# taz.de -- Verzögerung von Selbstbestimmungsgesetz: Zeit für Diskriminierung
       
       > Das Selbstbestimmungsgesetz sollte trans Personen vor Entwürdigungen
       > schützen. Doch es wird verzögert – und ist anfällig für
       > Transfeindlichkeit.
       
 (IMG) Bild: Wer ist Frau genug für die Frauensauna?
       
       Welche Frau „zu männlich“ aussieht, egal ob cis oder trans, kann von der
       Betreiberin aus der Frauensauna geschmissen werden – egal ob die Person
       wirklich ein Mann ist. Ohne Möglichkeit, nach dem allgemeinen
       Gleichbehandlungsgesetz zu klagen. Zumindest nach den Vorstellungen von
       Justizminister Marco Buschmann (FDP).
       
       Der sagte [1][in einem Interview mit Zeit Online], dass sich die Umsetzung
       des Selbstbestimmungsgesetzes verzögere, weil er diesen Aspekt „sauber
       regeln“ will: „Die Betreiberin einer Frauensauna soll auch künftig sagen
       können: Ich will hier dem Schutz der Intimsphäre meiner Kundinnen Rechnung
       tragen und knüpfe daher an die äußere Erscheinung eines Menschen an. Die
       Betreiber dürfen dann beispielsweise nicht dem Risiko einer Klage nach dem
       Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ausgesetzt sein.“
       
       Eigentlich war die Umsetzung des Selbstbestimmungsgesetzes für Ende 2022
       geplant, jetzt könnte es Sommer 2023 werden – oder noch später. Das lässt
       befürchten: Mit der Zeit wird es immer offener für Diskriminierung. Kritik
       an Buschmanns Äußerung kam prompt, auch aus den Reihen der Bundesregierung.
       Der Queerbeauftragte der Bundesregierung, [2][Sven Lehmann (Grüne),
       twitterte]: „Die Bundesregierung wird sich daran messen lassen müssen, dass
       ein Selbstbestimmungsgesetz Diskriminierung *abbaut* und nicht neue
       *aufbaut*. Das ist doch wohl hoffentlich klar. Darauf werde ich als
       Queer-Beauftragter achten.“
       
       Das Selbstbestimmungsgesetz soll trans Personen eigentlich einen sicheren
       gesetzlichen Rahmen geben, um ihren Geschlechtseintrag barrierefrei zu
       ändern. Momentan müssen sie psychologische Gutachten einholen und sind
       einem teuren und aufwändigen Verfahren ausgesetzt. Das ist entwürdigend.
       Länder wie Argentinien, Malta und Island zeigen mit ihren
       Selbstbestimmungsgesetzen bereits, wie es unkomplizierter geht.
       
       ## Lautstärke und Zeit
       
       Doch je länger die Umsetzung aufgeschoben wird, desto lauter werden
       diejenigen, die Vorurteile schüren – und egal, wie ausgedacht diese
       Vorurteile sind, sie werden offenbar als berechtigte Kritik behandelt.
       
       Zur Erinnerung: Eigentlich sollte das Selbstbestimmungsgesetz schon
       beschlossen sein. Zu Ende des vergangenen Jahres wollte die Bundesregierung
       das diskriminierende [3][Transsexuellengesetz aus dem Jahr 1980] ablösen.
       Nachdem Lehmann ankündigte, dass es doch erst im Februar beschlossen werden
       wird, gab die federführende Familienministerin Lisa Paus (Grüne) bekannt,
       dass es Sommer werden könnte. Nun könnte es also noch später werden. Wer
       hat mit Buschmann gesprochen, dass er nun als ein Justizminister auftritt,
       der das Gleichbehandlungsgesetz ignorieren möchte? Waren es Männerrechtler
       in der FDP?
       
       Dabei [4][sah es im vergangenen Jahr nicht schlecht aus]: Paus hatte im
       Sommer mit Buschmann die Eckpunkte für das Selbstbestimmungsgesetz
       vorgestellt, seither gibt es auf der Homepage der Bundesregierung auch ein
       FAQ dazu, das gängige Argumente wie die Auswirkungen des
       Selbstbestimmungsgesetzes auf Frauenschutzräume aufgreift. Eigentlich
       müsste es Buschmann also besser wissen.
       
       Für öffentliche Räume wie Toiletten und Umkleiden interessieren sich Terfs
       (transexkludierende Feminist:innen) besonders. Gabriel_Nox Koenig vom
       Bundesverband Trans* äußert sich dazu gegenüber der taz: „Die gelebte
       Realität von trans* Personen zeigt: An Orten, an denen trans* Personen
       willkommen sind, sind sie das mit oder ohne Vornamens- und
       Personenstandsänderung. Das betrifft auch trans*offene Frauensaunen. Wer
       welche Orte aufsucht, ändert sich durch das Gesetz nicht.“
       
       Die Wahrscheinlichkeit, dass die von Buschmann geschilderte „Intimsphäre“
       der Sauna-Besucher:innen nicht respektiert wird, ist sehr gering.
       
       Aber eine Prüfung, wie Klagen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz
       ausgesetzt werden können, schindet Zeit. Zeit, in der selbsterklärte
       Frauenrechtler_innen, Konservative wie Rechte ihre transfeindlichen
       Äußerungen darüber, wie gefährlich trans Personen seien, noch sehr häufig
       wiederholen können. Das ist Zeit, in der reale Personen in einer realen
       Welt auf ein Selbstbestimmungsgesetz warten, das ihnen einen würdigen
       Umgang mit ihrem Geschlecht ermöglicht.
       
       9 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-01/marco-buschmann-selbstbestimmungsgesetz-atomkraft-silvesternacht-interview
 (DIR) [2] https://twitter.com/svenlehmann/status/1612010526371975174
 (DIR) [3] /Selbstbestimmungsgesetz/!5853838
 (DIR) [4] https://www.zeit.de/gesellschaft/2022-12/selbstbestimmungsgesetz-transsexualitaet-geschlecht-identitaet-enttaeuschung
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nicole Opitz
       
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