# taz.de -- Zögerliche Waffenlieferung: Die Angst ist größer als der Wille
       
       > Der Bundeskanzler zögert nach einem Jahr Krieg weiter bei der
       > Waffenlieferung an die Ukraine. Dabei kann Europa nur überleben, wenn die
       > Ukraine siegt.
       
 (IMG) Bild: Wegducken wird immer schwieriger: Kanzler Scholz vor einem Leopard-Panzer im Oktober 2022
       
       Seit einiger Zeit verfolgt mich der Satz „Das ist nicht unser Krieg.“ Er
       ist auf eine Häuserwand auf meinem Arbeitsweg gesprayt, und wenn ich ihn
       lese, will ich ihn am liebsten schnell wieder vergessen, weil ich ihn so
       ignorant finde, so selbstbezogen; aber das Vergessen fällt eben schwer,
       wenn man sich sogleich [1][an Bilder wie die aus Dnipro] erinnert.
       
       Haben Sie die gelbe Küche gesehen oder das, was von ihr übrig geblieben
       ist? Diese ganz gewöhnliche Küche einer gewöhnlichen Wohnung, auf dem
       Küchentisch sah man noch die Obstschale stehen, ist zu einem weiteren
       Symbol russischen Terrors geworden. Ein Video in den sozialen Medien kurz
       nach der Zerstörung zeigte einen Geburtstag in ebendieser gelben Küche. Den
       Moment eines Familienlebens, den es so nicht mehr geben wird. Kurz nach dem
       Raketenangriff vom vergangenen Wochenende ist [2][die Suche nach
       Überlebenden eingestellt worden]. Die Bilanz: 44 Tote, über 20 Vermisste.
       
       Gerade diese Woche ging es wieder heiß her in Sachen Panzerlieferungen, und
       dieser Häuserwandsatz, den ich täglich sehe, fasst die Haltung unseres
       Kanzlers und die vieler Deutscher gut zusammen. Welche Waffen, welche
       Panzer schicken wir in die Ukraine, solange das nicht unser Krieg ist?
       Welche Konsequenz hat es, wenn wir diesen Krieg zu unserem erklären?
       
       Worin sich ja alle einig sind, ist, dass man Frieden wolle, klar. Wenn es
       aber auch unser Frieden ist, der da auf dem Spiel steht, müssten wir nicht
       für den Krieg Verantwortung übernehmen, die dem Tempo von
       Raketeneinschlägen angemessen ist?
       
       ## Keine plausible Erklärung für fehlende Lieferung
       
       „Die Bürgerinnen und Bürger wollen kluge und abgewogene Entscheidungen bei
       einer so wichtigen Frage wie Krieg und Frieden“, zitierte die FAZ den
       Kanzler vor einigen Tagen. Und dass man sich nicht treiben lasse, soll er
       noch gesagt haben. Moment mal! Da redet also einer von
       Sich-nicht-treiben-lassen-Wollen, und das nach bald einem Jahr Krieg? Bis
       heute fehlt es an einer plausiblen Erklärung dafür, weshalb sich der
       Kanzler mit der Lieferung von Kampfpanzern zurückhält.
       
       Die Verlautbarungen aus dem Kanzleramt ähneln den Warnungen mancher
       antiimperialistischer Linker und Friedensbewegter: Putin könnte sich
       provoziert fühlen. Eine neue Eskalationsstufe sei mit Panzerlieferungen
       erreicht. Oder, zugespitzt: Ein Dritter Weltkrieg drohe dann.
       
       Dabei sollte nach fast 12 Monaten durchgesickert sein, dass nicht das
       Liefern von Kampfpanzern und schweren Waffen eine Eskalation ist, sondern
       [3][Raketen, die Russland auf unschuldige Menschen abfeuert]. Die Angst,
       Putin zu provozieren, ist größer als der Wille, das Überleben der Ukraine
       zu schützen. Und sollte Russland doch unerwartet einen Atomkrieg auslösen,
       will Scholz nicht der Buhmann sein. Als ob das dann noch wichtig wäre. So
       versteckt er sich lieber hinter den USA und signalisiert nun zwar,
       Kampfpanzer liefern zu wollen, aber nur, wenn die USA es auch tun.
       Peinliche Selbstbezogenheit.
       
       ## Muss die Ukraine siegen oder nur nicht verlieren?
       
       Ich bin davon überzeugt, dass Europa nur überleben kann, wenn die Ukraine
       siegt. Unser Kanzler ist da ähnlich zurückhaltend wie beim Thema Panzer.
       Seit Monaten predigt er: Russland dürfe nicht siegen, die Ukraine müsse
       bestehen. Aha! Auszusprechen, dass die Ukraine siegen muss, fällt ihm
       schwer.
       
       Wohl auch deshalb, weil es an Perspektiven fehlt für eine Zeit nach den
       vermutlich anstehenden Leopard-Lieferungen. Was müsste folgen?
       Kampfflugzeuge, Hubschrauber? Schließlich kann nur eine langfristig
       militärisch hochgerüstete Ukraine Russland zur Niederlage zwingen. Was zur
       nächsten Frage nach der Zukunft der Ukraine nach einem gewonnenen Krieg
       führt. Welche Ukraine ist Scholz bereit, künftig zu unterstützen?
       
       Bald jährt sich der Beginn des erweiterten russischen Kriegs. Unser Kanzler
       sollte damit anfangen, sich von Überzeugungen leiten zu lassen und nicht
       von Ängsten.
       
       21 Jan 2023
       
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 (DIR) Erica Zingher
       
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