# taz.de -- Aufruf von Linken-Politiker:innen: Gegen den Linkskonservatismus
       
       > Die Linke steckt in einer tiefen Krise. Zahlreiche Politiker:innen
       > der Partei plädieren nun für einen Bruch mit dem Wagenknecht-Flügel.
       
 (IMG) Bild: Von einer Krise in die nächste: Viel Zeit, um die Linkspartei zu verändern, bleibt wohl nicht mehr
       
       BERLIN taz | Bei allen vier Landtagswahlen in diesem Jahr [1][unter drei
       Prozent]: Keine Frage, die Linkspartei befindet sich [2][in einem
       desaströsen Zustand]. Ob sie überhaupt noch eine Zukunft hat, ist mehr als
       offen. „Die Linke ist in einer existenziellen Krise“, sagt der frühere
       Bundestagsabgeordnete Thomas Nord der taz. „Wenn sie in absehbarer Zeit
       nicht eindeutig klärt, wofür sie steht, fällt sie im Verlauf des kommenden
       Jahres in die Bedeutungslosigkeit.“
       
       Das will der 64-jährige Ex-Linken-Bundesschatzmeister und langjährige
       brandenburgische Landesvorsitzende verhindern. Doch die Zeit drängt. Auf
       ihrem Höhepunkt 2009 verzeichnete die Linke noch mehr als 78.000
       Mitglieder, inzwischen zählt sie gerademal etwas über 56.000 Mitglieder,
       wobei seit dem Frühling die Zahl der Austritte stark zugenommen hat. Mit
       einer ganzen Reihe von Mitstreiter:innen hat Nord nun einen
       Rettungsversuch gestartet. Es ist das Plädoyer für einen Bruch.
       
       In ihrem der taz vorliegenden Aufruf zu einer Sammlung der progressiven
       Kräfte in der Linkspartei fordern sie als Ausweg aus der Krise nicht
       weniger als einen klaren Trennungsstrich zu Sahra Wagenknecht und ihrem
       Anhang: „Die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit der Linken erfordert,
       die Koexistenz mit dem Linkskonservatismus in der Partei zu beenden.“ Das
       ist eine klare Ansage.
       
       Unterzeichnet haben den Aufruf etliche Bundes-, Landes-, Europa- und
       Kommunalpolitiker:innen der Linkspartei. Das Spektrum reicht von
       den Bundestagsabgeordneten [3][Gökay Akbulut, Cornelia Möhring und Martina
       Renner] über die Berliner Ex-Senatorinnen Elke Breitenbach und Katrin
       Lompscher bis zu der Europaabgeordneten Cornelia Ernst, der Leipziger
       [4][Landtagsabgeordneten Jule Nagel] und dem Pankower Bezirksbürgermeister
       Sören Benn.
       
       Bemerkenswert ist, dass sich die Aufrufer:innen unterschiedlichen
       Parteiströmungen zuordnen. „[5][Bewegungslinke]“ wie der stellvertretende
       Parteivorsitzende Lorenz Gösta Beutin oder die Bremer
       Bürgerschaftsabgeordnete Sofia Leonidakis sind ebenso dabei wie die
       sächsische Landtagsvizepräsidentin Luise Neuhaus-Wartenberg,
       Bundessprecherin des reformerischen [6][Forums Demokratischer Sozialismus]
       (FDS). Es sei „an der Zeit, den Kampf um den progressiven Charakter der
       Partei auf allen Ebenen und über die Grenzen bisheriger Konflikte hinweg
       gemeinsam zu führen“, heißt es in dem Aufruf.
       
       ## „Jede Glaubwürdigkeit der Partei zerstört“
       
       Nach der Auffassung der Aufrufverfasser:innen hat Wagenknecht mit der
       Veröffentlichung [7][ihres Buches „Die Selbstgerechten“] im April 2021 und
       der darin enthaltenen Konzeption eines „Linkskonservatismus“ eine Art
       Gegenprogramm vorgelegt. Dieser von Wagenknecht und ihrem Anhang vertretene
       Linkskonservatismus sei „radikal gegen das Programm der Partei gerichtet,
       bekämpft es aggressiv mit gesellschaftspolitisch regressiven, reaktionären
       Positionen und entsprechenden öffentlichen Aktivitäten“. Dadurch werde jede
       Glaubwürdigkeit der Partei zerstört und sie politikunfähig gemacht,
       konstatieren die Verfasser:innen.
       
       Egal ob es um Flucht und Migration, um Klimaschutz, um die
       Covid-19-Pandemie oder den Ukraine-Krieg geht: Tatsächlich vertraten und
       vertreten Wagenknecht und ihre geradezu religiös-fanatische
       Anhänger:innenschaft immer wieder Positionen, die in einem krassen
       Widerspruch zur offiziellen Parteilinie stehen. Ihr Kurs lässt sich als
       sozialpopulistisch, nationalistisch, antiökologisch und
       gesellschaftspolitisch konservativ beschreiben.
       
       So attackiert die Ex-Bundestagsfraktionsvorsitzende in ihrem am Mittwoch
       nun auch als Taschenbuch erschienenen [8][Bestseller] mit scharfen Worten
       jegliche emanzipatorischen Bewegungen, denen sich die Linkspartei
       eigentlich verbunden fühlt: von Fridays for Future über Black Lives Matter
       bis zum Seebrücke-Bündnis – für Wagenknecht alles unerquickliche
       Veranstaltungen einer degenerierten „Lifestyle-Linken“, die den Bezug zu
       den wahren gesellschaftlichen Problemen verloren habe.
       
       ## „Antagonistische Positionen“
       
       Im Anti-Wagenknecht-Aufruf heißt es jetzt, der von führenden
       Parteifunktionär:innen immer wieder unternommene Versuch,
       antagonistische Positionen in zentralen gesellschaftspolitischen Fragen
       einfach auszublenden, sei „nachhaltig gescheitert“. Sich konträr
       gegenüberstehende Ausrichtungen ließen sich nicht vereinen, indem die Linke
       auf eine „Sozialstaatspartei“ und Protest reduziert werde.
       
       Unübersehbar sei, dass die jeweils angesprochenen Milieus sich bei Wahlen
       und auch in ihren alltäglichen Überzeugungen ablehnend gegenüberstehen und
       sich gegenseitig demobilisieren. Die „politisch zerstörerische Koexistenz
       mit linkskonservativen Bestrebungen in der Partei“ dürfe nicht fortgesetzt
       werden. Dazu gehöre, dass eine direkte oder auch indirekte Unterstützung
       von Autokraten und Diktatoren unvereinbar mit linker Politik sei.
       
       Am 3. Dezember soll in Berlin ein erstes bundesweites Vernetzungstreffen
       der „progressiven Linken“ stattfinden. „Eine Partei, die den Kampf für
       soziale Gerechtigkeit und für die Verteidigung der Demokratie unteilbar
       verbindet, wird gerade jetzt dringend gebraucht“, sagt Thomas Nord. Noch
       gebe es für ihn die Hoffnung, dass die Linke das sein könnte. „Aber sie
       zerbröselt, wenn sie keine Richtungsentscheidung trifft.“
       
       13 Oct 2022
       
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