# taz.de -- Twitteraccount vs. wütende Fans: Auf Herrn Baumgarts Eier
       
       > Der Twitteraccount „Collinas Erben“ zieht sich zurück – zu viele
       > Beleidigungen durch Fans. Das zeigt den schlechten Zustand des deutschen
       > Fußballs.
       
 (IMG) Bild: Fachgespräche in nicht immer sachlicher Atmosphäre: Köln-Trainer Steffen Baumgart (mit Mütze)
       
       In diesem Sommer erhielt Mario Wiggert, Jugendtrainer der SG Bad Schwartau,
       die Fair-Play-Medaille des DFB. Bei einem Spiel seiner Mannschaft unterlief
       dem Schiedsrichter eine offensichtliche Fehlentscheidung, die zu einem
       Gegentor führte. Der Schiedsrichter war sehr jung, es war sein erstes
       Spiel. Wiggert protestierte nicht, sondern sagte: „Alles gut, Fehler
       passieren, dann machen wir jetzt einfach mit Tor weiter.“ Es war ein Spiel
       einer E-Jugend, U11. Wiggerts Reaktion war souverän und vorbildlich. Dass
       sie aber derart außergewöhnlich war, um eine nationale Ehrung nach sich zu
       ziehen, sagt nichts Gutes über den deutschen Fußball.
       
       Der Twitteraccount [1][„Collinas Erben“] hat über Jahre
       Schiedsrichterentscheidungen besprochen, Regeln erklärt und sachlich
       eingeordnet. Das hat ihn immer wieder zur Zielscheibe von sich übervorteilt
       fühlenden Fanmeuten gemacht, die ihre Affekte an ihm abreagierten. Dieses
       Wochenende waren das Teile der Hertha-Fanbase. Im Spiel gegen Leverkusen
       sahen sie sich um einen Elfmeter gebracht. „Collinas Erben“ waren anderer
       Meinung und wurden deswegen massenhaft mit Unflätigkeiten bedacht. Da
       schlossen sie den Account.
       
       Am vergangenen Wochenende wurde auch Steffen Baumgart, Trainer des 1. FC
       Köln, sehr, sehr deutlich: „Ich will die Leistung der Schiedsrichter nicht
       mehr akzeptieren, weil mir das einfach auf die Eier geht.“ Vielleicht
       sollten Schiedsrichter*innen mal Spiele mit Kölner Beteiligung
       boykottieren, damit Baumgart ausprobieren kann, welche besseren Lösungen
       ihm genehm wären.
       
       Klingt absurd? Nur wenn man aus der Blase Profifußball draufkuckt. Im
       Amateur- und Jugendbereich herrscht Schiedsrichter*innenmangel, da muss
       ständig improvisiert werden. Trotzdem hat sich die [2][Situation für
       Schiedsrichter*innen] sukzessive verschlechtert. Der Videobeweis
       untergräbt ihre Autorität; das Versprechen, es werde relevant weniger
       Fehlentscheidungen geben, war von vornherein illusorisch. Das Problem ist:
       Beim DFB heißt Medientheorie ausschließlich herauszufinden, mit welchen
       Methoden noch mehr Geld aus dem Produkt gequetscht werden kann.
       
       2011 versuchte der Schiedsrichter Babak Rafati, sich das Leben zu nehmen.
       Er litt unter Depressionen, für die er auch den Druck, dem er sich als
       Unparteiischer ausgesetzt sah, verantwortlich machte. Eine der Maßnahmen,
       die folgten, waren Workshops, in denen Schiedsrichter*innen
       Mannschaften für ihre Perspektive sensibilisieren. Vielleicht wäre das
       Geschimpfe ohne dies noch schlimmer, wer weiß. Viel hat die Maßnahme
       jedenfalls nicht bewirkt.
       
       Verschlimmert hat die Situation eine völlig verkorkste Handspielregel, die
       kaum nachvollziehbar ist. Abwehrspieler*innen, die ganz sichergehen wollen,
       nie einen Handelfmeter zu verursachen, bleibt eigentlich keine andere Wahl
       mehr, als sich beide Arme abnehmen zu lassen. Das zu kritisieren wäre
       brauchbare Kritik. Diese Art von Differenzierung kann man auch erwarten von
       Leuten, die sich den ganzen Tag mit Fußball beschäftigen, statt dass sie
       auf Schiedsrichter*innen herumhacken. Ohne die gäbe es nämlich kein
       Spiel, das sollte man Steffen Baumgart und mit ihm den vielen, vielen Fans
       immer mal wieder in Erinnerung rufen.
       
       14 Sep 2022
       
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