# taz.de -- In Kyjiw ohne Strom und Wasser: Bis der Kühlschrank endlich brummt
       
       > Nach den russischen Raketenangriffen gibt es in Kyjiw kaum Strom. Unser
       > Autor schildert in einer Mail, wie er im dunklen Kyjiw nach Internet
       > sucht.
       
 (IMG) Bild: Nur die Autos spenden Licht in Kiew: Straßenlaternen und Ampeln funktionieren nicht
       
       Liebe taz-Auslandsredaktion,
       
       ich habe mich nun fast einen Tag nicht mehr gemeldet. Und das hat Gründe,
       die ich im Folgenden darlegen möchte. Seit gestern 14 Uhr bis heute Morgen
       4:20 Uhr hatte ich keinen Strom, kein Internet und kein fließendes Wasser
       mehr. Dann ging es eine Weile gut – aber ab 5:00 waren wieder kein Strom,
       kein Wasser und kein Internet da. Deswegen möchte ich mal schildern, unter
       welchen Umständen ich [1][meinen gestrigen Artikel] abgeschickt habe.
       
       Sobald mir klar war, dass in den nächsten Stunden mit Internet nicht zu
       rechnen ist, habe ich mein Notebook in meine Satteltasche gepackt, mich
       aufs Fahrrad gesetzt, bin Richtung Innenstadt. Dort soll es ja, so heißt
       es, Internet und Strom geben.
       
       Überall waren die Geschäfte zu, in den Häusern brannte kein Licht. Ich bin
       an einer Pizzeria vorbeigefahren. Da brannte Licht und es saßen Leute
       drinnen. Aber als ich mit meinem Smartphone in deren Internet wollte,
       merkte ich, dass die auch kein Internet haben. Also bin ich weiter
       geradelt.
       
       Nach 20 Minuten, ich war fast schon im Zentrum, habe ich dann gesehen, dass
       in den Häusern Licht brennt. Also habe ich auf meinem Smartphone
       nachgesehen, ob hier Internet ist. Und ja, hier gab es Internet. Ich habe
       mein Fahrrad auf dem Gehsteig abgestellt, den Hotspot auf dem Smartphone
       aktiviert, mein Notebook auf den Gepäckträger gelegt – und meinen Text
       abgeschickt.
       
       Und dann bin ich wieder zurückgeradelt in die telefon- und internetfreie
       Zone.
       
       ## Heute wohl das gleiche Spiel
       
       Mein Kühlschrank, der brummt immer, ist laut und wenn er anspringt, wackelt
       die Küchentür. Kurzum: er nervt. Doch wie habe ich mich heute gefreut, als
       er mal kurz angesprungen ist und ich endlich wieder den vertrauten Sound
       des Kühlschrankes hören konnte.
       
       Wasser gibt es immer noch nicht. Und wenn ich Geschirr spüle, geht das
       Wasser natürlich nicht einfach so aus dem Becken in den Abguss. Man kann es
       ja noch in der Toilette verwenden. Wasser sparen ist jetzt wichtig.
       Glücklicherweise habe ich über 50 Liter Trinkwasser gebunkert. Aber
       Trinkwasser für die Toilette verwenden, das geht schon mal gar nicht.
       
       Ich hab auch noch zehn Packungen zum Brot backen. Da werde ich mich wieder
       mal dran machen, Brot zu backen. Schon lange nicht mehr gemacht.
       
       Nachts ist es so ruhig und so dunkel wie im Bayerischen Wald. Wegen der
       Ausgangssperre ist kein Auto zu hören, und wegen des Stromausfalles ist es
       absolut dunkel. Ich werde jedenfalls die nächsten Tage nicht mehr nach 20
       Uhr in meine Wohnung zurückkehren. Ist schon ein bisschen unheimlich in
       einem absolut dunklen Gebiet zu radeln.
       
       ## Gut, dass die Heizung funktioniert
       
       Wie jeden zweiten Morgen war ich auch heute beim Joggen. Und wenn ich die
       ganzen Hochhäuser beim Joggen am Sportplatz beobachte, bietet sich mir ein
       einziges Trauerspiel: nirgends Licht. D.h. auch ich habe jetzt kein Licht
       die nächsten Stunden.
       
