz.de -- Fischsterben in der Oder: Die Natur soll schuld sein > Die Gefahr sei gebannt, ist Polens Premier Morawiecki überzeugt. Er > verkündete, dass das Fischsterben eine natürliche Ursache hatte. (IMG) Bild: Das Fischsterben im deutsch-polnischen Grenzfluss Oder setzt sich fort WARSCHAU taz | Am polnischen Ufer der Oder sitzen bereits wieder die ersten Angler und warten darauf, dass ein Zander oder Hecht anbeißt. Vor ein paar Tagen trieben hier noch zehntausende tote Fische vorbei. Bis heute sind von Breslau bis zum Stettiner Haff weit über 200 Tonnen Tierkadaver geborgen worden. Für Polens Premier Mateusz Morawiecki von der nationalpopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ist die Gefahr inzwischen gebannt. Hatte er vor zwei Wochen noch von der „Vergiftung der Oder“ gesprochen und ein hohes Preisgeld für die Ergreifung des Täters ausgelobt, so verkündet er seit Donnerstag ganz offiziell, dass das [1][massenhafte Fischsterben] auf eine „natürliche Ursache“ zurückzuführen sei. Jaroslaw Obremski, der Verwaltungschef von Niederschlesien, gab denn auch schon den Anglern grünes Licht für ihr „Freizeitvergnügen“. Nur sollten sie die gefangenen Fische nicht zubereiten und essen, sondern wieder zurück in die Oder werfen. Das sei eine reine Vorsichtsmaßnahme, denn das Wasser der Oder sei wieder so sauber wie vor der Ökokatastrophe. Zwar gebe es noch ein paar Altarme der Oder und auch den mit den Oder verbundenen Bajkał-See, eine ehemalige Kiesgrube bei Breslau, in denen immer noch tote Fische aus dem Wasser gezogen werden müssten, doch auch dort verbessere sich die Wasserqualität nach und nach, erklärte der Wojewode. Auf die erhöhten Salzwerte in der Oder, die das massenhafte Wachsen einer für Fische giftigen Algenart begünstigten, ging Obremski nicht ein. ## PiS-Politiker: „Deutsche Fakenews“ Zuvor hatten PiS-Politiker immer wieder die „deutsche Fakenews“ von der angeblichen „Quecksilbervergiftung der Oder“ herausgestellt und dann beruhigt, dass polnische Forscher in den Wasser- und Tierproben kein Quecksilber gefunden hätten. Die Deutschen und die Opposition in Polen hätten die Quecksilberlüge in die Welt gesetzt, um der PiS-Regierung zu schaden. Polens Umweltministerin Anna Moskwa, die weder den polnischen Premier rechtzeitig von der Umweltkatastrophe informiert hatte, noch auch die deutschen Partner – die Oder ist über mehrere hundert Kilometer ein deutsch-polnischer Grenzfluss, versprach zwar eine bessere Kommunikation, attackierte dann aber „die Deutschen“ über Twitter. Denn während aus deutschen Laboren erste Untersuchungsergebnisse und neue Thesen zum Fischsterben an der Oder bekannt gegeben wurden, hörte man aus polnischen Laboren entweder gar nichts oder aber, dass „weder Quecksilber“ im Oderwasser nachgewiesen werden konnte, noch auch „andere Schwermetalle“. ## Immerhin: Hoher Salzgehalt als Ursache bestätigt Immerhin wurde der hohe Salzgehalt in der Oder, den die deutschen Umweltchemiker als eine weitere Ursache für die Katastrophe benannten, bestätigt, doch dabei blieb es dann auch. Kritische Journalisten publizierten dann, dass zahlreiche polnische Unternehmen schon seit Jahren ihre Abwässer oft ungeklärt und illegal, aber auch mit Genehmigung der Behörden in die Oder einleiten. Doch der PiS- Staat sah sich außerstande, unter diesen Umweltsündern einen oder mehrere Schuldige auszumachen. Vielleicht auch, um das Versagen von PiS-Behörden und PiS-Politikern zu vertuschen. Ohne die massenhafte Blüte der [2][giftigen Alge] wäre der hohe Salzgehalt in der Oder nicht weiter aufgefallen. Sie aber ist nun die willkommene Erklärung für die „natürliche Ursache“ des Massensterbens der Fische. ## Automatisiertes Fluss-Monitoring wäre notwendig So konnte Premier Morawiecki behaupten, dass „immer mehr darauf hinweist, dass dieses Ereignis einen natürlichen Charakter hat.