# taz.de -- Nahverkehr in Schleswig-Holstein: Chaos mit Ansage
       
       > Seit Wochen fallen in Schleswig-Holstein vor allem Züge des Betreibers
       > Erixx aus. Liegt es am hohen Krankenstand oder liegt der Fehler im
       > System?
       
 (IMG) Bild: Kommt in Schleswig-Holstein oft unpünktlich oder gar nicht: Zug des Betreibers Erixx
       
       RENDSBURG taz | Von Kiel nach Lübeck fahren Züge zurzeit nur im
       Zweistunden-Takt. Auch auf weiteren Strecken, die das [1][Unternehmen Erixx
       Holstein] betreibt, fallen ständig Bahnen aus. Immerhin hat Erixx nun einen
       Bus-Ersatzverkehr für die am stärksten frequentierten Strecken organisiert,
       darunter die Verbindung zwischen den beiden größten Städten des Landes,
       Kiel und Lübeck. Mitte Dezember nahm Erixx Holstein den Betrieb auf (siehe
       Info), und von Anfang an gab es Probleme: Die „jahreszeittypische
       Krankheitswelle“ habe die Belegschaft „fest im Griff“, teilte das
       Unternehmen mit. Inzwischen gehen die Krankenzahlen wieder zurück. „Wir
       hoffen, dass wir bald über den Berg sind“, sagt Unternehmenssprecherin
       Miriam Fehsenfeld. Dennoch will Erixx bis Anfang Februar mit dem
       ausgedünnten Fahrplan weiterfahren.
       
       Für Niclas Dürbrook, Verkehrsexperte der SPD-Landtagsfraktion, hat das
       Chaos einen langen Vorlauf: „Schon im Sommer war abzusehen, dass Erixx es
       nicht schaffen kann“, sagt der Oppositionspolitiker. „Es saßen viel zu viel
       wenige Leute in den Lehrgängen.“ Als er und FDP-Kollege Bernd Buchholz das
       Thema im Verkehrsbeirat des Landes ansprachen, „wurde das von der Regierung
       weggewischt: Das sei normal bei einem Übergang von einem Betreiber zum
       anderen.“
       
       Diese Wechsel sind gewünscht: Alle paar Jahre werden die Strecken im Land
       neu ausgeschrieben. Das soll den Wettbewerb stärken. „Ich verstehe den
       Gedanken dahinter, aber Wettbewerb an sich ist kein Wert“, sagt Dürbrook.
       „Zuverlässige Züge sind wichtiger als Wettbewerb. Wir dürfen nicht am
       falschen Ende sparen.“
       
       Denn es geht um Geld, dafür sorgen EU-rechtliche Vorgaben: „Erixx hat die
       Ausschreibung gewonnen, weil das Unternehmen das wirtschaftlichste Angebot
       gemacht hat“, teilt [2][Nah.SH] mit. Der Landesbetrieb mit Sitz in Kiel ist
       zuständig für die Vergabe der Strecken und die Organisation des
       Bahnbetriebs.
       
       Eine Mindestanzahl an Personal war nicht Teil der Ausschreibung. Laut
       Selbstbeschreibung wollte Erixx Holstein mit rund 100 Beschäftigten
       starten. Angebote erhielten auch die Fachkräfte von DB Regio, die die
       Strecke vorher betrieb.
       
       ## Personalmangel oder Systemfehler?
       
       „Aber meine Wahrnehmung ist, dass viele Beschäftigte bei DB Regio geblieben
       sind“, sagt Dürbrook. Das Geld spiele wohl nicht die größte Rolle, auch
       Erixx zahlt nach Tarif. Dennoch wechselten Beschäftigte offenbar lieber den
       Einsatzort als den Arbeitgeber – viele gingen bereits im Herbst, sodass
       auch es auch bei DB Regio zu Zugausfällen kam.
       
       Dürbrook sieht die aktuellen Engpässe als Teil eines systemischen Problems
       und hat für die kommende Sitzung des Verkehrsausschusses einen Bericht der
       Landesregierung beantragt. Dem parteilosen Wirtschafts- und
       Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen wirft er Tatenlosigkeit vor: „Er stand
       bisher eher beobachtend am Rand.“
       
       Auch die Gewerkschaft der Lokführer (GdL) beklagt schon lange, [3][dass
       Personal fehlt.] Für die aktuellen Probleme macht der Bezirksvorsitzende
       Hartmut Petersen nicht allein Erixx Holstein verantwortlich: „Die Politik
       wollte den Wettbewerb auf der Schiene. Und wir haben einen Aufgabenträger,
       der ist dafür verantwortlich, wer eine solche Dienstleistung ausführen
       darf.“ Damit sei Nah.SH verantwortlich, dass der Betriebsübergang
       vernünftig vonstatten gehe, sagte Petersen dem NDR.
       
       „Nah.SH ist natürlich nicht zufrieden mit dem Start von Erixx und steht
       dazu im täglichen Austausch mit dem Unternehmen“, sagt Unternehmenssprecher
       Dennis Fiedel. Doch die Aufgabe, den Verkehr vertragsgemäß zu organisieren,
       liege beim Betreiber: „Erixx muss die Anlauf- und Personalprobleme in den
       Griff bekommen.“
       
       Dabei steht Erixx nicht allein da, zeigt [4][eine Recherche des
       Internet-Newsportals „Nahverkehr Hamburg“], das sich auf den ÖPNV im Norden
       spezialisiert hat. Demnach fielen bereits im Juni täglich 41 Züge in
       Schleswig-Holstein aus, „meist, weil nicht genug Personal da war“. Aktuell
       leiden viele Unternehmen landes- und bundesweit unter der Krankheitswelle,
       teilt NAH.SH mit. Denn bei aller Kritik an Erixx: „Wir springen zu kurz,
       wenn wir nicht wahrnehmen, dass hier die ganze Branche ein Problem zu lösen
       hat: Es fehlt qualifiziertes Personal.“
       
       Dürbrook wünscht sich einen Hebel, um mehr Druck auf Unternehmen auszuüben
       zu können, etwa durch Strafzahlungen. Zwar erhalten Unternehmen weniger
       Geld von Nah.SH, wenn Züge ausfallen, aber eine echte Strafe sei das noch
       nicht, sagt Dürbrook. Gäbe es einen entsprechenden Mechanismus, würden sich
       vielleicht weniger Unternehmen an den Ausschreibungen beteiligen. Denn die
       aktuelle Lage habe fatale Folgen: „Ich erlebe im Bekanntenkreis, dass Leute
       sich wieder ein Auto anschaffen. Die werden nicht so schnell zur Bahn
       zurückkehren.“
       
       13 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.erixx.de/
 (DIR) [2] https://www.nah.sh
 (DIR) [3] /Personalmangel-bei-der-Bahn/!5907171
 (DIR) [4] https://www.nahverkehrhamburg.de/deswegen-laeuft-der-bahnverkehr-im-norden-so-extrem-unzuverlaessig-196904/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Geißlinger
       
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