# taz.de -- Gas aus Afrika für Europa: Alternative zu Russland
       
       > Begehrlich schaut Europa auf Gasvorkommen im Senegal. Vor Ort schürt das
       > Hoffnung auf Arbeitsplätze, aber auch den Widerstand von Klimaaktivisten.
       
 (IMG) Bild: Proteste für mehr Klimaschutz in Dakar 2021
       
       COTONOU taz | Yero Sarr schwankt zwischen Wut und Ratlosigkeit. Sein
       Heimatland Senegal könnte künftig eine Rolle bei der deutschen
       Gasversorgung spielen. Das klingt nach Investitionen, Arbeitsplätzen und
       Perspektiven. Gerade in Senegal gibt es gut ausgebildete
       Hochschulabsolvent*innen, doch es mangelt an Jobs. Verschiedenen
       Schätzungen zufolge müssten jährlich 150.000 bis 200.000 neue entstehen, um
       die Arbeitslosigkeit wirksam einzudämmen. Diese ist laut einer Befragung
       von Afrobarometer von Ende 2021, einem Meinungsforschungsinstitut mit Sitz
       in Ghana, auch das Hauptproblem, das die Regierung von Präsident Macky Sall
       dringend bekämpfen muss. Ausländische Investitionen gelten dabei als hoch
       willkommen.
       
       „Es ist allerdings höchst bedauerlich, dass man in Zeiten des Klimawandels
       auf fossile Energieträger schaut“, sagt Sarr, der in der Hauptstadt Dakar
       im Rahmen von Fridays for Future Proteste organisiert. „Es kann doch nicht
       sein, dass man in Europa erneuerbare Energien fördert und von uns fordert,
       Öl und Gas zu liefern“, sagt er im Gespräch mit der taz. Denn vor der Küste
       Senegals und Mauretaniens ist das Megaprojekt Grande Tortue Ahmeyim (GTA)
       geplant.
       
       Entstehen soll bis Ende 2023 ein Terminal für Flüssiggas, der eine Laufzeit
       von 20 Jahren hat. Nach Schätzungen der Deutschen Umwelthilfe haben die
       Gasfelder ein Produktionspotenzial von 425 Milliarden Kubikmetern. Mitunter
       werden die Reserven auf bis zu 1.400 Milliarden Kubikmeter geschätzt.
       Betreiber und Hauptinvestor BP geht von einer jährlichen Produktion von
       rund 2,5 Millionen Tonnen Flüssiggas aus. Entdeckt wurde das Vorkommen
       2015.
       
       Während seiner ersten Afrikareise hatte Bundeskanzler Olaf Scholz Ende Mai
       in Dakar gesagt, man habe begonnen, sich über eine Zusammenarbeit bei der
       Förderung von Flüssiggas auszutauschen. Es sei sinnvoll, solche
       Kooperationen „intensiv zu verfolgen“. Das liegt auch daran, dass Senegal
       in einer Region, die in den vergangenen zwei Jahren vier Staatsstreiche
       erlebt habt, als politisch stabiles Land und verlässlicher Partner gilt,
       auch wenn Präsident Sall den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nicht
       verurteilt hat.
       
       ## Nationalparks, Riffe und Vogelrastplätze in der Nähe
       
       Das Flüssiggas-Terminal soll 10 Kilometer von der Küste entfernt in Höhe
       der Stadt Saint Louis entstehen, deren Kern zum Unesco-Weltkulturerbe
       gehört und ein beliebter Ausflugsort ist. Die Region ist jährlich
       Zwischenstopp für Millionen von Zugvögeln zwischen Afrika und Europa. In
       der Nähe befinden sich die Nationalparks Langue de Barbarie und Djoudj
       sowie das Reservat Guembuel.
       
