# taz.de -- Bremer Linkensprecher über Wagenknecht: „Nicht in dieser Partei“
       
       > Am Wochenende treffen sich Partei- und Fraktionschefs der Linken aus
       > Bund und Ländern. Christoph Spehr hält Sahra Wagenknechts Eskapaden für
       > nicht mehr hinnehmbar.
       
 (IMG) Bild: Betreibt mit ihren Auftritten Antiwerbung für die Partei, Sahra Wagenknecht
       
       taz: Herr Spehr, die Linkspartei befindet sich in einem desaströsen
       Zustand. Welche Erklärung haben Sie dafür? 
       
       Christoph Spehr: Ich glaube, es gibt zwei unterschiedliche, aber
       zusammenhängende Probleme. Zum einen haben wir einen Kreis von Leuten in
       wichtigen Positionen, die ständig erzählen, dass diese Partei schlecht sei,
       die soziale Frage verraten würde und man eigentlich mit ihr nichts mehr
       anfangen könne. Das kann der Partei nicht guttun. Zum anderen habe ich den
       Eindruck, dass [1][die internen Auseinandersetzungen] viel Kraft gebunden
       haben, sodass es einfach jede Menge Fragen gibt, mit denen wir uns zu wenig
       beschäftigt haben. Da gibt es einen großen Nachholbedarf.
       
       Mit diesen Leuten, die die Linkspartei schlechtreden, meinen Sie [2][Sahra
       Wagenknecht und ihren Anhang], oder? 
       
       Ja, das ist so. Wenn du ein sehr prominentes Mitglied der
       Bundestagsfraktion hast, das mit seinen Auftritten Antiwerbung für die
       Partei betreibt, dann hast du ein ziemlich massives Problem. Das gilt
       beispielsweise für die fatale und falsche Denunziation der Linken, ihr
       sei die soziale Frage wurscht geworden. Das ist nicht länger hinnehmbar.
       Das kann man finden, aber eigentlich nicht in dieser Partei.
       
       Wie kann dieses Problem gelöst werden? 
       
       Es muss eine Verständigung darüber geben, dass jemand, der dauernd
       bekundet, mit dieser Partei nichts mehr anfangen zu können, nicht für diese
       Partei oder deren Fraktion sprechen kann. Wer darüber spekuliert,
       eigentlich eine andere Partei zu wollen, muss erst mal sein Verhältnis zur
       Linken klären. Das muss man klarmachen. Und wenn eine solche Person
       merkwürdige Sachen erzählt, muss ihr eindeutig und deutlich öffentlich
       widersprochen werden.
       
       Welche merkwürdigen Sachen meinen Sie? 
       
       Nehmen wir nur einmal den Ukrainekrieg: Wenn ein Land ein anderes angreift,
       gilt unsere Solidarität [3][den Menschen in dem Land, das angegriffen
       worden ist]. Da darf es keinen Zweifel geben. Ein anderes Beispiel: Es
       funktioniert nicht zu sagen, der Hauptfeind seien die Grünen, das sei die
       gefährlichste und schlimmste Partei. Das ist nicht nur falsch, sondern
       heißt auch: Wir signalisieren, dass wir nicht wissen, wo wir im
       Parteienspektrum stehen. Das halte ich für verheerend.
       
       Aber ist Wagenknecht wirklich das einzige Problem der Linkspartei? 
       
       Nein, leider nicht. Eine Reihe ganz stabiler identitätsbildender Punkte für
       die Linke, wie die Erinnerung an die rot-grüne Regierung Gerhard Schröders
       mit ihrer Agenda 2010, sind in die Jahre gekommen und reichen nicht mehr
       aus. Es gibt einfach nicht mehr genug Leute, die dich aus Protest gegen das
       wählen, was früher mal SPD und Grüne gemacht haben. Das schwitzt sich aus.
       
       Sie meinen, Protest alleine reicht nicht mehr? 
       
       Das ist es nicht allein. Zur Identität der Partei gehörte es immer auch,
       dass sie so etwas wie das fleischgewordene schlechte Gewissen von SPD und
       Grünen war. Von dieser Funktion kannst du jedoch nicht ewig leben. Genauso
       wie du im Osten nicht ewig davon leben kannst, dass du als ein
       Resonanzboden und auch in gewissem Maße als ein Problemlösungsinstrument
       erschienen bist für all die extrem schwierigen Prozesse der Vereinigung.
       Beides war sehr identitätsbildend, schwächt sich jedoch ab und ist
       irgendwann nicht mehr ausreichend.
       
       Was folgt daraus? 
       
       Die Linkspartei wurde 2007 gegründet, unser Grundsatzprogramm stammt aus
       dem Jahr 2011. Seitdem ist viel passiert in Deutschland und der Welt. Da
       ist zum einen natürlich die Dringlichkeit der Klimafrage, der wir stärker
       Rechnung tragen müssen. Zum anderen sehen wir eine Vielzahl an sozialen
       Erosionsprozessen, die anders beantwortet werden müssen als früher. Es
       gibt objektive Prozesse, die die untere Einkommenshälfte der Gesellschaft
       seit Längerem in den Abstieg drängen. Da musst du etwas Aktives
       dagegensetzen. Dafür eine Gegenstrategie zu formulieren ist nicht ganz
       einfach und erfordert auch mehr als nur ökonomische Umverteilung.
       
       Sehen Sie denn noch eine Perspektive für Ihre Partei? 
       
       Der Laden hatte immer schon Krisen, die potenziell existenzbedrohend waren.
       Es gab auch früher Punkte, wo es auch sehr schwierig war, die Kurve zu
       kriegen. Nur passiert es heutzutage sehr viel schneller, dass du bei Wahlen
       unter die Wasserlinie gedrückt wirst, weil Stammwählerschaften keine Bank
       mehr sind. Das macht die Situation kritisch. Aber auch wenn es angesichts
       der aktuellen Krise seltsam klingen mag, war im Grunde die Entwicklung der
       Partei in den letzten Jahren positiv: Für eine Außenpolitik im Stil der
       DKP, ein offenes Anknüpfen an rechtspopulistische Versprechungen, ein
       unkritisches Zurück zum idealisierten nationalen Klassenkompromiss des
       Fordismus, für Feldzüge gegen neue Milieus, Sympathie mit autoritären
       Regimen oder für das Ausrufen der Grünen zum Hauptfeind der
       Arbeiterbewegung gibt es in der Linken keine Mehrheiten. Das ist vernünftig
       und fortschrittlich.
       
       Glauben Sie, dass es eine Parteispaltung geben wird? 
       
       Ich glaube nicht, dass es eine Parteispaltung im Sinne eines größeren
       Risses geben wird. Nach meinem Eindruck ist die Bereitschaft, Sahra
       Wagenknecht bei irgendeiner eventuellen Neugründung zu folgen, sehr gering.
       Aber dass alle Mitglieder der Bundestagsfraktion ihr auch noch bis zum Ende
       der Legislaturperiode angehören werden, würde mich wundern.
       
       9 Dec 2022
       
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