       Doch dann, kurz bevor ich mein Training beendet habe, endlich der
       Hoffnungsschimmer: eindeutig, da ist Licht im Fenster von einem Hochhaus im
       Erdgeschoss, sogar ziemlich stark. Also keine Akkutaschenlampe. Freudig
       renne ich weiter, wissend, dass mich bald Licht, Strom und Internet
       erwarten werden. Doch wenige Sekunden später die Enttäuschung: im Fenster
       dieser Wohnung hatten sich nur Scheinwerfer eines Autos von der anderen
       Straßenseite gespiegelt. Das Auto dreht und ist weg, meine Hoffnung auf
       baldigen Strom auch.
       
       Es regnet und taut. Ich bin per Rad mitten in der Stadt, auf der Suche nach
       Internet. Vor einem Wohnhaus tragen zwei Frauen kleinere Wannen an den
       Hausrand heran. Sie stellen sie direkt unter die Regenrinne, aus der
       normalerweise das Wasser auf die Straße plätschert. Mein Gott, kommt es
       mir, die sammeln hier Brauchwasser auf. Aber Wasser sparen ist natürlich
       wichtig.
       
       ## Balkon ersetzt Kühlschrank
       
       Dann um 15 Uhr die erlösende Nachricht: Der Präsidentensprecher Kyrylo
       Tymoschenko teilt mit, man habe in alle Gebiete der Ukraine wieder Strom
       geliefert. Heißt das, dass alles vorbei ist, frage ich mich? Ich trete also
       in die Pedale und mache mich freudig auf den Weg vom Stadtzentrum in meine
       Wohnung am Stadtrand.
       
       Etwa um 16 Uhr geht die Sonne in Kyjiw unter. Auf der Straße gilt meine
       Sympathie den Fußgängern. Sie machen wirklich nichts falsch. Stehen nur da,
       wo sie sonst auch immer stehen und warten, bis das grüne Ampelmännchen
       kommt. Doch heute bleibt die Ampel dunkel und die Autos brettern
       schonungslos an der kleinen Gruppe der Menschen mit den verängstigten
       Gesichtern vorbei.
       
       Man erkennt sie oft recht spät. Selber schuld, könnte man sagen. Warum
       müssen sie auch dunkle Kleidung tragen? Ist doch klar, dass es schwer ist,
       bei Dunkelheit und nicht funktionierenden Ampeln bei einer vierspurigen
       städtischen Schnellstraße auf die andere Seite zu gelangen.
       
       Auch jetzt gilt mein Blick den Wohnhäusern. Wenn Geschäfte Licht haben, hat
       das nichts zu bedeuten, die haben vielleicht auch deswegen Strom, weil sie
       einen eigenen Generator haben.
       
       Schon seltsam: ich sehe Hochhäuser mit Licht in jeder Wohnung und dann
       wieder Hochhäuser, die wie ausgestorben scheinen. Je näher ich an meine
       Wohnung radle, umso seltener werden Häuser mit Licht in den Wohnungen. In
       meiner Straße ist es dann aus. Alles dunkel, die Straße und die Häuser. Und
       natürlich in meiner Wohnung auch. Schade eigentlich. Hatte wirklich
       geglaubt, dass ich heute Abend Strom habe.
       
       Doch dann um 18 Uhr höre ich endlich den Kühlschrank wieder brummen. Hurra!
       Jetzt sofort alle Akkus aufladen! Und dann ein Bier – vom Balkon, da ist es
       nämlich kälter als im Kühlschrank.
       
       Ciao
       
       Bernhard Clasen
       
       Der taz-Ukraine-Korrespondent liebt es, Fahrrad zu fahren. Auch im Krieg.
       Auch wenn es Winter ist. Auch wenn der Strom ausfällt. Mit dem Fahrrad
       unterwegs, berichtet Bernhard Clasen in der „Kolumne Radelnder Reporter in
       der Ukraine“ aus seinem Alltag.
       
       25 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
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