# taz.de -- Weniger legen Geld zurück: Sparen muss man können
       
       > Bei de Reiche lernt mrs Schpara, bei de Arme lernt mrs Kocha! Das weiß
       > man in Schwaben und neueste Studien beweisen: Es stimmt.
       
 (IMG) Bild: Schaffa, schaffa, Häusle baua!
       
       Schaffa, schaffa, Häusle baua. Fast täglich ergab sich in der
       [1][süddeutschen Jugend] irgendeine Gelegenheit für irgendeinen
       Klugscheißer, diesen kategorischen Imperativ der Schwaben rauszuhauen.
       
       Du, Marcel, was machsch am Wocheend?! 
       
       I muss am Samschdag schaffa. 
       
       Ha! Schaffa, schaffa, Häusle baua! 
       
       Ohne große philosophische Umschweife stellten Dialoge wie diese klar,
       worauf es im Leben ankommt: Arbeiten, sparen, Haus bauen, noch mehr
       arbeiten, noch mehr sparen. Als Kind türkischer Arbeitsmigranten umgab mich
       der Sparfetisch zusätzlich in seiner anatolischen Version: Wer morgen etwas
       aufbauen will, muss heute verzichten. Auch wenn diese Sozialisationen es
       genauso suggerieren: Sparen ist keine Frage des Willens, des Charakters
       oder des Lebensstils. Sparen ist eine Frage von Verteilung.
       
       Wer kann überhaupt sparen?
       
       Während 2020 noch 70 Prozent der Deutschen regelmäßig Geld zur Seite legen
       konnten, sind es aktuell nur noch 50 Prozent. Das ist das Ergebnis einer
       [2][aktuellen repräsentativen Umfrage] des arbeitgebernahen Instituts der
       deutschen Wirtschaft (IW) und des auf Milieustudien spezialisierten
       Sinus-Instituts. Entscheidend ist die Differenzierung nach Einkommen: Unter
       Haushalten, die im Monat weniger als 1.500 Euro zur Verfügung haben, kann
       nur noch jeder fünfte etwas beiseitelegen (35 Prozent in 2020). Bei
       Haushalten mit Einkommen zwischen 2.000 und 2.500 Euro sind es 52 statt 80
       Prozent. Unter Gutverdienern (Einkommen ab 4.000 Euro) hingegen können
       immer noch 85 (93 Prozent in 2020) sparen. Außerdem gilt: Wer weniger hat,
       der kann auch weniger sparen. Wem es besser geht, der kann mehr zur Seite
       legen und hat am Ende noch mehr. So weit, so banal.
       
       Der eigentliche Nachrichtenwert liegt woanders: „[3][Die Krise ist in der
       Mitte] angekommen, in der Sparen lange Zeit zum bürgerlichen
       Selbstverständnis gehörte“, heißt es in der Pressemitteilung zur Umfrage.
       Die aktuellen finanziellen Einschränkungen erschütterten das
       „sichergeglaubte Wohlstandsversprechen“. Die Krise räumt also eine weitere
       Gewissheit der Mittelschicht ab. Dass der Mythos ‚Wohlstand durch Sparen‘
       nur eine Verlängerung des Mythos ‚Wohlstand durch harte Arbeit‘ ist, das
       wissen die, für die das Versprechen noch nie funktioniert hat. Die
       Mittelschicht kommt jetzt so langsam notgedrungen darauf. [4][Die weiter
       oben] leben sowieso in einer anderen Welt.
       
       Ob Marcel mittlerweile ein Haus gebaut hat, das weiß ich nicht. Wenn er
       bisher keines gebaut hat, dann wird es in Zukunft nicht einfacher. Wenn ihn
       jemand aber danach fragt oder wieder mit dem „Häusle baua“ ankommt, dann
       kann er immerhin mit einem anderen Sprichwort antworten, das heute viel
       zeitgemäßer erscheint: Bei de Reiche lernt mrs Schpara, bei de Arme lernt
       mrs Kocha!
       
       28 Oct 2022
       
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