# taz.de -- Mutter über Sorgerechtsprozesse: „Gewalt wird nicht berücksichtigt“
       
       > Eine betroffene Mutter über Gerichte, die bei Sorgerechts-Prozessen nicht
       > berücksichtigen, wenn der andere Elternteil psychische Gewalt einsetzt.
       
 (IMG) Bild: Papa soll sich auch mal kümmern dürfen, finden viele Richter – aber was, wenn Gewalt im Spiel ist?
       
       taz: Frau Hansen, warum protestieren Sie am 25. Oktober vor der
       niedersächsischen Staatskanzlei? 
       
       Anna Hansen: Es geht uns Müttern darum, SPD und Grüne kurz vor ihren
       Koalitionsgesprächen mit der Nase auf die “[1][Istanbul-Konvention]“ zu
       stoßen. Diese Konvention, die die Mitgliedsstaaten des Europarats zum
       Schutz von Frauen vor Gewalt vereinbart haben, muss in Deutschland dringend
       umgesetzt werden. Niedersachsen muss den Anfang machen.
       
       Was ist das Problem? 
       
       Aus unserer Sicht wird besonders Artikel 31 der Konvention selten beachtet.
       Familiengerichte müssen bei ihren [2][Entscheidungen über Umgang und
       Sorgerecht] Gewalt berücksichtigen und das tun sie nicht, weil sie in ihrer
       Argumentation die Gewalt vom Sorge- und Umgangsrecht trennen.
       
       Woran machen Sie das fest? 
       
       Daran, dass vor Gericht seit Jahren vor allen Dingen der 'Gegenpart’
       gestärkt wird. Also der, der klagt. Und das ist meist derjenige, der die
       Gewalt ausgeübt hat und weiterhin ausübt. [3][Dadurch werden Kinder Mittel
       zum Zweck].
       
       Interessiert Familiengerichte nicht, ob jemand schlägt? 
       
       Gewalt besteht nicht nur aus körperlicher Gewalt. In unseren Fällen geht es
       um psychische Gewalt, die verharmlost wird und der deshalb nicht
       nachgegangen wird. Es gibt Anzeigen, die abgelehnt wurden, weil es das
       öffentliche Interesse nicht betrifft. Und dann wird dem Gewalt ausübenden
       Part aus Steuergeld Prozesskostenhilfe gewährt. Und der nutzt dann
       Gerichte, Verfahrensbeistände und Gutachter, um seine Gewalt weiter
       auszuüben.
       
       Ist psychische Gewalt nicht schwierig nachzuweisen? 
       
       Ja so ist es. Aber auch in Fällen, wo es Nachweise gibt, wird das sowohl
       von Richtern als auch von Gutachtern nachrangig behandelt.
       
       Die Opfer sind stets Frauen? 
       
       Es sind zu mehr als 80 Prozent Frauen die Opfer und innerhalb des
       Familiensystems werden auch Kinder zu Opfern. Es gibt auch Männer, die
       diesen Weg gehen müssen. Diese sind aber deutlich in der Minderheit.
       
       Woher wissen Sie das? 
       
       Wir Mütter wissen das aus eigenen jahrelangen Gerichtsverfahren. Es gab
       jetzt im April die Studie „[4][Familienrecht in Deutschland]“ des
       Soziologen Wolfgang Hammer, die auf über 1.000 Fällen basiert und gut
       recherchiert ist. Auch wenn Hammer selber sagt, dass es hier noch
       vertiefter Forschung bedarf, hat seine Studie uns Müttern verdeutlicht,
       dass wir nicht allein sind und vielen dasselbe passiert. Und nun gibt es
       ganz aktuell den [5][Bericht der „Grevio“-Group], das ist ein Fachgremium,
       das die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland überprüft. Der
       Bericht warnt, dass es bei deutschen Gerichten ein Risiko gibt, dass Gewalt
       gegen Frauen und ihre Kinder unentdeckt bleibt. Gängig ist die
       Unterstellung, die Mütter würden die Kinder manipulieren.
       
       Sie sagen, dass oft die Mütter das Sorgerecht verlieren? 
       
       Also es gibt Bundesländer, wo das so ist, und Niedersachsen gehört leider
       dazu. Richter haben bei jahrelangen Verfahren irgendwann die Nase voll und
       sagen: So, jetzt wechseln wir mal das Sorgerecht zur anderen Person. Oder
       wir machen Wechselmodell, egal welche Vergangenheit Elternteil eins und
       Elternteil zwei miteinander haben. Der Fortbestand von Täter- oder
       Opferrolle wird so weiter festgeschrieben.
       
       Gerichte sind unabhängig. Was kann Niedersachsen tun? 
       
       Die Gerichte dazu aufrufen, ihre Praxis zu ändern. In der heutigen Zeit
       sollte kontinuierliche Weiterbildung selbstverständlich sein. Dies gilt für
       Richter ebenso wie für Verfahrensbeistände und Jugendamtsmitarbeiter, auf
       deren fachliche Kompetenz sich Richter verlassen und beziehen.
       
       Was erwarten Sie konkret von der neuen Koalition? 
       
       Dass die Praxis der Familiengerichte verändert wird. Dafür fordern wir ein
       unabhängiges Gremium beim Familienministerium. Niedersachsen könnte zudem
       mit einer Bundesratsinitiative die Umsetzung der Istanbul-Konvention
       forcieren.
       
       Haben Sie denn schon Kontakt zu Politikern im Landtag? 
       
       Noch nicht. Die Idee für die Kundgebung kam relativ spontan. Wir sind
       derzeit etwa 20 aktive Mütter. Viele haben Angst. Sie fürchten, das ihr
       Name irgendwo fällt und das nächste Verfahren anders ausfällt, als ihnen
       lieb ist.
       
       25 Oct 2022
       
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 (DIR) [4] https://www.familienrecht-in-deutschland.de/
 (DIR) [5] https://rm.coe.int/report-on-germany-for-publication/1680a86937
       
       ## AUTOREN
       
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