# taz.de -- Die These: Mit Essen spielt man nicht
       
       > Kartoffelbrei auf Gemälde, Torten auf Nazis, Milch auf Felder: Immer
       > wieder werden Lebensmittel für Protest genutzt. Dabei ist Essen etwas
       > Wertvolles!
       
 (IMG) Bild: Tomatensaucenangriff auf van Goghs Sonnenblumen, National Gallery London
       
       Selbstverständlich ist die Sorge um das im Museum Barberini hängende
       Gemälde aus Claude Monets Reihe „Les Meules“ (Heuschober) gerechtfertigt,
       [1][das Opfer eines Attentats wurde]. KlimaaktivistInnen der Gruppe „Letzte
       Generation“ hatten das Bild mit Kartoffelbrei attackiert, und das in
       Potsdam, der Heimat des Mannes, dem das hiesige Volk den Anbau der
       Kartoffel überhaupt erst verdankt, Friedrich des Großen nämlich.
       
       Dank schützender Glasscheibe ist den Monet’schen Heuschobern nichts
       passiert – doch die Konfrontation von Kartoffel und Getreide hat
       Diskussionen entfacht. „Das ist Kulturbarbarei und keine politische
       Meinungsäußerung“, sagte beispielsweise der Potsdamer Oberbürgermeister,
       und der Deutsche Museumsbund empfiehlt strengere Sicherheitsmaßnahmen für
       die Kunstwerke. Und so reden dieser Tage alle über Kunst, Kunst, Kunst –
       aber wie steht es eigentlich ums Essen? Und was ist aus dem guten alten
       Grundsatz „Mit Essen spielt man nicht“ geworden, der auch dem Autor dieser
       Zeilen in der Kindheit die ein oder andere unsanfte Maßregelung eingebracht
       hat?
       
       Mit Essen spielt man nicht: Man knetet keine Männchen aus Brot, matscht
       nicht mit der Gabel im Gemüse, baut keine Burgen aus Polenta und malt keine
       Bilder mit Pflaumenkompott. Aber was, wenn junge Menschen mit Tomatensuppe
       politischen Protest ausüben möchten?
       
       Aktivistinnen der Organisation „Just Stop Oil“ hatten kürzlich in der
       Londoner National Gallery den Inhalt von zwei Dosen Tomatensuppe (Heinz,
       nicht etwa Campbell’s) über van Goghs „Sonnenblumen“ beziehungsweise die
       Glasscheibe vor selbigen entleert. Das Bild hat einen Schätzwert von
       umgerechnet rund 84 Millionen Euro [2][und Just Stop Oil twitterte]: „Ist
       Kunst mehr wert als Leben? Mehr als Essen? Mehr als Gerechtigkeit? Die
       Lebenshaltungskosten- und Klimakrise wird durch Öl und Gas angetrieben.“
       
       ## Die Suppe ist definitiv verschüttet
       
       Daher also Tomaten auf Sonnenblumenkerne, die man wunderbar auch zu
       nahrhaftem Öl verarbeiten könnte? Die National Gallery teilte anschließend
       mit, dass durch die Aktion kleinere Schäden am Rahmen entstanden seien, das
       Bild selbst sei nicht beschädigt worden. Die Suppe aber ist definitiv
       verschüttet.
       
       Diese Woche schlug Just Stop Oil dann schon wieder zu. Mit einer Torte, sie
       traf die Wachs-Variante des britischen Königs Charles III, übrigens
       seinerseits Umweltschützer, im Londoner Kabinett von Madame Tussauds.
       Bereits im Mai war die „Mona Lisa“ im Pariser Louvre mit einer Torte
       attackiert worden. Auch sie blieb dank Panzerglas unversehrt lächelnd
       zurück, und auch in diesem Fall wollte der (Einzel-)Attentäter Aufsehen
       erregen, um auf die Zerstörung der Welt hinzuweisen, wenngleich er sein
       Anliegen weniger professionell kommunizierte als die KlimaaktivistInnen
       aktuell.
       
