# taz.de -- Vor der Fußball-WM in der Wüste: Ein Sündenfall für zwei
       
       > Die WM ist für Katar ein Baustein seiner Machtstrategie und die Fifa das
       > ideale Umfeld, um seine Möglichkeiten voll auszuspielen. Alles ist
       > käuflich.
       
 (IMG) Bild: Endlich am Ziel: Fifa-Chef Infantino und der Emir von Katar bei der WM-Gruppenauslosung
       
       DOHA taz | Der versiegelte Brief ist von Sepp Blatter noch nicht geöffnet
       worden, da berichtet der katarische Sender Al Jazeera schon vom Sieg des
       Außenseiters. Etwa eine halbe Stunde später darf der Präsident des
       Fußballweltverbandes Fifa den Coup offiziell verkünden. Mit 14:8 Stimmen
       hat das Emirat im vierten Wahlgang die USA ausgestochen. Emir Hamad Al
       Thani und seine Frau Scheicha Muza gehen jubelnd auf die Bühne, ihr Sohn
       Mohammed Al Thani spricht ins Mikrofon: „Im Sommer 2022 haben wir ein
       Treffen mit der Geschichte.“
       
       Betretene, ungläubige Mienen im Publikum. Die Szene spielt am 2. Dezember
       2010 in Zürich. Die USA haben Brad Pitt, Morgan Freeman, Arnold
       Schwarzenegger und Spike Lee in ihre Kampagne eingebunden, ohne Erfolg.
       Sogar Bill Clinton ist in die Schweiz gereist. Vor Wut schmeißt er im
       noblem Hotel Baur au Lac einen Spiegel ein.
       
       Der ehemalige US-Präsident ist von den Katarern überrumpelt worden, und das
       hat wohl auch mit einer Szene auf einer Toilette in der Züricher
       Fifa-Zentrale an jenem 2. Dezember zu tun. Vor einem New Yorker
       Schwurgericht schildert sie der TV-Rechtehändler Alejandro Burzaco später
       so: Der brasilianische Fifa-Funktionär Ricardo Teixeira, sein Kollege
       Nicolas Leoz aus Paraguay und der 2014 verstorbene Argentinier Julio
       Grondona sollen ihre Stimmen verkauft haben. Konkrete Beweise liefert
       Burzaco nicht, behauptet aber, sein Landsmann und langjähriger
       Geschäftspartner Grondona habe für das Katar-Votum eine hohe Summe
       erhalten.
       
       Leoz habe während der ersten beiden Abstimmungsrunden im
       Fifa-Exekutivkomitee zunächst Japan, dann Südkorea, nicht aber Katar
       gewählt. Teixeira und Grondona hätten ihn deswegen in der Toilette ins
       Gebet genommen. „Sie schüttelten ihn“, berichtet Burzaco, „und sie fragten:
       Was machst du? Stimmst du nicht für Katar?“
       
       ## Bakschisch
       
       Grondona soll 1,5 Millionen Dollar bekommen haben, Teixeira weit mehr,
       weshalb der mit weniger Bakschisch bedachte Argentinier bei einem
       Fifa-Treffen Abgesandte Katars zur Rede gestellt haben soll: „Zahlt mir 80
       Millionen Dollar oder erklärt öffentlich, dass ihr nie Schmiergelder
       gezahlt habt!“
       
       Die Fifa-Exekutive, der Welt-Fußballrat mit der Macht zur WM-Vergabe, hat
       zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Mitglieder wegen Korruptionsverdacht
       verloren, Reynald Temarii aus Tahiti und den Nigerianer Amos Adamu. Beide
       waren in die Falle der britischen Zeitung Sunday Times getappt, indem sie
       sich bei Undercover-Recherchen als bestechlich zeigten.
       
