# taz.de -- Individualverkehr in Deutschland: Autogerecht ist ungerecht
       
       > Bei den Deutschen scheint die Liebe zum Automobil in die DNA
       > eingeschrieben. Und die Politik regiert mit Autopilot, anstatt etwas zu
       > ändern.
       
 (IMG) Bild: Die autogerechte Stadt ist am Ende, hier unter der Hochstraße in Ludwigshafen
       
       Das Wort heißt „autogerecht“ – und so, für sich stehend, wäre es nicht
       verwunderlich, wenn es auf einen paradiesischen Zustand verwiese: auf
       Gerechtigkeit, die sich von allein einstellt: autogerecht – automatisch
       gerecht. Als gäbe es einen Algorithmus für Gerechtigkeit. Ein
       Autokorrekturprogramm für alles, was ungerecht ist.
       
       Nur leider ist die Wirklichkeit anders. Das Wort „autogerecht“ ist
       verbraucht, besetzt vom Automobil. In den 60er Jahren des letzten
       Jahrhunderts galt die Maxime des „[1][autogerechten Umbaus der Stadt]“.
       
       Die Stadt sollte gerecht sein fürs Auto. Nicht für den Menschen. Die
       Straßen mussten breit sein; Bäume, die im Weg stehen, wurden gefällt,
       störende Flüsse in Tunnel verlegt, Häuser abgerissen. Was im Krieg nicht
       zerbombt wurde, [2][nun war es dran]. Das wirkt wie eine späte Genugtuung
       für die Kriegsverlierer. Da ist Eroberungswille, und sei es an der
       Heimatfront. Aus der freien Fahrt für Deutsche, was die Nazis ausgiebig
       praktizierten, als sie andere Länder überrannten, wurde dank der
       Siegermächte „freie Fahrt für freie Bürger“. Ein verdummender Slogan, der
       die tradierte Propaganda nicht mal verschleiert.
       
       Dass die Gesellschaft fürs Auto gerecht ausgerichtet sein soll, gilt bis
       heute. Wenn die Proteste der Letzten Generation etwas zeigen, dann genau
       das. Die Autofahrenden, denen der Weg nicht frei gemacht wird, bekommen
       einen dicken Hals. Bei einem Unfall, der sie zum Warten zwingt, zeigen sie
       Verständnis. Sie sind froh, dass ein anderer armer Schlucker dran ist,
       nicht sie. Bei jemandem aber, der ihre Omnipotenz am Steuer ihres
       erweiterten Selbstobjektes, denn nicht weniger ist die Karosse, infrage
       stellt und den Verkehr einfach so zum Stoppen bringt, reißt der
       Geduldsfaden. Der Ruf nach Kriminalisierung, nach harter Bestrafung, nach
       [3][Gefängnis] zeigt es. Klima? Scheißegal. Hauptsache, die Straße ist
       frei.
       
       Die [4][Idee der Autogerechtigkeit] durchzieht die Geschichte der
       Bundesrepublik. Generationen haben daran ihren Wohlstand geschärft. Sie
       [5][steckt in unserer DNA]. Wie sonst könnten wir zulassen, dass allein die
       Straßenflächen, würde man sie nebeneinanderlegen, so viel Platz einnehmen
       wie halb Sachsen oder fast halb Hessen, nämlich [6][9.297
       Quadratkilometer]. Das halbe Hessen eine Asphaltwüste. Niedergemachtes
       Terrain, vom Auto erobert. Was für ein Sieg.
       
       Und das ist ja nicht alles. Das sind nur die Straßen. Kommen die Autos
       dazu. Fast [7][50 Millionen Pkws] sind derzeit zugelassen. Nur Pkws.
       Lastwagen, Anhänger, Landmaschinen und was sonst noch mit einer Karosserie
       umgeben ist, nicht mitgezählt. Auf ungefähr 1,7 Personen, Kinder inklusive,
       kommt also ein Auto. Wird für jedes, das rumsteht, der Platz zugrunde
       gelegt, der ihm in einem Parkhaus zusteht, nämlich maximal [8][5 x 2,5
       Meter], und legt man die Parkplätze der 50 Millionen Autos aneinander,
       ergibt das 625 Quadratkilometer. Das ist zweimal die Fläche von Bremen.
       Oder zweimal München. Oder die Fläche von München und Bremen zusammen. So
       viel Platz nur fürs Rumstehen der Blechkisten.
       
