# taz.de -- Linken-Parteitag in NRW: Pluralismus aufgekündigt
       
       > Im NRW-Landesverband der Linken stehen sich Wagenknecht-Fans und ihre
       > Gegner:innen unversöhnlich gegenüber. Die Wahl neuer Vorsitzender
       > gelingt nur knapp.
       
 (IMG) Bild: Jules El-Khatib tritt nach nur knapp einem Jahr Amtszeit nicht wieder als Co-Vorsitzender der Linken NRW an
       
       KAMEN taz | Die Linkspartei ringt auch in Nordrhein-Westfalen um ihre
       Zukunft. Beim Parteitag in Kamen im östlichen Ruhrgebiet zeigte sich der
       größte Landesverband der Linken stark zerstritten: Zwar gelang am
       Samstagabend die Wahl von zwei neuen Landeschef:innen. Ob sich neben
       dem Fraktionssprecher der Linken im Stadtrat von Oberhausen, Sascha H.
       Wagner, aber überhaupt eine Frau zur Wahl stellen würde, war bis zum späten
       Samstagnachmittag unsicher.
       
       Um eine Blamage zu vermeiden, erbarmte sich am Ende die
       Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler. Doch auch ohne Gegenkandidatin
       stimmten nur 68 Prozent der Delegierten für die 59-Jährige aus dem
       Münsterland. Für Wagner, der lediglich gegen den bei vielen als Enfant
       terrible der Partei geltenden Mehmet Sencan antreten musste, entschieden
       sich nur 54 Prozent.
       
       Die Wahl der stellvertretenden Landesparteichefinnen scheiterte dann sowohl
       am Samstagabend als auch am Sonntagmorgen: In beiden Wahlgängen erhielten
       weder die aus Dortmund stammende Aie Al Khaiat-Gornig noch Sefika Minte,
       Sprecherin des Kreisverbands Oberhausen, die nötige Hälfte der
       Delegiertenstimmen. Um den Parteitag nicht im Chaos versinken zu lassen,
       baten Vogler und Wagner die Delegierten inständig, einen „arbeitsfähigen
       Landesvorstand“ zu wählen. Beschlossen wurde dann, die Wahl der
       Vizelandeschefinnen wie die der stellvertretenden Chef:innen in Richtung
       Ende des Parteitags zu verschieben.
       
       Deutlich wurde anhand der Abstimmungen die tiefe Spaltung der Linkspartei
       in Erneuer:innen und Traditionalist:innen, in „Progressive“ und
       selbsternannte „Linkskonservative“, in Gegner:innen und
       Anhänger:innen der einstigen Galionsfigur der Linken, Sahra
       Wagenknecht. Denn offenbar blockierten gerade die Wagenknecht-Fans zusammen
       mit Vertreter:innen der Parteiströmung der Sozialistischen Linken (SL)
       die Vorstandswahlen.
       
       Statt wie geplant am Samstagabend konnten die neuen Landesparteivizes erst
       am Sonntagnachmittag präsentiert werden: Bei den Frauen wurden neben Minte
       die Kölnerin Angelika Link-Wilden von der SL gewählt. Auf der unquotierten
       Liste setzten sich der als strömungslos geltende Ulrich Thoden aus Münster
       und der zur zentristischeren Bewegungslinken gezählte Dominik Goertz aus
       Bielefeld durch.
       
       ## 13 Mitglieder des Landesvorstands traten nicht wieder an
       
       Wie tief der Riss, der die Genoss:innen trennt, auch in
       Nordrhein-Westfalen ist, hatte zuvor schon eine Erklärung von 13 der 22
       Mitglieder des bisherigen Landesvorstands, darunter alle vier bisherigen
       Vizelandessprecher:innen und der Landesgeschäftsführer, deutlich
       gemacht. Die 13 erklärten, nicht wieder kandieren zu wollen.
       
       Eine „selbstzerstörerische Streitkultur“ herrsche in der Linkspartei, so
       ihre Begründung. „Mediale Denunziation und öffentliche Vorverurteilung“
       seien „Instrument der innerparteilichen Auseinandersetzung“, heißt es in
       dem Papier der 13, das nur etwa eine halbe Stunde nach Veröffentlichung in
       parteiinternen Verteilern die Nachrichtenagentur dpa erreichte. Davor hatte
       bereits der bisherige Landessprecher Jules El-Khatib nach nicht einmal
       einjähriger Amtszeit erklärt, nicht erneut zur Verfügung zu stehen.
       Co-Landessprecherin Nina Eumann folgte.
       
       Wie ihre parteiinternen Gegner:innen von der Antikapitalistischen Linken
       (AKL) auf dem Parteitag warnten die 13 vor einer Spaltung der Partei in
       Wagenknecht-Fans und -Gegner:innen. Der „Pluralismus“ in der Partei sei
       „aufgekündigt worden“, lautet die Chiffre dafür.
       