       Bewerber Katar kennt die Usancen im Weltverband nur zu gut. Seit 1996 sitzt
       der Katarer Mohamed bin Hammam im Exekutivkomitee der Fifa. Er ist als
       Wahlhelfer von Sepp Blatter in Erscheinung getreten, besorgte Stimmen und
       Privatjet für die Werbetouren des Schweizers. Und so wundert es wenig, wenn
       im Zuge von „Qatar-Gate“ auch die Exekutivmitglieder Issa Hayatou aus
       Kamerun und Jacques Anouma aus der Elfenbeinküste kassiert haben sollen. Um
       die Afrikaner gewogen zu stimmen, hat Katar außerdem 1,25 Millionen Dollar
       für die Organisation eines Kongresses des Afrikanischen Fußballverbandes
       gezahlt.
       
       ## Fair Play? Nachrangig
       
       Katar wollte mit allen Mitteln auf die Landkarte des Sports.
       Compliance-Regeln, Dezenz, Fair Play? Nachrangig. Sie priorisieren ihre
       Interessen – und setzen sie durch. Geld ist durch ein riesiges Gasfeld vor
       der Küste des Landes reichlich vorhanden. Die Milliarden sprudeln. Die
       Ambitionen wachsen mit dem Reichtum, der aus der Tiefe kommt. Die
       Gas-Vorräte reichen noch mindestens 100 Jahre. „Die Hyperentwicklung des
       Landes beginnt Mitte der 90-er Jahre“, sagt Andreas Krieg, Nahostexperte
       vom Londoner King’s College, „mit ihr wurde ein unglaublicher Prozess des
       Wandels angestoßen.“
       
       Der TV-Sender Al Jazeera wird gegründet, Katar veranstaltet mehr und mehr
       Sportereignisse. Anfangs macht die ATP-Tour der Tennisprofis Station in
       Doha, der Hauptstadt des kleinen Landes, das nur halb so groß ist wie
       Hessen und gerade mal 300.000 katarische Staatsbürger beheimatet – neben
       2,8 Millionen Zugewanderten mit niederem Status.
       
       Katar wird Gastgeber der Asienspiele, der Handball-WM, der
       Leichtathletik-WM. Die Liste der Sport-Events ist lang. Überdimensionale
       Sportprojekte laufen an, sind Teil eines zügellosen Baubooms: Die Aspire
       Sports Academy wird Mitte der Nullerjahre aus dem Boden gestampft. Die
       Talentsichtung erstreckt sich über den gesamten Globus; sind nicht genug
       eigene Talente da, werden sie eingebürgert wie der kenianische Leichtathlet
       Stephen Cherono. Der Golfstaat verfolgt die Strategie des Soft Power, will
       über den Sport an Attraktivität und Einfluss gewinnen.
       
       ## Thank you for choosing Deutsche Bahn
       
       Die Katarer kaufen Know-how ein, auch aus Deutschland. Das Architekturbüro
       Albert Speer und die angeschlossene [1][Agentur Proprojekt] planen die
       WM-Stadien für die ersten Präsentationen, die Münchner Agentur Serciveplan
       macht das Bewerbungsbuch hübsch, bindet es für Sepp Blatter in Ziegenleder
       ein. Die Deutsche Bahn AG plant den U-Bahnbau in Doha; dreistellige
       Milliardensummen gehen in den Ausbau der Infrastruktur und den Bau der
       WM-Stadien. Deutsche Sportwissenschaftler bekleiden Führungspositionen in
       der Aspire Academy, deutsche Trainer coachen katarische Fußballklubs,
       Profis wie Stefan Effenberg oder Mario Basler nehmen im Herbst ihrer
       Karriere dicke Schecks an. Firmen wie VW oder Porsche heißen Investitionen
       des über 400 Milliarden Dollar schweren katarischen Staatsfonds willkommen.
       Der Wissenstransfer führt freilich auch in Graubereiche, die manchmal bis
       in den Pariser Élysée-Palast reichen.
       