       Deutschland ist keine Autonation, sondern eine Nation der Autosklaven. Mit
       Leichtigkeit zu erobern übrigens, falls wer darin einen Nutzen sehen
       sollte. Es ist ja alles planiert.
       
       Die Menschen, die Natur, das Klima aber bleiben auf der Strecke. Denn in
       der Politik wird mit Autopilot regiert. Niemand traut sich wirklich, die
       [9][Autogerechtigkeit als das zu entlarven, was sie ist] und was sie
       verursacht: reine Ungerechtigkeit. Niemand stoppt sie.
       
       29 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Autogerechte_Stadt
 (DIR) [2] https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.autogerechte-stadt-wie-die-nazis-stuttgart-umbauen-wollten.67a24b7d-7b45-453f-b565-1f24323f4db9.html?reduced=true
 (DIR) [3] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/letzten-generation-union-fordert-offenbar-freiheitsstrafen-fuer-strassenblockierer-a-0c22fe72-0b40-4971-b8cc-8210bee50b70
 (DIR) [4] /Die-Verstaendnisfrage/!5893469
 (DIR) [5] https://www.tagesspiegel.de/wissen/die-autogerechte-stadt-ist-eine-untote-5518858.html
 (DIR) [6] https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Flaechennutzung/Tabellen/bodenflaeche-insgesamt.html
 (DIR) [7] https://www.kba.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Fahrzeugbestand/2022/pm10_fz_bestand_pm_komplett.html
 (DIR) [8] https://de-park.com/parkplatz-masse/
 (DIR) [9] /Privilegien-fuer-Autos/!5892471
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Waltraud Schwab
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Verkehrswende
 (DIR) Autoverkehr
 (DIR) IG
 (DIR) Stadtplanung
 (DIR) Verkehr
 (DIR) Kolumne Starke Gefühle
 (DIR) Auto-Lobby
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Kolumne Starke Gefühle
 (DIR) Radverkehr
 (DIR) Landtagswahl in Niedersachsen
 (DIR) Autobahn
 (DIR) Hannover
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Stillstand als Klima-Strategie: Wie in einer toxischen Beziehung
       
       Es kann so nicht weitergehen – und doch ändert sich nichts. Unsere Autorin
       verzweifelt an den Beharrungskräften der Klimaerhitzer. Und an Olaf Scholz.
       
 (DIR) Jahresrückblick: Weg damit!
       
       Für unseren Autor ist es höchste Zeit, sich vom Denken in Kalenderjahren zu
       verabschieden. Im Jetzt entscheidet sich die Zukunft.
       
 (DIR) Fahrräder auf Parkplätzen: Mehr Stress wagen
       
       Dass Fahrradfahrer animiert werden, ihre Räder auf Parkplätzen abzustellen,
       wird zu Konflikten führen. Genau diese braucht es für die Verkehrswende.
       
 (DIR) Portrait der unterschätzten Stadt Hannover: Eigentlich doch ganz okay hier
       
       Hannover, Landeshauptstadt, Stadt ohne Stadtslogan, ist besser, als viele
       denken. Es hat sogar den Nachkriegsbauwahn überlebt.
       
 (DIR) Rückbau der Berliner Stadtautobahnen: Das Ende der Kiezautobahn
       
       Rot-Grün-Rot möchte zwei Stadtautobahnen im Berliner Süden zurückbauen und
       kratzt damit an einem Dogma der westdeutschen Verkehrspolitik.
       
 (DIR) Hannovers Straßenplanung ohne Fahrräder: Autos über alles
       
       In der niedersächsischen Landeshauptstadt soll der viel befahrene
       Südschnellweg neu gebaut werden. Das wird noch mehr Autoverkehr
       ermöglichen.