# taz.de -- Blick nach Osten im Steirischen Herbst: Ist Putin zerbrechlich?
       
       > Mit „Dem Krieg in der Ferne“ beschäftigt sich der Steirische Herbst in
       > Graz. Dabei werden auch Depots durchforstet aus der Zeit des
       > Austrofaschimus.
       
 (IMG) Bild: Ein weiter Weg in den Kreml: Still aus Ekaterina Muromtseva Video „A Tough Male Portrait“
       
       Dass ukrainische Künstler:Innen zusammen mit russischen ausstellen, ist
       nicht mehr selbstverständlich. [1][Ekaterina Degot] ist das zur 55. Ausgabe
       des Steirischen Herbstes jedoch gelungen. Die Intendantin des traditionell
       politischen Kunstfestivals in Graz kommt selbst aus Russland, ihr Land
       verließ sie vor langer Zeit. Schon im Sommer zeigte sie in einem Prolog zum
       Festival ukrainische und russische Filme.
       
       Seit Eröffnung des Steirischen Herbstes am 22. September sind auch Werke
       von Künstler:innen aus anderen Ländern – größtenteils aus dem
       postsowjetischen Raum – zu sehen. Sie alle widmen sich in Ausstellungen,
       Performances und Diskussionen dem „Krieg in der Ferne“, so lautet der Titel
       in diesem Jahr.
       
       Doch der Krieg ist näher, als wir im restlichen Europa es wahrhaben wollen.
       Das führt uns die Ukrainerin Zhanna Kadyrova gleich zu Beginn der
       Hauptausstellung in der Neuen Galerie vor Augen. Im Sommer sammelte sie in
       der Gegend um Kiew Trümmer von Zäunen und Dächern, die durch russische
       Luftangriffe herbeigeführt wurden. Nun stehen sie, minimalistisch zu weiß
       lackierten Quadern und Pyramiden geformt, vor dem Museumseingang. Vom
       Grauen, das wir nur in Medienbildern erleben, zeugen lediglich die Löcher
       in den Skulpturen ihrer Serie „Harmless War“.
       
       Für ihren Film „Undead“ kehrte die in Moskau lebende Georgierin Keti
       Chukhrov in ein verlassenes Haus nach Abchasien zurück, von wo aus sie
       einst floh. Dort, gemeinsam mit mehreren Schauspieler:Innen, befasst
       sie sich in ihrem poetisch-humoristischen Stück mit Einzelschicksalen in
       Folge des Georgisch-Abchasischen Krieges von 1992/93.
       
       Der Tschetschene Aslan Goisum lässt in seiner Videoarbeit, deren
       Bildästhetik an Historienmalerei erinnert, 21 Männer, Frauen und Kinder
       allesamt in einen Kleinwagen steigen. Zunächst steht er in der weiten
       Landschaft, dann fährt er los. Goisum erinnert an die Massenfluchten
       während der russisch-tschetschenischen Kriege in den Neunziger- und
       Nullerjahren.
       
       ## Ohnmacht und Trauer
       
       Flucht, das Auslöschen von Identitäten, Mobilmachung, Exil, Ohnmacht und
       Trauer werden auch in einer Reihe historischer Werke aus der Sammlung der
       Neuen Galerie thematisiert, [2][die Degot und ihr Team in einer klugen
       Ausstellung] mit den zeitgenössischen Arbeiten in einen Dialog bringen. Sie
       zeigen damit nicht nur auf, wie sich Geschichte wiederholt und dass auch
       der Krieg in der Ukraine in größeren historischen Zusammenhängen zu
       verstehen ist. Sie erkunden zudem, wie Ästhetik und politische Realität
       miteinander verzahnt sind.
       
       Denn so harmlos wie Kadyrovas Quader und Pyramiden, ihr ironisch zu
       verstehender Griff zu einer Formsprache des Minimalismus, ist die Kunst
       selten. „Kunst ist nie unschuldig“, wird gar im Wandtext behauptet. Als
       Beweis dient der Gobelin „Steirischer Herbst“ des Künstlers und
       NSDAP-Mitglieds Fritz Silberbauer. 1939, [3][ein Jahr nach dem „Anschluss“
       Österreichs] geschaffen, romantisiert er das bäuerliche Leben in der
       Steiermark. Gleich daneben steht eine goldfarbene Holzskulptur seines
       Parteifreunds Hans Mauracher: Zwei Männer tragen einen Stab mit Adler, an
       dem vorne eine nicht recht passen wollende Leier haftet – mit ihr wurde
       nach 1945 ein Hakenkreuz ersetzt.
       
       Werke der beiden Nazikünstler Silberbauer und Mauracher tauchen in einer
       Videoarbeit Assaf Grubers wieder auf: In „Never Come Back“ begibt sich ein
       nackter Mann ins Depot der Neuen Galerie, blickt durch die käfigartigen
       Aufhängungen der Kunstwerke und spielt auf dem Akkordeon die Melodie des
       französischen Achtzigerjahre-Hits „Voyage, voyage“, dessen Songtext von
       einem Kolonialismus durchzogen ist.
       
       Mit Gruber begibt sich die Ausstellung weiter auf die Suche nach Spuren
       musealer Gewalt in der Sammlung. Aus dem Depot wurden etwa Werke geholt,
       die einen exotisierenden Blick auf Menschen zeigen, andere als minderwertig
       konstruieren. Dem Gedanken folgend, dass das feindliche Gegenüber erst
       entmenschlicht werden muss, um Gräueltaten zu ermöglichen, malte die
       Ukrainerin Kateryna Lysovenko eine Reihe zarter Mensch-Tier-Chimären auf
       schwarzem, tiefblauem und blutrotem Grund. Gefesselt am Boden liegend
       erinnern sie an die Kriegsverbrechen, die russische Soldaten unter anderem
       in Butscha begangen haben.
       
       Die Russin Ekaterina Muromtseva hat für „A Tough Male Portrait“ einen
       Hobbymaler gefilmt, der leidenschaftlich ein großformatiges Porträt Putins
       anfertigt. Als Vorlage dient ihm eines jener Fotos, auf denen sich Putin
       als naturnaher Patriarch inszeniert. Oberkörperfrei kniet er vor einem Bach
       und lässt das Wasser durch die Finger rinnen. Mit seinem vollendeten Werk
       macht sich der Protagonist auf den Weg zum Kreml, um es Putin zum
       Geburtstag zu überreichen. Auf der Transportkiste, die er durch Moskau
       schiebt, steht groß und in rot „fragile“. Ist Putin angezählt? Bei aller
       Schwere bleibt die Kunst dieses Steirischen Herbstes humor- und auch
       hoffnungsvoll.
       
       30 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sabine Weier
       
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