       So wird Uefa-Präsident Michel Platini Ende November 2010 zum Abendessen mit
       Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und dem Emir von Katar, Hamad
       Al Thani, eingeladen. Am Tisch sitzt auch Sebastian Bazin,
       Europa-Repräsentant der US-Investmentfirma Colony Capital und damals noch
       Hauptaktionär des Fußballklubs Paris St. Germain. Bazin wird sein
       Verlustgeschäft PSG los, der Scheich aus Katar freut sich über eine weitere
       Investitionsmöglichkeit und Sarkozy ist „glücklich“ über die rosige Zukunft
       seines neuen Lieblingsklubs PSG. Platinis Sohn Laurent schafft kurz darauf
       im Januar 2011 den Sprung in die Chefetage bei Qatar Sports Investment,
       jenem Ableger des Staatsfonds Qatar Investment Authority, der nun
       Eigentümer von PSG ist. Katar ordert hernach auch Flugzeuge von Airbus
       sowie Militärjets. Das kann Zufall sein, der Plan der Katarer, sich
       strategisch in Firmen einzukaufen und Netzwerke zu spinnen, ist es nicht.
       
       Sie gehen sogar so weit, mit geheimdienstlichen Mitteln zu arbeiten, um zu
       ihrem Ziel World Cup zu kommen. Wie die [2][Sunday Times ] darlegt, zeigten
       die Emails eines Whistleblowers, dass die Katarer eine Firma für
       Öffentlichkeitsarbeit sowie frühere Agenten des US-amerikanischen
       Geheimdienstes CIA bezahlten, um falsche Propaganda über ihre Hauptgegner
       im Bewerbungsprozess, die USA und Australien, zu streuen. Bei der Agentur
       soll es sich um Brown Lloyd Jones (BLJ) handeln, die heute als BLJ
       Worldwide firmiert.
       
       ## Konspiration
       
       Auch der ehemalige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Theo Zwanziger,
       wird konspirativ bearbeitet. So wird dem Emirat vorgeworfen, im Zuge der
       WM-Vergabe über die US-Firma Global Risk Advisors Spionageaktionen gegen
       Fifa-Funktionäre orchestriert zu haben. Der Anwalt und Fifa-Aufklärer Mark
       Pieth sagt dazu: „Das ist kein Land, dessen Nähe man suchen sollte.“ Er
       habe kein Interesse an den sportlichen Aspekten dieser WM. „Dieser Ort ist
       derart daneben, dass ich keine Lust habe, Fußball zu schauen.“
       
       Was ihn erzürnt: Die Menschenrechtslage, die offensichtliche Bestechung von
       Fußballfunktionären, die Bespitzelungsaktionen und eine mögliche
       Terrorfinanzierung durch Katar.
       
       Andreas Krieg vom King’s College ist der Meinung, die aktuelle Kritik an
       Katar sei vor allem eine Kritik an der Fifa; man schlägt den Sack und meint
       den Esel: „Die Kommerzialisierung des Fußballs ist der Ursprung dieser
       Ablehnung, sie hat mit der Korruption in der Fifa angefangen. Die Katarer
       absorbieren 95 Prozent dieser Kritik, und die Fifa kommt dabei viel zu gut
       weg“, sagt Krieg, der den Golfstaat zwischen 2013 und 2017 vor Ort
       militärisch beraten hat und für eine differenzierte Sicht auf die „komplexe
       Region“ wirbt.
       
       Die Weltmeisterschaft, sagt er, habe positive Effekte auf das Land: „Die WM
       hat eine Riesentransformation mit sich gebracht, fast eine 180-Grad-Wende.“
       Die Zivilgesellschaft sei gewachsen, die Generation Z „viel liberaler“.
       Solche Veränderungen hätten ohne den Fußball „Jahrzehnte gebraucht“. Anwalt
       Mark Pieth kann den Optimismus nicht teilen. „Sie haben sicherlich nach den
       informellen Regeln der Fifa gespielt, aber aus meiner Sicht entlastet sie
       das überhaupt nicht. Dass sich Katar an die Fifa anschmiegt, das passt ganz
       gut.“
       
       18 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
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