# taz.de -- Interne Chats der Hamburger Linken: Sprecher mit gewaltigen Fantasien
       
       > Bei der Hamburger Linken liegen die Nerven blank. In einem Chat werden
       > wegen eines umstrittenen Mitglieds Gedanken über Gewaltanwendung
       > ausgetauscht.
       
 (IMG) Bild: Friedliche Demo, weniger friedliche Chats: Ralf Dorschel neben einer Pace-Flagge im Februar 2022
       
       HAMBURG taz | Die interne Auseinandersetzung der widerstreitenden
       Strömungen in der Hamburger Linkspartei eskaliert immer weiter: In internen
       Chats, die in Auszügen der taz vorliegen, schreiben Genoss:innen
       Beiträge, die sich als Gewaltaufruf [1][gegen ein trollendes
       Linkenmitglied] lesen lassen. Zu den Verfassern gehört auch der
       Pressesprecher der linken Bürgerschaftsfraktion, Ralf Dorschel.
       
       In der Telegram-Gruppe diskutierten Mitglieder über Bijan Tavassoli.
       Tavassoli sorgt wegen seiner Äußerungen und Aktionen bei der Mehrheit der
       Hamburger Linken mittlerweile für Wut.
       
       Und die ist offenbar so groß, dass etwa Dorschel in der Gruppe über den
       künftigen Umgang mit Tavassoli vorschlagend schrieb: „Beton-Fuß und zu den
       Landungsbrücken?“ Ans Ende des Beitrags setzte er noch einen Smiley.
       
       Zuvor hatte es im Chatverlauf bereits zwei weitere Beiträge eines
       Linkenmitglieds gegeben, die in dieselbe Richtung stoßen: So gehörten Leute
       wie Tavassoli nicht nur aus der Partei ausgeschlossen, vielmehr hätten sie
       „für die Gewalt, die sie andern antun […] aufs Maul verdient“. Derselbe
       Verfasser schrieb anschließend, dass er zwar kein Freund körperlicher
       Gewalt sei – „ Aber es gibt Menschen, die auf Worte nicht mehr hören“.
       
       ## Immer wieder Tavassoli
       
       Geschrieben hat diese beiden Beiträge Marco Hosemann. Er war zeitweilig im
       Landesvorstand, ist Mitglied der Bezirksversammlung Hamburg-Nord und in
       vielen außerparlamentarischen Gruppen aktiv. Er bestätigt der taz, dass er
       die Beiträge verfasst hat. Zugleich betont er, die Aussagen zu bedauern.
       
       Öffentlich hätte er sich so nie geäußert und er habe die Beiträge auch
       nicht als Gewaltaufruf gemeint: „Ich habe nur zum Ausdruck bringen wollen,
       dass ich kein Mitleid mit ihm hätte, sollte er Gewalt erfahren.“
       Schließlich füge Tavassoli mit seinem Handeln trans* Personen Leid zu und
       schüre Hass und Ängste ihnen gegenüber. Das habe bei Hosemann für Wut
       gesorgt.
       
       Tavassoli war früher Sprecher der Hamburger Linksjugend Solid, fällt seit
       einigen Jahren mit immer kruderen Positionen und Auftritten auf:
       Vergangenes Jahr etwa freute er sich in den sozialen Medien, dass die
       „US-Imperialisten“ in Afghanistan eine Niederlage erlitten haben.
       
       Mehr noch: Die Taliban könnten die „Kollaborateure“, also jene Afghanen,
       die für fremde Armeen gearbeitet haben, nach Tavassolis Ansicht hinrichten.
       Das sei grundsätzlich okay, denn es handele sich dabei schließlich um
       „Landesverrat“.
       
       ## Eklat beim Parteitag
       
       Zum Eklat kam es auch auf dem Parteitag der Hamburger Linken Anfang
       September: Tavassoli ließ mitteilen, er habe kürzlich das Geschlecht
       gewechselt und kandidiere nun für den weiblichen Spitzenposten.
       
       Stellvertretend für ihn las dann eine mit Maske und Kapuze vermummte Person
       eine wirre Erklärung Tavassolis vor, in der auch Linke-Mitglieder mit
       persönlichen Beleidigungen überzogen wurden.
       
       Dass die Erklärung gar nicht von Tavassoli stammt, wie er – beziehungsweise
       sie – später mitteilte, ist zweifelhaft. Auch am vergangenen Freitag
       versuchte Tavassoli die Hamburger Linke zu trollen: Bei der Flinta*-Demo
       zum Tag gegen Gewalt an Frauen konfrontierte Tavassoli mit laufender Kamera
       Demo-Teilnehmer:innen der Linkspartei und versuchte sie bloßzustellen. Auch
       andere Aktionen sorgten in Linkenkreisen zuletzt für Entsetzen.
       