       Der Auslöser der drohenden Spaltung war [1][die Bundestagsrede Wagenknechts
       vom 8. September], in der sie der Bundesregierung mit Blick auf Putins
       Angriffskrieg in der Ukraine vorgeworfen hatte, „einen beispiellosen
       Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun“
       gebrochen zu haben.
       
       Entgegen geltenden Parteibeschlüssen forderte Wagenknecht ein Ende der
       „fatalen Wirtschaftssanktionen“ gegen Russland – und erntete massiven
       Protest: Landtags- und Bundestagsabgeordnete der Linken machten sich für
       einen [2][Ausschluss Wagenknechts aus der Bundestagsfraktion stark.] In
       Folge mobilisieren „Progressive“ für ein Vernetzungstreffen am 3. Dezember
       in Berlin. Ziel sei, die „Koexistenz mit dem Linkskonservatismus in der
       Partei zu beenden“, heißt es in ihrem Aufruf – also Wagenknecht und ihre
       Anhänger:innen rauszuwerfen.
       
       Wagenknecht selbst konterte bei Bild TV, sie wünsche sich, „dass in
       Deutschland eine Partei entsteht, die die Politik der Regierung verändern
       kann.“ Allerdings sei eine solche Neugründung „nicht so einfach“.
       
       Beim nordrhein-westfälischen Landesparteitag hatten Appelle des
       Bundesvorsitzenden der Linken, Martin Schirdewan, „Selbstbeschäftigung“ und
       „Besserwisserei“ zu beenden und sich auf politische Inhalte wie die soziale
       Frage oder Klimaschutz zu konzentrieren, deshalb nur begrenzt Erfolg. Die
       neugewählte Parteichefin Vogler, die als dezidierte Wagenknecht-Gegnerin
       gilt, versprach zwar, „Sprecherin für alle“ sein zu wollen. Doch dass ihre
       „Kandidatur für manche eine Zumutung“ ist, weiß Vogler selbst.
       
       „Die Angst vor der Spaltung lähmt uns“, analysierte ihr Co-Sprecher Sascha
       Wagner, der ebenfalls dem linken Parteiflügel um AKL und Bewegungslinke
       zugerechnet wird. Er werde alles tun, um den Landesverband
       zusammenzuhalten, versprach Wagner.
       
       Ob dies gelingt, kann auch er nicht sagen: „Man kann nur zusammenhalten“,
       warnte Sascha Wagner seine Genoss:innen, „was zusammengehalten werden
       will.“
       
       Hinweis der Redaktion: Der am Vormittag veröffentlichte Text wurde am
       späten Nachmittag aktualisiert.
       
       30 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Wagenknecht-Auftritt-im-Bundestag/!5876807
 (DIR) [2] /Turbulenzen-in-der-Linksfraktion/!5882142
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Wyputta
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Energiekrise 
 (DIR) Die Linke
 (DIR) Parteitag
 (DIR) Nordrhein-Westfalen
 (DIR) Sahra Wagenknecht
 (DIR) Linkspartei
 (DIR) GNS
 (DIR) Nordrhein-Westfalen
 (DIR) Janine Wissler
 (DIR) Linkspartei
 (DIR) Die Linke
 (DIR) Dietmar Bartsch
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Abitur wegen IT-Problemen verschoben: Kritik nach Abi-Panne in NRW
       
       Nach Computer-Problemen wurden in NRW die Abschlussprüfungen verschoben.
       Der Druck auf Landesbildungsministerin Dorothee Feller wächst.
       
 (DIR) Zukunft der Linkspartei: Wunsch nach Neuausrichtung
       
       Am Samstag beraten „progressive Linke“ über die Zukunft der Linkspartei.
       Zentral dürfte der Bruch mit dem Wagenknecht-Flügel werden.
       
 (DIR) Bundestagsdebatte zu Mietenpolitik: Linke fordert Mietenstopp
       
       Der Bundestag debattierte drei Anträge: Mietenstopp, Verbot von
       Indexmietverträgen, Kündigungsmoratorium. Einigkeit gab es nicht.
       
 (DIR) Aufruf von Linken-Politiker:innen: Gegen den Linkskonservatismus
       
       Die Linke steckt in einer tiefen Krise. Zahlreiche Politiker:innen der
       Partei plädieren nun für einen Bruch mit dem Wagenknecht-Flügel.
       
 (DIR) Turbulenzen in der Linksfraktion: Kein Bock auf Wagenknecht-Reden
       
       Wer für die Linke im Bundestag spricht, hat sich an die Beschlüsse der
       Partei zu halten. Das fordern acht Abgeordnete per Antrag an ihre Fraktion.