# taz.de -- Fallschirmspringen nach Maß: Vom Loslassen
       
       > Für jene, die die WM boykottieren, stellt die taz Alternativen vor.
       > Diesmal: Fallschirmspringen. Erst ganz oben, dann eine kleine
       > Bruchlandung.
       
 (IMG) Bild: Nicht für alle, dieser Sport: Fallschirmsprung (hier im September in Malaysia)
       
       4.000 Meter über dem Boden denke ich nichts mehr, nehme tiefe Atemzüge,
       schüttele meine Handgelenke – das soll entspannen. Mein Lehrer Sven
       klettert raus. „In die Tür“, sagt Teresa, meine Lehrerin, die hinter mir im
       Flieger ist. Ich taste mich an den grauen schmalen Sitzbänken der
       [1][Cessna 208B Grand Caravan] bis zur offenen Türe. Rechte Hand, rechter
       Fuß, linke Hand, linker Fuß, Check-in, Check-out, hoch, runter …
       
       Ich drücke mich gegen die Luft, sehe den Propeller, bin immer noch im
       Flieger. Sven lässt die Metallstange über der Türe los. Wir fallen. Sven
       und Teresa halten mich links und rechts an Armen und Beinen fest. Blick auf
       den Höhenmesser, dessen Zeiger sich gegen den Uhrzeigersinn bewegt. Ich
       sage die Höhe durch – 3.500 Meter. Mache drei Scheingriffe: mit dem linken
       Arm eine Ausgleichsbewegung, während die rechte Hand das [2][Deploy] – der
       Auslösegriff, der später den Fallschirm aus dem Container zieht – kurz
       umfasst. Wieder Höhencheck. Zweitausendirgendwas Meter. Ab 2.000 Metern
       bleibt mein Blick auf dem Höhenmesser. 1.900, 1.700, 1.600: abwinken, Hüfte
       durchdrücken, Hand Deploy greifen, ziehen. Meine Lehrer lassen mich los.
       Der Fallschirm bremst mich.
       
       Ich bin alleine, über der süddeutschen Kleinstadt Bad Saulgau, atme hastig.
       Was nun? Ah, Kappencheck: der Schirm ist gleichmäßig mit Luft gefüllt.
       Steuerleinen lösen, lenken: funktioniert. Verkehr? Keine anderen Schirme in
       meiner Nähe. Ich sehe die Landewiese rechts vom kleinen Waldstück.
       „Glückwunsch zu deinem ersten Sprung, Klaudia“, höre ich über Funk. Ich
       lache laut. Alleine, für mich. Mehr als tausend Meter über dem Boden.
       
       Teresa funkt mich runter, sagt mir, wann ich den Schirm bremsen soll. Doch
       ich höre nicht und der Boden kommt schneller als erwartet auf mich zu.
       Wenigstens der Landefall klappt. Mein Körper rollt übers Gras, ich bleibe
       liegen. Ich lebe und grinse. „Wenn du mich hören kannst, dann stehe bitte
       auf“, Teresas Stimme über Funk holt mich aus meiner Reizüberflutung. Nach
       dem ersten Fallschirmsprung am Morgen des 14. Juni 2022 folgt am Nachmittag
       der zweite. Zwei der sieben Level des AFF-Kurses (Accelerated Freefall)
       habe ich an diesem sommerlichen Dienstag bestanden.
       
       Am Ende der Woche bin ich mit dem Kurs fertig und springe alleine, muss
       mich aber von einem Lehrer am Boden einweisen lassen. Nach Packkurs,
       Theorieprüfung und 23 Freifallsprüngen steht die praktische Prüfung an: ein
       Sprung aus 1.500 und einer aus 4.000 Metern. Ich bestehe Mitte August und
       halte nun den Luftfahrerschein für Luftsportgeräteführer in meinen Händen.
       Als ich danach wieder in der Cessna bin, gehe ich selbstbewusster zur Tür,
       nehme tiefe Atemzüge, klettere hinaus, halte mich kurz an der Metallstange
       fest und lasse los.
       
       18 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Cessna_208
 (DIR) [2] https://www.funjump.de/wiki-wie-funktioniert-fallschirmspringen/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaudia Lagozinski
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne Alles, nur kein Fußball
 (DIR) Flugzeug
 (DIR) Ausbildung
 (DIR) Fliegen
 (DIR) Freizeit
 (DIR) Bundeswehr
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Sportgeschichte
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Sondervermögen für die Bundeswehr: Teurer Aktionismus
       
       Die Probleme der Bundeswehr sind vor allem systemischer Natur. Milliarden
       hineinzupumpen, ohne Grundlegendes zu ändern, ist Verschwendung.
       
 (DIR) Bertrand Piccard übers Entdecken: „Ich wollte das Fliegen studieren“
       
       Der Abenteurer Bertrand Piccard hat zweimal die Welt umrundet: mit
       Heißluftballon und Solarflugzeug. Jetzt möchte er uns aus der Klimakrise
       retten.
       
 (DIR) Geschichte des modernen Sports: Metzger gegen Hutmacher
       
       Mit der Französischen Revolution fing im Sport vieles an: Zeitmessung,
       breite Teilhabe und lustige Siegprämien. Das hatte demokratisches
       Potenzial.