       Wegen der Taliban-Aussagen war Tavassoli bereits aus der Hamburger
       Linkspartei ausgeschlossen worden, auf Bundesebene legte er beziehungsweise
       sie jedoch erfolgreich Widerspruch ein. Ein zweites Ausschlussverfahren
       wegen des Eklats auf dem vergangenen Parteitag läuft dagegen derzeit noch.
       
       ## War es nur ein Scherz?
       
       Ralf Dorschel erklärt, er habe mit seinem Beitrag auf die intern
       diskutierte Frage geantwortet, „wie sich mit so einer Situation angemessen
       umgehen ließe“. Ernst habe er seine Aussage keinesfalls gemeint. „Es ist
       offensichtlich, dass es sich um einen Scherz handelt. Dies bewusst
       misszuverstehen und mir Gewaltfantasien zu unterstellen, ist absurd“, teilt
       Dorschel mit.
       
       Dorschel ist seit September 2020 Pressesprecher der Bürgerschaftsfraktion.
       Zuvor arbeitete er als Journalist und war lange Zeit Redakteur bei der
       Hamburger Morgenpost.
       
       Kritik an den Chatbeiträgen kommt von der [2][linken Hamburger
       Bundestagsabgeordneten Żaklin Nastić.] Sie hält die Aussagen für
       Gewaltfantasien oder als Aufruf zur Gewalt und kritisiert die
       Bürgerschaftsfraktion und die Landesverbandsspitze dafür scharf.
       Tatsächlich ist ein beträchtlicher Teil der Fraktion und des Vorstands
       Mitglied der Chatgruppe – und sah sich bislang offenbar nicht zum
       Widerspruch genötigt.
       
       Dass Nastić zügig und öffentlich Kritik an Fraktion und Landesverband
       formuliert, überrascht kaum: Nastić und ihr Lager sind nach dem jüngsten
       Parteitag an den Rand der Partei gedrängt worden. Nastić gilt in der
       Bundestagsfraktion als stramme Anhängerin von Sahra Wagenknecht.
       
       ## Erbitterter Streit in der Partei
       
       Auch auf Landesebene versucht der Flügel, den Kurs der Linken anlässlich
       des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine auf Kritik an der Nato zu
       trimmen. Wegen Aufrufen aus diesen Kreisen zur Teilnahme an sogenannten
       Friedensdemonstrationen, die vor allem den Wirtschaftskrieg des Westens
       geißeln, sind auch in Hamburg die Querfront-Vorwürfe laut.
       
       Nach dem Parteitag hat der Nastić-Flügel kaum noch parteiinternen Einfluss:
       [3][Zuvor hatten sich unterschiedliche Strömungen] – von den
       Bewegungslinken bis hin zu den Reformer:innen – zusammengeschlossen und
       nahezu alle relevanten Posten erobert. In der Gruppe, aus der die Aussagen
       über Tavassoli stammen, kommuniziert dieses Bündnis als „Konkret Linx“.
       
       Die beiden [4][neuen Landesvorsitzenden, Sabine Ritter und Thomas Iwan,]
       die diesem Lager zuzuordnen sind, kritisieren die in den Chats geäußerten
       Beiträge: „Die im Screenshot zu erkennenden Akteure haben sich eindeutig
       im Ton vergriffen. Dies wurde ihnen sowohl in- als auch außerhalb der
       Chatgruppe direkt deutlich gemacht.“ Damit sei für sie der Fall abgehakt.
       „Wir werden die ständigen Versuche Einzelner, Unruhe in den Hamburger
       Landesverband zu bringen, nicht mit weiterer Aufmerksamkeit würdigen.“
       
       28 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Linken-Landesparteitag-in-Hamburg/!5881124
 (DIR) [2] /Zerwuerfnis-bei-Hamburger-Linken/!5834269
 (DIR) [3] /Aufruf-von-Linken-Politikerinnen/!5887876
 (DIR) [4] /Hamburgs-Linke-in-der-Krise/!5879060
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) André Zuschlag
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Hamburg
 (DIR) Die Linke Hamburg
 (DIR) Linksjugend Solid
 (DIR) Hamburg
 (DIR) Parteitag
 (DIR) Die Linke Hamburg
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Angeblich Strafanzeige erstattet: Schlammschlacht bei der Linken
       
       Bundestagsabgeordnete Żaklin Nastić wirft dem Hamburger Vorstand vor, ihr
       Büro betreten und durchsucht zu haben. Es gibt Zweifel an ihren Aussagen.
       
 (DIR) Linken-Landesparteitag in Hamburg: Drei Viertel wollen Politik machen
       
       Nach viel Streit und einem Eklat: Beim Parteitag der Hamburger Linken
       setzten sich die pragmatisch Orientierten klar durch.
       
 (DIR) Hamburger Linke-Mitglied feiert Taliban: Eine Reihe von Entgleisungen
       
       Ein Mitglied der Linken billigt die Todesstrafe für Nato-“Kollaborateure“.
       Die Partei will ihn ausschließen – hat aber zu viele Problemfälle.