# taz.de -- Diskussion um Fahrtüchtigkeit: Wir werden alle mal alt
       
       > Auch wenn es zur „Mobilitätswende“ passt – Alten den Führerschein zu
       > nehmen, muss gut begründet sein. Sonst kann es Passivität und Einsamkeit
       > fördern.
       
 (IMG) Bild: Sollte weiter fahren dürfen: Eine Rentnerin bei einem Fahrtraining für Senioren
       
       Es gibt in Hamburg-Altona ein Mysterium: Immer wieder krachen Autos in
       Schaufenster der Waitzstraße. Zuletzt passierte dies einem 77-Jährigen vier
       Tage vor Weihnachten. Das nahm Altonas Bezirkschefin Stefanie von Berg zum
       Anlass, als Privatperson die „[1][Fahrtüchtigkeitsprüfung“ für Senioren zu
       fordern].
       
       Sie solle doch gleich politisch die Initiative ergreifen, sagte kurz darauf
       Rechtsmediziner Klaus Püschel im Hamburger Abendblatt. Er fordert
       Richtlinien zur Überprüfung der „Verkehrseignung“ ab 70 oder 75 Jahren.
       Denn jenseits der 75 verursachten Menschen häufiger Unfälle.
       
       „Ein pauschaler Test diskriminiert Ältere“, warnt nun Klaus Wicher vom
       [2][Hamburger Sozialverbad SoVD], der sich für die Benachteiligten
       einsetzt. Denn spektakuläre Einzelbeispiele wie die „Schaufensterunfälle“
       rechtfertigten nicht, alle Menschen dieses Alters in Haftung zu nehmen.
       
       „Keiner verlangt von allen Jüngeren einen Test, weil sich einige dieses
       Alters auf der Wandsbeker Chaussee Autorennen lieferten“, sagt er. Und kaum
       ein Medium berichte über Unfälle mit Handy am Steuer. Denn das werde
       „individuell bestraft, nicht kollektiv“.
       
       ## Verkehrsstatistik hilft weiter
       
       Wicher hat in die [3][Hamburger Verkehrsstatistik] geguckt und kommt zu dem
       Fazit, dass Unfälle seit Jahren zurückgehen. Zudem dominierten bei den
       Hauptbeteiligten die jüngeren Jahrgänge. In der Tat: War in 2021 die
       Altersgruppe von 25 bis 30 Jahren an 660 Unfällen mit Personenschaden
       beteiligt, die Gruppe der Senioren ab 75 dagegen mit 406. Bei diesen
       wenigeren Unfällen waren sie allerdings überdurchschnittlich oft
       Unfallverursacher.
       
       Nun gehen die „Boomer“ in Rente, wir haben also mehr Senioren mit
       Führerschein. Doch während sie [4][2020] über ein Fünftel der Bevölkerung
       stellten, waren sie nur an jedem siebten Unfall beteiligt. Der ADAC schrieb
       [5][2017], Senioren seien erfahrene Autofahrer und zeichneten sich oft
       durch besonnenen Fahrstil aus und führen aus Vorsicht selten im Dunkeln.
       
       Fahrtests, die Geschwindigkeitskomponenten in den Vordergrund stellen,
       benachteiligten die Alten. Die Tests könnten Menschen ausschließen, die
       noch fahrtüchtig sind, und Ungeeigneten die Fahrtüchtigkeit attestieren.
       
       Laut der „[6][Deutschen Verkehrswacht]“ verunglücken Senioren seltener als
       Jüngere, dominierten jedoch bei den Unfalltoten, weil sie weniger
       Widerstandskraft haben. Gemäß einer Studie hätten jene alten Autofahrer ein
       erhöhtes Unfallrisiko, die einen aktiven Lebensstil haben und Abwechslung
       und Spaß suchen.
       
       ## Nahversorgung ist der Schlüssel
       
       Wollen wir ihnen das nicht austreiben, brauchen wir einerseits eine
       gründliche Faktenanalyse, wie sie Klaus Wicher anregt, und andererseits ein
       gutes Mobilitätsangebot für Alte. Dazu gehört eine zu Fuß erreichbare
       Nahversorgung mit Bücherhalle, Kulturtreff und Supermarkt. Denn das Fahrrad
       ist für Alte zu gefährlich.
       
       Und wir brauchen ein feines Netz mit Kleinbussen und Straßenbahnen. Denn
       auch wenn es gut zur „Mobilitätswende“ passt – den Alten den Führerschein
       zu nehmen, kann Passivität und Einsamkeit, die krank macht, erzeugen. Und
       das will keiner. Schließlich werden wir alle mal alt.
       
       7 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.abendblatt.de/hamburg/article237258347/senioren-am-steuer-fahrtauglichkeit-ueberpruefen-auto-unfaelle.html
 (DIR) [2] https://www.sovd-hh.de/news-service/presse/verkehrssicherheit-ein-pauschaler-test-der-fahrtuechtigkeit-diskriminiert-aeltere
 (DIR) [3] https://www.statistik-nord.de/fileadmin/Dokumente/Statistische_Berichte/verkehr_umwelt_und_energie/H_I_1_j_H/H_I_1_j_21_HH.pdf
 (DIR) [4] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/Publikationen/Downloads-Verkehrsunfaelle/unfaelle-senioren-5462409207004.pdf?__blob=publicationFile
 (DIR) [5] https://www.adac.de/-/media/pdf/vek/fachinformationen/verkehrssicherheit/senioren-am-steuer-adac-bro.pdf
 (DIR) [6] https://deutsche-verkehrswacht.de/themen/unfallgeschehen-von-senioren/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kaija Kutter
       
       ## TAGS
       
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