       Die Gasreserven liegen in einer Tiefe von rund 2.800 Metern. Die Deutsche
       Umwelthilfe befürchtet durch ihre Erschließung eine Schädigung des größten
       Kaltwasserkorallenriffs der Welt. Das 580 Kilometer lange Riff liege rund
       500 Meter unterhalb der Atlantikoberfläche vor den Küsten Senegals und
       hauptsächlich Mauretaniens. Die durch Pipelines aufgewirbelten Sedimente
       könnten die Korallen zerstören. Auch Aktivist Sarr betont: Ein solches
       Projekt birgt ein großes Risiko für das Meer. „Sind Systeme erst zerstört,
       gibt es keine Alternativen mehr.“
       
       Unklar ist auch, welche Auswirkungen Grande Tortue Ahmeyim auf die
       Fischerei hat, die bis heute Haupteinnahmequelle vieler
       Senegales*innen ist. Schon jetzt leiden viele unter der Überfischung
       der Meere sowie internationalen Fischereiabkommen. Sie haben von den Deals,
       die Investitionen im Land versprochen haben, nicht profitiert, im
       Gegenteil.
       
       Kein Widerspruch zum Klimaschutz 
       
       Generell bringen Großprojekte nur selten die erhofften Arbeitsplätze für
       die Bewohner*innen vor Ort. Das hat in der 50.000 Einwohner:innen
       zählenden Stadt Bargny in der Nähe von Dakar das Kohlekraftwerk gezeigt. In
       ganz Westafrika finden sich weitere Beispiele. Am bekanntesten ist die
       Ölförderung im Nigerdelta im Südosten Nigerias, unter der viele Menschen
       leiden, anstatt zu profitieren.
       
       Deutschland ist nicht das einzige Land, das mehr Gas vom afrikanischen
       Kontinent importieren möchte. Ende August bestätigte das französische
       Energieministerium Gespräche zwischen dem algerischen Unternehmen Sonatrach
       und dem französischen Konzern Engie – kurz nachdem Präsident Emmanuel
       Macron Algerien besucht hatte. Die Rede ist von einer Erhöhung der
       Gasimporte um 50 Prozent. Schon jetzt ist Algerien Europas drittgrößter
       Gaslieferant. Italien hatte bereits im April Verträge mit Angola, Ägypten,
       Kongo und Kongo-Brazzaville unterzeichnet.
       
       Die Europäische Union interessiert sich derweil für Nigeria, Afrikas
       größten Ölexporteur. Ende Juli nannte Matthew Baldwin, stellvertretender
       Direktor der Energieabteilung der Europäischen Kommission, bei einem Besuch
       in der Hauptstadt Abuja Gas als „wichtige Übergangsenergie“. In einem
       Interview mit der Onlinezeitung Premium Times wird er deutlich: „Wir
       brauchen mehr Gas aus Nigeria als Ergebnis des schrecklichen
       Angriffskriegs, den Russland gegen die Ukraine führt.“ Für ihn sei es kein
       Widerspruch, nigerianische Bemühungen für die bessere Nutzung erneuerbarer
       Energien zu fördern und gleichzeitig mehr Gas zu beziehen.
       
       Gerade in Senegal steht die Rückkehr zu Gas und Co im Widerspruch zur
       eigenen Energiepolitik. Es gibt eine eigene Behörde für erneuerbare
       Energien, die betont: „Langfristig steigen die Preise für Kohle, Erdgas und
       Öl, und die Ressourcen werden erschöpft sein. Die Sonne ist hingegen eine
       nahezu unerschöpfliche Energiequelle.“ Bis 2025 soll 30 Prozent des Bedarfs
       durch erneuerbare Energien gedeckt werden. In der Gemeinde Taïba Ndiaye,
       gut 100 Kilometer nordöstlich von Dakar, ist 2020 einer der größten
       Windparks des Kontinents eingeweiht worden. Gern wird von einer
       senegalesischen Erfolgsgeschichte gesprochen.
       
       Yero Sarr sagt jedoch: „Es gibt keine klare Klimapolitik. Wir müssen uns
       fragen, welche Linie wir verfolgen und welche Positionen wir vertreten.“ Zu
       einer Debatte in der Bevölkerung führe die geplante Gasförderung aber
       nicht. Gerade an der Küste ist der Klimawandel zwar allgegenwärtig, weil
       die Strände immer schmaler werden. Häufig, sagt Sarr, fehle es aber an
       Informationen und an Interesse. Viele Menschen sind vor allem damit
       beschäftigt, wie sie bei steigenden Lebenshaltungskosten ihren Alltag
       bewältigen.
       
       19 Sep 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Gänsler
       
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