# taz.de -- Arm und Reich in der Pandemie: Warum ist da kein Deckel drauf?
       
       > Die reichsten zehn Menschen der Welt wurden in der Pandemie doppelt so
       > reich. Währenddessen wuchs die Gruppe der Armen um 160 Millionen
       > Personen.
       
 (IMG) Bild: 224 Milliarden Euro machen etwa 1,12 Milliarden Mittelklassekochtopfsets
       
       Das Vermögen der zehn reichsten Milliardäre der Welt hat sich in der
       Pandemie verdoppelt, während mehr als 160 Millionen Menschen zusätzlich in
       Armut leben. So steht es [1][in einem Oxfam-Bericht], der Anfang dieser
       Woche erschienen ist. Der Bericht beschreibt die Konzentration von
       Vermögen, auch in Deutschland.
       
       Hier umfasst das geschätzte Gesamtvermögen der zehn reichsten Personen nun
       etwa 256 Milliarden Dollar. Das klingt sehr abstrakt, also sagen wir etwa
       224 Milliarden Euro, immer noch abstrakt, also sagen wir der Kaufpreis von
       etwa 747.000 Berliner 60-Quadratmeter-Wohnungen, oder fast 500 Millionen
       monatliche Hartz-IV Regelsätze, oder der durchschnittliche
       Bruttomonatsverdienst von 75 Millionen Saarländer*innen, oder die Kosten
       von fast 450.000 Kunstrasenfußballfeldern.
       
       Immer noch abstrakt. Vielleicht finde ich nicht die richtigen Einheiten,
       nicht die besten Bilder oder die idealsten Vergleiche. Vielleicht hat es
       aber auch nichts mit mir zu tun. Vielleicht bleibt die abstrakte Zahl
       deshalb abstrakt, weil sie in dieser Aufstellung keine andere Wahl hat,
       weil jegliches Verhältnis gesprengt ist. Weil in der Ratio „einzelner
       Mensch zu Vermögen in Währung“ eine wesentliche Bedeutung von ratio, der
       Vernunft, gar keine Rolle spielt.
       
       Dabei ist das doch eine gute Frage: Wie viel soll ein Mensch
       vernünftigerweise besitzen? Wo verläuft die Grenze zwischen einem guten
       sorglosen Leben in Wohlstand und der Absurdität angehäufter Vermögenswerte,
       die für die Lebensqualität der Besitzenden keinen Unterschied mehr machen –
       für das Gemeinwohl aber schon? Wo würde die Vernunft sagen: „Es ist genug“?
       Und warum liegt da kein Deckel drauf?
       
       ## Keine Waren im Körbchen
       
       Auftritt: die Wegnehmangst. Man darf doch Menschen nicht wegnehmen, was
       ihnen gehört. Sie haben dafür gearbeitet, oder ihre Urgroßväter, oder sie
       haben es mal geklaut und dann damit etwas aufgebaut, für sich und ihre
       Nachkommen. Etwas, das nicht nur ihren Hyperreichtum sichert, sondern auch
       vielen auf die Wertschöpfungskette aufgezogenen anderen das Mittagessen und
       die Rente.
       
       Nun. Menschen wird täglich weggenommen, was ihnen gehört, die Welt der
       meisten ist längst eine ständige Enteignung. Im Kolonialismus: das Land,
       die Kunst, die Körper. In der Klimakatastrophe: das Zuhause, das
       Trinkwasser, die Atemluft. In Armut: die Würde, die Gesundheit, die
       Teilhabe.
       
       Die meisten dieser Dinge zeichnet aus, dass sie nicht unbegrenzt wieder
       hergestellt oder ersetzt werden können. Sie sind keine Waren im Körbchen,
       sondern Menschenrechte vor dem Gesetz. Trotzdem wurde und wird mit ihnen
       gehandelt.
       
       Deutschland hat seit über 100 Jahren keinen Kaiser mehr, in einer
       Demokratie werden Parlament und Staatsoberhaupt gewählt. Und doch wird
       Macht noch [2][durch Erbfolge bestimmt]. 224 Milliarden Euro, zehn
       Personen, etwa 1,12 Milliarden Mittelklassekochtopfsets. Warum ist da kein
       Deckel drauf?
       
       19 Jan 2022
       
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