# taz.de -- Die Wahrheit: Wohnen in den Weiten des Nichts
       
       > Wider den Wohnraummangel: Bundesbauministerin Klara Geywitz hat eine
       > luftige Idee für künftige Unterkünfte.
       
 (IMG) Bild: Die Fuchtelweltmeisterin Klara Geywitz
       
       Das Modell einer Reihenhaussiedlung im Besprechungsraum des Berliner
       Bundesbauministeriums scheint zu schweben. In der Luft. Tatsächlich wird es
       an seidenen Fäden gehalten, die von Heliumballons herabreichen. Auch Klara
       Geywitz scheint zu schweben, als sie passend zum Anlass, in Ballonkleider
       gehüllt, auf leisen Sohlen in den Raum gleitet.
       
       „Ich könnte platzen vor Freude – wie ein Luftballon“, kreischt die
       ansonsten zur Zurückhaltung neigende Bundesbauministerin vor Begeisterung
       über ihre allererste eigene Initiative in der Ampelregierung, die sie zu
       Wochenbeginn in der Hauptstadt der Weltpresse präsentierte. Das Vorhaben
       trägt den Namen „Wohnen in der Luft“.
       
       Geywitz kommt umgehend zur Sache. „‚Wohnen in der Luft‘ bedeutet, der
       Luftraum wird bebaut.“ Dies erweitere den Spielraum des Wohnens um ein
       Vielfaches. Nicht nur Wohnraum lasse sich so nach Belieben stapeln, auch
       fünf Kelleretagen oder dreizehn Dachböden übereinander seien möglich. „Mit
       ‚Wohnen in der Luft‘ können Wohnideen im wahrsten Sinne des Wortes in den
       Himmel wachsen“, freut sich die sonst so unscheinbare Politikerin, „und
       das, ohne wertvollen Boden versiegeln zu müssen.“ Außerdem schütze das
       Projekt vor Überschwemmungen und sei damit die ideale Wohnform für die
       kommenden Folgen des Klimawandels.
       
       Die Blicke der Journalisten strahlen eine Mischung aus Verwirrung,
       Ungläubigkeit und Belustigung aus. Bislang war Klara Geywitz einfach nur
       ein unbekanntes Gesicht in Berlin. Jetzt sorgt die Ministerin für einen
       Paukenschlag, der weit ins Land hinein zu hören ist.
       
       ## Proseminar Körpersprache
       
       Gleywitz, die im Grundstudium der Politikwissenschaften an der Uni Potsdam
       ein Proseminar zur Körpersprache belegt hat, unterfüttert ihre
       atemberaubende Rede mit rudernden Armen: „Das Konzept basiert auf
       naturwissenschaftlich fundierten Berechnungen. Wir machen uns die
       physikalischen Eigenschaften heißer Luft zunutze, die immer nach oben
       steigt. Die Gebäude werden auf Luftkissen errichtet, die mit dieser heißen
       Luft gefüllt und mit einem Seil am Boden befestigt sind. So steht das Haus
       felsenfest in der Luft verankert.“
       
       Das Ganze funktioniere also ein wenig anders als das Modell im Raum, das
       man aus Gründen der Arbeitssicherheit nicht am Boden festbinden durfte,
       erklärt Geywitz mit einem kurzen Seitenblick auf das schwebende Reihenhaus,
       um sich in Windeseile wieder ihren Projektbeschreibungen zu widmen.
       
       „Mit der Heißluft wird die Wohnung auch geheizt.“ Damit sei das Baukonzept
       äußert nachhaltig, betont Geywitz. Die Beheizung der Luftkissen erfolge
       mittels Stroms, der über Solarpanels auf den Dächern der Häuser erzeugt
       wird. Durch das Luftkissen werden weitere Schläuche geführt, die Warm-,
       Brauch- und Abwasser hin- und herleiten und außerhalb der Wohnbebauung über
       sogenannte Luftboden-Schlauchanlagen mit den Wasserwerken auf dem Boden
       verbunden werden.
       
       Mangels vorliegender Powerpointpräsentation unterstreicht Geywitz ihre
       Erklärungen mit wilden Fuchtel- und Schlängelbewegungen, die geradezu eine
       Sogwirkung auf die Betrachter entwickeln, weshalb sie sofort verstehen,
       dass für die Personenbeförderung vom Haus zum Boden eigens Schlauchsysteme
       eingerichtet werden. „Die funktionieren ähnlich wie die Ihnen bekannte
       Rohrpost“, erläutert die Ministerin. „Ist das für Normalbürger überhaupt
       finanzierbar? Solche windigen Projekte können sich doch nur Superreiche
       leisten“, meldet sich eine Reporterin der New York Times. „Mitnichten!“,
       reagiert Geywitz. „Luft ist ein freies Gut – im Gegensatz zum Boden. Man
       muss also keinen Grund erwerben. Wohnen in der Luft ist sozialer Wohnbau.
       Ich muss das wissen, ich bin nämlich Sozialdemokratin.“
       
       ## Ministerin mit Visionen
       
       Und schon gerät die Ministerin wieder in Fahrt und eröffnet den Anwesenden
       weitere Visionen. „Stellen Sie sich nur einmal vor, wir bauen 150 Meter
       Wohnung in die Höhe. Das würde Platz schaffen für 50 Haushalte
       übereinander. Das bedeutet eine Verfünfzigfachung des
       Quadratmeterwohnpotenzials QMWP!“ Sie schreibt groß QMWP auf eine
       Schiefertafel hinter sich, die Kreide quietscht unangenehm in den Ohren.
       
       „Ungeahnte Möglichkeiten ergeben sich, wenn wir das Wohnkonzept auf die
       Troposphäre ausdehnen würden und dann 15 Kilometer Luftraum ausnützen. Und
       das werden wir“, bekräftigt Klara Geywitz, indem sie mit ihrer festen Faust
       in die andere Hand schlägt.
       
       Man kann der Ministerin in diesem Moment beim Nachdenken zusehen. Ihr ist
       offenbar schon das Nachfolgekonzept eingefallen, das sie ganz in Gedanken
       versunken leise vor sich hin haucht: „Wohnen über den Wolken.“ Dann summt
       sie das fast gleichnamige Lied von Reinhard May und gleitet wieder aus dem
       Raum. Dazu spielt sie ein wenig Luftgitarre.
       
       14 Dec 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Günter Flott
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Klara Geywitz
 (DIR) Bauministerium
 (DIR) Wohnen
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Arbeitswelt
 (DIR) Aufräumen
 (DIR) Die Wahrheit
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Wahrheit: Das Gaunerding da
       
       Plötzlich tauchen am Haus Gaunerzinken auf und man wird zum lohnenden
       Objekt der Begierde von Schurken im Dunkeln. Die Furcht vor Dieben geht um.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Zombies für den Arbeitsmarkt
       
       Eine Recruitingfirma bereitet verstorbene Mitarbeiter digital zur posthumen
       Verwendung auf und stößt in ganz neue lethale Arbeitsfelder vor.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Wer den Staub sät …
       
       Ein niederländischer Forscher studiert seit Jahren konstruktive Effekte
       fortschreitender Verwahrlosung im heimischen Umfeld.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Barrierefreie Geschosse
       
       Das Lebensalter steigt und mit ihm der Anteil der Senioren in der
       Bevölkerung. Wie ist es so, das Leben in der Gerontokratie?
       
 (DIR) Die Wahrheit: Beim Treffen der Obleute
       
       Ob diese Kolumne nicht zu weit geht? Soviele Obs in einem Text... obwohl,
       ob der Häufigkeit der Silbe in einem einzigen Artikel – lesen Sie selbst!