       Dabei ist die Tortung, also der Wurf einer Torte in das Gesicht einer
       politisch missliebigen Person, eigentlich eine Boomer-Kulturtechnik. Eines
       der ersten prominenten Opfer dieser dem Slapstick entliehenen Performance
       war Anita Bryant, ehemalige Miss Oklahoma und Werbefigur für Orangen aus
       Florida, die mit ihrer Organisaton „Save our Children“ erfolgreich gegen
       die Emanzipationsbestrebungen der Homosexuellen aktiv geworden war. Im Jahr
       1977 traf sie dann in Des Moines [3][die Torte eines Schwulenaktivisten ins
       Gesicht]. Und das während der Fernsehübertragung einer Pressekonferenz –
       keine Glasscheibe nirgends, der Hassaktivistin blieb nur ein Gebet im
       Anschluss, bevor sie theatralisch in Tränen ausbrach.
       
       ## Eine Tortung für die AfD
       
       Auch hierzulande hat sich die Tortung etabliert, gern trifft es Mitglieder
       der AfD. Jörg Meuthen hatte mal das Pech, eine tiefgefrorene Schwarzwälder
       Kirschtorte an den Kopf zu bekommen. [4][Und Beatrix von Storch],
       Oldenburger Variante von Anita Bryant („Gender-Gaga“), hat es gleich
       zweimal erwischt. In einem Fall war die Torte mit Rasierschaum gefüllt –
       was in diesem Zusammenhang als vorbildlich bezeichnet werden muss. Denn
       „Mit Essen spielt man nicht“ sollte sich am Ende auch auf spielerische
       Ausdrucksformen des politischen Protests beziehen.
       
       Rasierschaum zu verschwenden ist dabei moralisch geschmackssicherer als
       Lebensmittel gleich welcher Qualität für welchen guten Zweck auch immer zu
       vergeuden: Kartoffel und Tomaten auf Gemälde; Torten auf Nazis; Bauern, die
       in Frankreich Äpfel und Kartoffeln als Straßensperren verschütten, um gegen
       die US-amerikanische Zollpolitik zu protestieren; deutsche Landwirte, die
       300.000 Liter Milch bei Rosenheim auf eine Wiese kippen. Schon bei
       letztgenannter Aktion aus dem Jahr 2009 [5][regte sich durchaus Kritik]:
       Lebensmittel wegwerfen, während anderswo Menschen hungern? Genau mit dieser
       Argumentation verbietet man schließlich kleinen Kindern, mit dem Essen zu
       spielen.
       
       Gewiss: Im Rahmen des kapitalistischen Wirtschaftens werden täglich
       Lebensmittel in ganz anderen Dimensionen weggeworfen und vernichtet. Und
       dennoch scheint uns allen das Bewusstsein dafür abhanden gekommen zu sein,
       dass Essen etwas Wertvolles ist. Stattdessen kommt das Rapsöl einfach in
       den Tank – und zu Halloween werden die Kürbisse entweder zur reinen
       Dekoration degradiert oder zu Fratzen umgeschnitzt. Mit dem Fruchtfleisch
       aus den ausgehöhlten Kürbissen kann man übrigens hervorragend eine Suppe
       kochen.
       
       Aber bitte anschließend nicht ins Museum damit. Ankleben reicht!
       
       29 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Klima-Protestaktionen-in-Museen/!5887003
 (DIR) [2] https://mobile.twitter.com/JustStop_Oil/status/1580869474064175105
 (DIR) [3] https://www.youtube.com/watch?v=dS91gT3XT_A
 (DIR) [4] /Torte-auf-AfD-Funktionaerin/!5282105
 (DIR) [5] https://www.merkur.de/politik/bauerverband-kritisiert-radikale-milch-proteste-zr-474251.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Reichert
       
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