# taz.de -- Südukraine unter Beschuss: Cherson, leidgeprüft und stolz
       
       > Zweieinhalb Monate nach der Befreiung Chersons haben die
       > Ukrainer:innen endlich ihre Angst verloren. Doch der russische
       > Beschuss geht weiter.
       
 (IMG) Bild: Marktverkäuferin wartet auf Kundschaft, Cherson nach der Befreiung im November 2022
       
       Schon in den ersten Minuten nach der Bekanntgabe, dass Cherson von der
       russischen Besatzung [1][befreit worden war], wollte ich hierherkommen. Wie
       alle Ukrainer*innen habe ich mit angehaltenem Atem beobachtet, wie die
       mutigen Einwohner*innen von Cherson drei Monate lang friedlich gegen
       die Besatzer protestierten. Ukrainische Fahnen gegen russische Panzer. Es
       war unmöglich, ohne Tränen, Angst und Bewunderung zuzusehen.
       
       Achteinhalb Monate später gelang es der ukrainischen Armee, [2][Cherson zu
       befreien]. Drei Tage lang feierten die Menschen. Heute ist die Euphorie der
       Unruhe gewichen. Jeden Tag werden in Cherson und im befreiten Teil der
       Region Einheimische getötet oder verletzt. Die russischen Einheiten
       beschießen die Städte und Dörfer nun vom linken Ufer des Flusses Dnipro,
       der die Region in zwei Hälften teilt, mit Mörsern, Kanonen und
       Raketenartillerie.
       
       Ständig kommt es zu Artilleriegefechten zwischen Besatzern und ukrainischer
       Armee. „Das sind unsere. Sie antworten. Haben Sie keine Angst!“– sagen
       beruhigend und mit ein wenig Stolz die Einheimischen, die gelernt haben,
       die Geräusche von Explosionen zu unterscheiden.
       
       Die Russen werden hier nur „Orks“ genannt. Generell kann man in Cherson
       kaum noch etwas Gutes über Putin, Russland und die Russen selbst hören. Mit
       der Besetzung der Stadt hängten die Okkupanten Plakate mit den Slogans
       „Russland ist für immer hier“, „Cherson ist eine russische Stadt“ und
       „Cherson gehört für immer zu Russland“ an die Straßen.
       
       ## Die „ewige russische Stadt“
       
       Diese Slogans sind inzwischen zu lokalen Witzen und Memes geworden. Oft
       hört man von Einheimischen über einen erneuten Beschuss mit der ironischen
       Bemerkung: „Oh, die beschießen schon wieder ihre ewige russische Stadt!“
       
       Obwohl die Strom- und Wasserversorgung in fast allen Teilen Chersons
       wiederhergestellt wurde, hat es das Leben hier nicht eilig zurückzukehren.
       Die Stadt ist menschenleer, denn es ist nicht abzusehen, wo die Granaten
       nach einem weiteren chaotischen Beschuss einschlagen werden.
       
       Einige Teile der Stadt, die näher am Flussufer liegen, sind wie
       ausgestorben: Die Geschäfte sind geschlossen, die Fenster mit Schildern
       vernagelt und es sind keine Menschen auf den Straßen. Die öffentlichen
       Verkehrsmittel fahren ab 15 Uhr nicht mehr, selbst relativ belebte Straßen
       werden bei Einbruch der Dunkelheit menschenleer und ab 19 Uhr gilt eine
       Ausgangssperre.
       
       Obwohl die Kämpfe nach der Befreiung der Stadt wieder aufgenommen wurden,
       sind Moral und Optimismus der Chersoner:innen weiterhin hoch. Die
       Menschen geben zu, dass sie nach achteinhalb Monaten unter der Besatzung
       erst jetzt anfangen, mit erhobenem Kopf durch die Straßen zu gehen und dass
       das Lächeln in ihre Gesichter zurückkehrt. Sie haben keine Angst mehr. Das
       Wichtigste ist, dass sie wieder zu Hause sind. Und sie sind bereit, jedes
       Leid zu ertragen, nur um die Rückkehr der Besatzer zu verhindern.
       
       Finanziert wird das Projekt von der [3][taz Panter Stiftung].
       
       Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der Verlag [4][edition.fotoTAPETA]
       im September herausgebracht.
       
       23 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
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