# taz.de -- In der Ukraine ohne Strom und Wasser: Wenn der Heizlüfter brennt
       
       > Unser Autor ist per Bahn nach Odessa gefahren. Dort lernt er eine Frau
       > kennen, die mit einem abgelaufenen russischen Pass in der Ukraine lebt.
       
 (IMG) Bild: Stadt ohne Strom: Straßenszene in Odessa am 5. Dezember
       
       Kurz nach 6 Uhr hält der Zug in der Dunkelheit. Wenn die Zugbegleiterin
       nicht gesagt hätte, dass wir nun im Hauptbahnhof von Odessa sind, hätte man
       es nicht gemerkt. Völlig dunkel auf diesem Bahnhof, nur einige
       Taschenlampen bewegen sich hin und her.
       
       Am Vortag waren sie wieder eingeschlagen, im Gebiet Odessa. Russische
       Raketen. Seitdem geht nichts mehr, kein Strom, kein Wasser, keine Heizung
       in der Stadt.
       
       Auch in der Innenstadt das gleiche Bild wie am Bahnhof. Völlige Dunkelheit,
       nur ein paar Taschenlampen, die sich bewegen. Lediglich vor einer Bäckerei
       knattert ein Generator. Hier gibt es Licht und Brötchen.
       
       Laura, meine Vermieterin für die nächsten Tage, zeigt mir mein Zimmer. Die
       Wohnung ist kalt. In der Küche angekommen, zieht sie als erstes den Stecker
       aus dem Kühlschrank. “Wieso ziehen Sie den Stecker aus einem Gerät, wenn
       wir doch eh keinen Strom haben?“ frage ich sie. „Genau deswegen“ antwortet
       sie. „Ich mache meine elektrischen Geräte immer erst eine halbe Stunde
       nachdem es wieder Strom gibt an. Denn wenn alle gleichzeitig ihre Geräte
       anschalten, ist das nicht nur eine große Belastung für das Netz, das ist
       auch gefährlich.“ Bei ihrer Nachbarin sei so dieser Tage ein Heizlüfter in
       Brand geraten.
       
       Laura heißt eigentlich Larissa, aber so will die 35-jährige nicht mehr
       genannt werden. Sie hat einen abgelaufenen russischen Pass und keine
       Aufenthaltsgenehmigung für die Ukraine. „Ich bin sozusagen illegal hier“,
       sagt sie lachend und und deswegen möchte sie auch nicht mit ihrem Nachnamen
       in der taz erscheinen. „Glücklicherweise ist Odessa nicht Deutschland. Die
       Gesetze sind hier streng, die Handhabung aber sehr locker.“ Niemand
       interessiere sich für sie. „Frauen werden nie kontrolliert. Aber alle meine
       Bekannten wissen, dass ich einen abgelaufenen russischen Pass habe – und
       niemanden interessiert das“, sagt sie.
       
       Hier in Odessa, erzählt sie, leben viele Russ*innen ohne gültige Papiere.
       Und könnten trotzdem ungestört ihrer Arbeit nachgehen, sich auch in der
       Öffentlichkeit zeigen. „Was machen Sie, wenn Sie mal ins Krankenhaus
       müssen. Dann sehen die ja, dass Sie keine gültigen Papiere haben?“ werfe
       ich ein. „Ach im Krankenhaus wollen die nur eins wissen: Ob ich bezahlen
       kann oder nicht.“ Ich frage weiter: „Und wie ist es dann mit einer Rente
       später?“ Sie schaut mich an: „Auf diese 50 Euro werde ich wohl verzichten
       müssen. Meine Rente ist diese Wohnung hier, in der ich die Zimmer
       vermiete.“
       
       Probleme hat sie jedoch trotzdem. Mit einem abgelaufen russischen Pass darf
       man nicht Zug fahren und heiraten kann sie ihren ukrainischen
       Lebenspartner, mit dem sie ein Kind hat, auch nicht. Theoretisch könnte man
       zwar im Ausland heiraten. Aber ihr Lebenspartner darf als Mann nicht das
       Land verlassen und sie kommt mit ihrem abgelaufen russischen Pass auch
       nicht weit. Die Beziehung zu ihrer Familie in Russland ist sehr angespannt.
       Ihr Vater und alle ihre Brüder unterstützen den russischen Krieg gegen die
       Ukraine, glauben der russische Propaganda. „Was soll ich mit denen noch
       reden?“, fragt sie.
       
       Verlassen will die „Papierlose“ Odessa nicht. „Warum auch? Ich bin hier in
       der Kunstszene eine feste Größe, habe meine Familie, und ein Einkommen.“
       
       8 Dec 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Clasen
       
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