“ Obwohl die breit publizierte Faktenlage eine andere ist, sagte er: „Es gab keine größeren Einleitungen chemischer Substanzen – weder von Quecksilber noch von anderen Chemikalien, mit denen man uns erschreckt hat. Sauerstoffmangel hatte es auch früher schon in Flüssen gegeben.“ Dabei war im oberen Oderlauf nicht fehlender Sauerstoff festgestellt worden, sondern ganz im Gegenteil eine relativ hohe Sauerstoffkonzentration, die auf die Photosynthese der in salzhaltigem Wasser rasch wachsenden Algenblüte zurückzuführen war. Um eine ähnliche Öko-Katastrophe in Zukunft zu vermeiden, wäre ein regelmäßiges und möglichst automatisiertes Fluss-Monitoring notwendig, wie Prof. Andrzej Woznica von der Schlesischen Universität in Kattowitz empfiehlt. Zwar will nun Umweltministerin Moskwa umgerechnet 53 Millionen Euro für die Digitalisierung des polnischen Fluss-Kontrollsystems ausgeben, doch bislang gibt es an den Flüssen keine Messstationen, die alle paar Stunden oder Minuten die sich ändernde Wasserqualität überprüfen würden. „Die sind sehr teuer“, so Prof. Woznica, „sie kosten über zehn Millionen Euro pro Stück. Dazu kommen noch die Kosten für den Chemiker, der die Ergebnisse regelmäßig auswerten muss. Die Deutschen haben drei davon. Wir keine einzige.“ 29 Aug 2022 ## LINKS (DIR) [1] /Fischsterben-an-der-Oder/!5873259 (DIR) [2] /Fischsterben-in-der-Oder/!5875609 ## AUTOREN (DIR) Gabriele Lesser ## TAGS (DIR) Oder (Fluss) (DIR) Fischsterben (DIR) Polen (DIR) Oder (Fluss) (DIR) Fischsterben (DIR) Fischsterben (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine (DIR) Fischsterben (DIR) Kolumne Fernsicht (DIR) Oder (Fluss) ## ARTIKEL ZUM THEMA (DIR) Klage deutscher Umweltverbände: Gericht in Polen stoppt Oder-Ausbau Der gerichtlich angeordnete Stopp des Oder-Ausbaus ist ein Erfolg für deutsche Umweltverbände. Doch die einstweilige Verfügung kann gekippt werden. (DIR) Untersuchungsberichte zum Fischsterben: Gift in der Oder Polen und Deutschland legen eigene Berichte zum Fischsterben vor – mit unterschiedlichen Ergebnissen. Das liegt auch an den Wahlen im Nachbarland. (DIR) Ursache noch ungeklärt: Neues Fischsterben in der Oder In einem Seitenarm der Oder treiben erneut tote Fische. In Polen gibt es ähnliche Meldungen. Die Ursache ist bisher ungeklärt. (DIR) Grundsatzrede von Bundeskanzler Scholz: Kandidatenländer sollen in die EU Olaf Scholz erklärt, wie sich die „Zeitenwende“ auf die EU auswirkt. Angesichts des Kriegs in der Ukraine fordert er weitgehende Reformen. (DIR) Fischsterben an der Oder: Jahre zur Erholung nötig Experten zeigen sich optimistisch nach dem Fischsterben. Polnische und deutsche Behörden suchen jetzt nach der Ursache für den hohen Salzgehalt. (DIR) Fischsterben in der Oder: Intransparenz und Verharmlosung Zu spät und zu spärlich klärte die Regierung in Warschau über die Verseuchung der Oder auf. Für das deutsch-polnische Verhältnis ist das verheerend. (DIR) Fragen und Antworten zum Fischsterben: Was, wann, Fluss? Das Fischsterben in der Oder ist eine Umweltkatastrophe. Eine Übersicht zum Stand der Dinge.