# taz.de -- Aus für Tempo 60 im Straßenverkehr: Hamburg geht zögerlich vom Gas
       
       > In Hamburg sollen die meisten der Tempo-60-Zonen verschwinden. Ein
       > Vorreiter ist der rot-grüne Senat, anders als behauptet, damit jedoch
       > nicht.
       
 (IMG) Bild: Für Hamburg utopisch: flächendeckend Tempo 30
       
       HAMBURG taz | Wer in der Fahrschule sitzt, um den Führerschein zu machen,
       bekommt eingeschärft, dass innerorts grundsätzlich Tempo 50 gilt. In
       Hamburg ist diese Regel seit mehr als einem Jahrzehnt von Ausnahmen
       durchlöchert: Auf den großen Einfallstraßen der Stadt [1][gilt seither
       Tempo 60.] Das soll zu einem großen Teil rückgängig gemacht werden. Die
       regierenden Fraktionen von SPD und Grünen haben sich nun darauf geeinigt.
       
       „Damit machen wir den innerstädtischen Verkehr sicherer, leiser und
       klimafreundlicher“, freut sich Rosa Domm, Sprecherin für Mobilitätswende
       der Grünenfraktion. Die Entscheidung liege auch in aktuellen
       Herausforderungen begründet: „Vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges mit
       der dadurch drohenden Energieknappheit besteht zusätzlich die
       Notwendigkeit, als Stadt mit gutem Beispiel voranzugehen“, heißt es im
       Antrag. Nur[2][: Ist Hamburg damit tatsächlich der große Vorreiter]?
       
       Ab 2003 wies der Senat unter CDU-Herrschaft innerstädtische
       Straßenabschnitte aus, auf denen statt mit Tempo 50 seither Tempo 60 die
       zulässige Höchstgeschwindigkeit ist. Ziel war es, den Verkehrsfluss zu
       verbessern und zu beschleunigen – „unter Berücksichtigung einer
       nachhaltigen Unfallbekämpfung auf Hamburgs Straßen“, wie es in einem Antrag
       der CDU-Fraktion damals hieß.
       
       Entsprechende Straßenabschnitte gibt es seither einerseits in
       Industriegebieten, im Hafen und auf anliegerfreien Strecken, andererseits
       aber auch auf Strecken, an denen [3][entlang ganz oder teilweise
       Wohngebiete liegen.] Für letztere soll die Tempo-60-Regel nun
       zurückgenommen werden. Auf den anderen Strecken bleibt die Regel bestehen.
       
       ## Weniger Tempo, weniger Unfälle
       
       Eine parlamentarische Anfrage der SPD aus dem Jahr 2008, die ein erstes
       Fazit der Folgen dieser Entscheidung liefern sollte, deutete darauf hin,
       dass Tempo-60-Zonen den Verkehr gefährlicher gemacht haben. Auf einigen
       Abschnitten kam es seit der Einführung zu deutlich mehr Unfällen. Die SPD
       vermutete einen kausalen Zusammenhang zwischen der erhöhten zulässigen
       Geschwindigkeit und den wachsenden Unfallzahlen. Allerdings ließen die
       Zahlen eine statistisch valide Aussage nicht zu.
       
       Vieles deutet jedoch darauf hin. Jüngst hat sich das in Frankreich gezeigt:
       Dort war im August 2021 in Paris ein flächendeckendes Tempo-30-Limit
       beschlossen worden. Erste Evaluationen liegen für Paris zwar hinsichtlich
       der Unfalldaten noch nicht vor, hingegen aber für Grenoble, wo der gleiche
       Weg beschritten wurde: Dort ist die Zahl der Unfälle pro Jahr nun von 70
       auf 51 gesunken. Und die Zahl der getöteten oder verletzten Fußgänger
       halbierte sich von 24 auf 14 Personen.
       
       Hinzu kommen weitere positive Aspekte, die auch die SPD nun für die
       Reduzierung von Tempo 60 auf 50 anführt: „Tempo 60 in Wohngebieten ist aus
       einer ganzen Reihe an Gründen keine gute Idee: Zehn zusätzliche km/h
       bedeuten deutlich mehr Lärm, einen höheren Treibstoffverbrauch und
       schwerere Unfälle“, sagt Ole Thorben Buschhüter, der verkehrspolitische
       Sprecher der SPD-Fraktion Hamburg.
       
       Dass Hamburg nun lediglich zum Tempo-50-Normalzustand zurückkehrt und sich
       damit als Vorreiter in Sachen Temporeduzierung darstellt, verwundert jedoch
       – nicht nur, weil Berlin bereits vor einigen Monaten das Gleiche
       ankündigte, sondern auch weil sich Anfang dieses Jahres die Initiative
       „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ gegründet hat.
       
       ## Tempo 30 keine Option
       
       Organisiert vom Öko-Thinktank Agora Verkehrswende haben sich darin Dutzende
       Gemeinden – darunter etwa Hannover, Leipzig oder Aachen –
       zusammengeschlossen, um angemessene Geschwindigkeiten selbstständig
       festzulegen. Konkret wollen sie selbst Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit
       innerorts anordnen können, wo sie es für notwendig halten. Damit soll auch
       explizit die Verkehrswende [4][weg vom motorisierten Individualverkehr]
       befördert werden. Zahlen aus Paris, wonach der PKW-Verkehr seit der
       Temporeduzierung um vier Prozent abgenommen hat, untermauern das.
       
       Auch der Deutsche Städtetag, oberste Vertretung der Kommunen in der
       Bundesrepublik, unterstützt das Vorhaben. Hamburg jedoch hat sich, auf
       Drängen der SPD und entgegen eines Antrags der Linksfraktion, der
       Initiative nicht angeschlossen. Dabei wollen die Kommunen so Druck auf die
       Bundesebene ausüben, damit die geltende Anordnung von Tempo 50 als
       regelhafte innerörtliche Höchstgeschwindigkeit fällt.
       
       Hamburg als Bundesland könnte der Initiative entsprechend mehr Druck
       verleihen. Eine [5][flächendeckende Temporeduzierung] würde schließlich,
       wie SPD und Grüne selbst betonen, nicht nur den Lärm und die Zahl der
       Verkehrsunfälle senken, sondern wäre auch eine klimapolitische Maßnahme.
       
       Das findet auch Rosa Domm. Doch gegen den Widerstand der SPD kommen die
       Grünen weiterhin kaum an. „Es ist kein Geheimnis, dass wir beim Tempo 30
       innerhalb der Koalition unterschiedliche Auffassungen haben“, sagt Domm.
       
       8 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Tempo-30-Zonen/!5804598
 (DIR) [2] /Hamburg-verpatzt-seine-Klimapolitik/!5890523
 (DIR) [3] /Senat-praesentiert-Laermschutzplan/!5771365
 (DIR) [4] /Stadtbahndebatte-in-Hamburg/!5881633
 (DIR) [5] https://www.adac.de/verkehr/recht/verkehrsvorschriften-deutschland/tempo-30-zone/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) André Zuschlag
       
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