# taz.de -- Rentenreform in Frankreich: Zwei Jahre länger arbeiten
       
       > Nach 2030 sollen Franzosen erst ab 64 Jahren mit voller Rente in den
       > Ruhestand gehen. Die linke Opposition und Gewerkschaften sind dagegen.
       
 (IMG) Bild: Premierministerin Elisabeth Borne am Dienstag in Paris
       
       PARIS taz | Mit 64 oder 65 Jahren? Das war noch bis zum Wochenbeginn die
       Frage in Paris. Dass das Ruhestandalter zur Finanzierung des staatlichen
       Systems der Altersvorsorge erhöht werden muss – ähnlich wie in anderen
       Ländern –, das stand für die Regierung und auch für die [1][oppositionelle
       konservative Partei Les Républicains (LR)] fest. Entgegengesetzter Meinung
       sind die Gewerkschaften und die politische Linke, die diese Reform als
       finanziell unnötig und sozial ungerecht ablehnen.
       
       Am Dienstagabend hat die Premierministerin Elisabeth Borne die Details
       enthüllt. Die schrittweise Einführung des Rentenalters 64 bedeutet, dass
       bereits die ab 1961 Geborenen länger arbeiten müssen. Quasi als soziale
       Abfederung dieser bitteren Pille für die heutigen Erwerbstätigen soll die
       Vorlage neu eine Mindestvollrente von 1.200 Euro pro Monat garantieren und
       zudem Arbeitnehmern in besonders ermüdenden Berufen (wie zum Beispiel den
       Schwerarbeitern) eine frühere Pensionierung ermöglichen. Die Details dazu
       stehen aber noch in Diskussion und dürften erst ab dem 6. Februar im
       Parlament Gegenstand von zahlreichen Änderungsanträgen sein.
       
       Die kommende Parlamentsdebatte droht sehr lebhaft zu werden. Zudem sind
       massive Protestkundgebungen angekündigt. Zum ersten Mal seit zwölf Jahren
       sind dabei die sonst rivalisierenden Gewerkschaftsverbände im Widerstand
       geeint, denn für sie sind diese am Dienstag enthüllten Maßnahmen ein
       frontaler Angriff. Ohne viel Hoffnung hatte die Regierung versucht, die
       Gegner vom Sinn der Reform zu überzeugen.
       
       Für die linken Oppositionsparteien gab es allerdings nichts zu diskutieren.
       Diese Vorlage ermöglicht es ihnen im Gegenteil, mit der demonstrativen
       Geschlossenheit auf der Straße ihre [2][Allianz NUPES] (Neue Ökologische
       und Soziale Volksunion) im Parlament zu wahren. In den vergangenen Wochen
       ging dieser Bund wegen Meinungsverschiedenheiten immer mehr in die Brüche.
       
       ## Rentenreform, seit Jahren im Programm der Konservativen
       
       Mehr Erfolg hatte Premierministerin Elisabeth Borne bei ihrem Werben um
       Stimmen bei den Konservativen. Das war zu erwarten, denn wie könnten die
       LR-Abgeordneten einen Vorschlag ablehnen, der genau die Punkte enthält, die
       seit Jahren in ihrem Programm stehen? Rechte Präsidentschaftskandidaten wie
       François Fillon 2012 oder erneut 2022 Valérie Pécresse hatten die Erhöhung
       des Pensionsalter auf 65 Jahre sowie eine längere Beitragsdauer verlangt.
       Die extreme Rechte dagegen lehnt diese Reform ab.
       
       In der französischen Gesellschaft ist die Reform sehr unpopulär. Laut einer
       vom Fernsehsender BFMTV veröffentlichten Befragung des Instituts Ipsos
       sprechen sich 79 Prozent gegen die geplante Erhöhung des Rentenalters aus.
       Laut einer anderen Umfrage von Odoxa für das Wirtschaftsmagazin Challenge
       wären sogar 83 Prozent gegen den Ruhestand mit erst 65 Jahren. Für Macron
       war die Rentenreform aber [3][ein Kernpunkt seines Wahlprogramms].
       
       Kein Gehör findet in der französischen Debatte das Argument, dass
       inzwischen im Land, wie in zahlreichen europäischen Ländern, die
       Lebenserwartung gestiegen ist. Während in Frankreich das Rentenalter eine
       heilige Kuh ist, wurde bereits in anderen Nachbarländern eine Altersgrenze
       von 67 beschlossen. Der sozialistische Präsident François Mitterrand führte
       im Rahmen diverser Sozialreformen die Pensionierung mit 60 Jahren nach 37,5
       Jahren Versicherungsdauer ein.
       
       Dies galt, nicht nur den Gewerkschaften, als „Errungenschaft“, an der nicht
       gerüttelt werden durfte. Nachdem rechtskonservative Regierungen mit
       Anläufen zu einer Reform mehrfach scheiterten, beschlossen schließlich die
       Sozialisten unter François Hollande zur Sicherung der langfristigen
       Finanzierung eine bis 2035 schrittweise längere Lebensarbeitszeit als
       Bedingung für eine Vollrente.
       
       11 Jan 2023
       
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