# taz.de -- Wenn Milliarden vererbt werden: Klassenhass
       
       > Fünf Prozent der Deutschen besitzen so viel wie der Rest. Das
       > Erbschaftssteuersystem verstärkt die Ungleichheit. Wie lange kann das
       > gutgehen?
       
 (IMG) Bild: „You can always get a better something, a better car, a better house“, sagt Erbe Alexander
       
       Kennen Sie das Wort Klassenhass? Hass ist ein sehr starkes Wort. Man kann
       enttäuscht von jemandem sein, dann ist man wütend auf ihn, aber man hasst
       ihn nicht gleich. Hass ist mir deshalb eigentlich fremd. Außer Klassenhass.
       Den empfinde ich, wenn Ungleichheit offen und wie selbstverständlich zutage
       tritt.
       
       Etwa in der im ZDF ausgestrahlten [1][Doku „Die Wahrheit übers Erben]“ von
       Julia Friedrichs und Louis Klamroth. Ein Film, der das [2][ungerechte
       Erbschaftsteuersystem] thematisiert, das im Sinne der (Ver-)Erbenden
       beschaffen ist, viele Ausnahmen und hohe Freibeträge kennt, gerade wenn
       jemand ein Unternehmen vererbt; und in dem nicht nur die nackten Zahlen
       Eindruck machen: 5 Prozent der Deutschen besitzen so viel wie der Rest,
       [3][jedes Jahr werden 300 Milliarden Euro vererbt, davon werden nur
       ungefähr 2 Prozent als Steuern abgeführt.]
       
       Auch die menschliche Manifestation dieser Ungerechtigkeit raubt einem den
       Atem. Vor allem eine Szene hat es in sich. Julian, Erbe von
       Touristikunternehmer Karlheinz Kögel mit geschätzten 300 Millionen Euro
       Vermögen, der in seiner Freizeit ein Cessna-Flugzeug fliegt, und zwei
       Freunde machen bei einer Wanderung im Schwarzwald eine Pause.
       
       Reporter Klamroth fragt die drei, ob es in ihrem Leben schon mal etwas gab,
       das sie sich nicht leisten konnten. „Klar“, sagt Julian. „Auf jeden Fall“,
       sagt Christina, die ein eigenes Modelabel besitzt. „Safe“, sagt Julian,
       „ja, viel.“ Klamroth frag nach: „Zum Beispiel?“ Es folgt eine unangenehme
       Pause. „Material things“, sagt dann Alexander, der ein Saft-Start-up
       gegründet hat. „You can always get a better something, a better car, a
       better house.“
       
       Von null starten 
       
       Für mich als jemand, der nichts erben wird, kein Vermögen hat und von null
       starten musste, dessen Entscheidungen im Leben immer davon bestimmt sind,
       ist das der Moment, in dem der Klassenhass in der Brust brennt. Eine
       Freundin mit gleicher Ausgangslage beschreibt es so: „Das ist, als ob einem
       jemand das Gesicht in die Scheiße drücken würde.“
       
       Bei allem Klassenhass ist klar, dass Julian und Leute wie er einfach Glück
       haben. Dass sie nicht verantwortlich dafür sind, was prinzipiell falsch
       läuft. Dass Leute wie sein Vater Charaktermasken sind, wie Marx es nennt.
       Jederzeit austauschbar. Denn wenn sie die für den Kapitalismus notwendige
       Rolle des ausbeutenden Unternehmers nicht einnähmen, würden das eben andere
       tun. Aber der Klassenhass ist trotzdem da. Und er lässt sich [4][nicht mit
       einem Marx-Seminar bändigen].
       
       Am Ende des Films kommt der Erbe Antonis Schwarz zu Wort. Er setzt sich für
       höhere Erbschaftsteuern ein. Das klingt paradox. Ist es aber nicht. Er
       sagt: „Die extreme Vermögenskonzentration und die Demokratie vertragen sich
       nicht gut.“ Und da klingt ein bisschen die Angst durch, dass er am Ende
       alles verlieren könnte – wenn der Klassenhass zu groß wird und die anderen
       einfach nehmen, was sie brauchen.
       
       19 Nov 2021
       
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