# taz.de -- Kanye West und Antisemitismus: Recht hat, wer Erfolg hat
       
       > Wegen judenfeindlicher Äußerungen stellt Adidas die Kooperation mit dem
       > Rapper Kanye West ein. Viel zu befürchten haben Reiche wie er nicht.
       
 (IMG) Bild: Ist halt reich und darf deshalb alles: Kanye West
       
       Hochmut mag vor dem Fall kommen, aber manche Menschen fallen nie –
       zumindest nicht in ihrer Welt. [1][Kanye West ist so einer, der nicht
       fallen kann]. So kann man es in der Netflix-Doku „Jeen-Yuhs“ sehen. Darin
       skizziert der Kameramann und Freund von Kanye West, Coodie Simmons, anhand
       unzähliger Originalaufnahmen den spektakulären Aufstieg eines extrem
       selbstbewussten Rappers aus Chicago. Als sein Freund am Höhepunkt seiner
       Karriere immer öfter begann, psychisch auffällig zu werden, entschied sich
       Simmons dazu, nicht mehr weiter zu filmen. Es fühle sich „nicht richtig
       an“, diese Zustände zu dokumentieren, sagt er im letzten Teil der Trilogie.
       
       Richtig oder nicht: Eine Welt, in der einer allein entscheiden kann, was
       über andere dokumentiert wird, gibt es nicht. Oft schon wurde Kanye West
       wegen [2][verschiedenster Äußerungen] auf nahezu allen bekannten
       Social-Media-Plattformen gesperrt. Er kaufte daraufhin das soziale Netzwerk
       Parler, das als eine Art Kommunikationszuflucht für Rechte und Konservative
       in den USA gilt. Ganz ähnlich reagierte US-Präsident Donald Trump, als er
       bei Twitter gesperrt wurde. Er [3][gründete sein eigenes Netzwerk, „Truth
       Social“].
       
       „Ich bin ein wenig verschlafen heute Nacht, aber sobald ich wach bin,
       erkläre ich Alarmstufe Gelb in Bezug auf die Juden“ – so in etwa ließe sich
       ein mittlerweile gelöschter Tweet Kanye Wests vom 8. Oktober übersetzen,
       der schon in Originalsprache eher wirr formuliert ist. Wie das verstanden
       werden kann, was er da schrieb, schien ihm aber bewusst zu sein, denn
       direkt im Anschluss heißt es: „Das Lustige ist, dass ich eigentlich gar
       nicht antisemitisch sein kann, weil Schwarze Menschen eigentlich auch Juden
       sind.“
       
       Es war nicht das erste Mal, dass der Rapper mit antisemitischen Bemerkungen
       auffiel, und es war nicht das erste Mal, dass er sich im Nachhinein dafür
       entschuldigte, „falsch verstanden“ worden zu sein. Diesmal nützte das
       nichts. Nachdem erst die Talentagentur CAA und später das Modelabel
       Balenciaga verkündeten, die Zusammenarbeit mit dem Künstler einzustellen,
       stand auch der deutsche Sportartikelhersteller Adidas in der Kritik. West
       blieb selbstbewusst, wie immer. Noch am 16. Oktober suggerierte er in einem
       Interview, „jüdische Zionisten“ kontrollierten die Medien. Dann fügte er
       hinzu: „Ich kann antisemitische Sachen sagen und Adidas kann mich nicht
       fallen lassen. Was jetzt?“
       
       ## Zentralrat der Juden forderte Konsequenzen
       
       Das jetzt: Die Kritik wurde lauter, der Zentralrat der Juden forderte von
       Adidas Konsequenzen. Als sich dann noch der Aktienkurs des
       Textilherstellers nicht mehr zu erholen schien, stellte Adidas die
       Kooperation mit West „mit sofortiger Wirkung“ ein – nicht aber ohne darauf
       hinzuweisen, dass dem Unternehmen dadurch „bis zu 250 Millionen Euro“
       Gewinn entgingen.
       
       Während Adidas um seine Profite trauert, [4][müssen Jüdinnen und Juden in
       den USA um ihr Leben fürchten]: Am Wochenende nach Wests Äußerungen ließen
       Rechtsextreme auf einer Autobahn in Los Angeles „Kanye is right about the
       Jews“ (frei etwa: „Kanye hat recht mit den Juden“) herab und zeigten den
       Hitlergruß.
       
       In Beverly Hills tauchten in derselben Woche Flyer auf, die unter anderem
       darstellen sollten, dass die Coronapandemie ein von Juden gesteuertes
       Projekt sei. Antisemitismus hat immer reale Konsequenzen, egal wie er
       „gemeint“ ist. Ohnehin wird es für Jüdinnen und Juden [5][in den USA immer
       gefährlicher]. Erst vergangenen Sonntag meinte Donald Trump, „amerikanische
       Juden“ sollten „sich zusammennehmen“ und seine Leistungen für Israel
       honorieren, „bevor es zu spät ist“.
       
       Die Anti Defamation League (ADL), eine US-Menschenrechtsorganisation, die
       sich gegen Antisemitismus einsetzt, zählte im Jahr 2021 einen Rekordwert an
       antisemitischen Vorfällen im eigenen Land. Jenem Land, in dem laut Umfragen
       der ADL fast ein Viertel der jungen Erwachsenen meint, der Holocaust sei
       ein Mythos, wäre übertrieben oder sie seien sich nicht sicher.
       
       ## Reiche kommen mit allem durch
       
       Kanye West hat nicht viel zu befürchten. Viel zu weit reicht sein
       finanzieller und medialer Einfluss. Und viel zu sehr haben sich nicht nur
       die US-Amerikaner*innen post Trump daran gewöhnt, dass reiche und berühmte
       Menschen ohnehin mit allem durchkommen, oder schlimmer: dass sehr
       erfolgreiche Menschen doch so falsch nicht liegen können.
       
       „Wie viel bist du wert?“, fragte West vergangene Woche den britischen
       Talkshow-Moderator Piers Morgan. „Nicht so viel wie du, traurigerweise“,
       entgegnete der. West: „Richtig, also nimm meinen Rat an. […] Warum sollte
       ich auf dich hören?“
       
       Psychisch krank oder nicht: Im Kapitalismus hat recht, wer Erfolg hat. Und
       wer Erfolg hat, findet einen Weg, seine „Wahrheit“ zu kommunizieren – und
       kann dann immer noch glauben, die Medien seien gesteuert. Es sind goldene
       Zeiten für Antisemitismus.
       
       26 Oct 2022
       
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 (DIR) Konstantin Nowotny
       
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