# taz.de -- Notfallversorgung in Berlin: Rettungsdienst braucht langen Atem
       
       > Expertenanhörung im Innenausschuss zur Überlastung des Rettungsdienstes.
       > Innensenatorin kündigt Runden Tisch an.
       
 (IMG) Bild: Rasante Fahrt
       
       BERLIN taz | Die Lage beim Rettungsdienst der Feuerwehr ist dramatisch –
       die Vertreter der Berufsverbände von Feuerwehr und Arbeitsgemeinschaft der
       Notärzte ließen daran am Montag im Innenausschuss keinen Zweifel.
       
       Die FDP hatte die Anhörung beantragt. Hinter der Berliner Feuerwehr liege
       ein heißer Sommer, sagte Björn Jotzo, innenpolitischer Sprecher der
       Freidemokraten. Nach wie vor herrsche fast jeden Tag Ausnahmezustand.
       Ausnahmezustand ist, wenn die Rettungswagen zu 80 Prozent ausgelastet sind
       und die vorgegebene Eintreffzeit beim Patienten von 10 Minuten kaum
       einzuhalten ist.
       
       [1][Das Thema beschäftigt die Stadt nicht erst seit gestern]. Nachdem es
       einer von der Feuerwehrführung im Herbst 2021 eingesetzten Taskforce nicht
       gelungen war, fundierte Lösungsvorschläge zu präsentieren, hatte
       Innensenatorin Iris Spranger (SPD) im Juli eine Steuerungsgruppe in der
       Innenverwaltung eingesetzt. Diese hatte ein 20 Vorschläge umfassendes
       Maßnahmenpaket erarbeitet.
       
       Dazu gehört, dass Patienten, die wegen leichterer Symptome über den Notruf
       112 die Feuerwehr alarmieren, künftig nicht mehr automatisch von einem
       Rettungswagen abgeholt werden sollen. Für solche Fälle sei der ärztliche
       Bereitschaftsdienst der Kassenärzte zuständig, teilte Spranger mit. 14
       sogenannte Codes seien geändert worden, sie betreffen geringfügige
       Verbrennungen, ungefährliche Blutungen oder leichte Bauchschmerzen.
       
       ## Eine Million Anrufe im Jahr
       
       Das Paradoxe: Rund eine Millionen Berliner rufen pro Jahr bei der Nummer
       112 um Hilfe. Die Zahl der Anrufe ist seit 2006 konstant, die Zahl der
       Rettungswageneinsätze hingegen ist um 60 Prozent gestiegen – weil die
       Anrufer immer dringlicher darauf bestünden.
       
       „Warum rufen eine Million bei uns an?“ Es war der stellvertretende
       Bundesvorsitzende der Deutschen Feuerwehrgewerkschaft, Lars Wieg, der diese
       Frage am Montag bei der Anhörung in den Raum stellte.
       
       Oliver Mertens, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und
       Brandoberinspektor, gab die Antwort: Viele Bürger hätten erkannt, dass
       Rettungswagen heutzutage der schnellste Weg seien, um im Krankenhaus eine
       Untersuchung und eine Diagnose zu bekommen, auch ein MRT oder CT
       (Magnetresonanztomografie oder Computertomografie). Normale Menschen
       müssten vier Monate und länger auf einen solchen Untersuchungstermin
       warten.
       
       Das Gesundheitssystem, so Mertens’ Fazit, sei vollkommen überlastet. Der
       Vorsitzende der Bundesvereinigung der Notärzte Deutschlands, Florian
       Reifferscheid, bestätigte das. Die Probleme im Rettungsdienstwesen seien
       Teil eines ganzheitlichen Problems, so Reifferscheid bei der Anhörung.
       
       ## Selbsthilfefähigkeit starken
       
       Die Statements der Vertreter der Berufsverbände seien eindrucksvoll, aber
       nicht neu, konstatierte Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der
       Linken. [2][Personalmangel, Pflegenotstand, Unterausstattung], all das
       gehöre zu der Problematik. Um die von den Berufsverbänden geforderte
       Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung zu stärken, müsse auch der Ausbau der
       Notfallpraxen vorangetrieben werden.
       
       [3][Innensenatorin Spranger] kündigte einen Runden Tisch unter Teilname der
       der Senatsverwaltungen für Gesundheit, Finanzen und Stadtwicklung an. Sie
       wolle schnellstmöglich Lösungen für den Rettungsdienst finden, teile aber
       auch die Diagnose des ganzheitlichen Problems. Vasili Franco,
       innenpolitischer Sprecher der Grünen, sagte, neues Personal wachse nicht
       auf den Bäumen. Die Beschäftigten bräuchten einen langen Atem. Man habe
       schon seit Jahren einen langen Atem, erwiderte Mertens.
       
       5 Sep 2022
       
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