# taz.de -- Kinoempfehlungen für Berlin: Ideal und Utopie
       
       > „Havelland Fontane“ nähert sich einem bürgerlichen Schriftsteller. „Die
       > Taube auf dem Dach“ erzählt von der Verbürgerlichung der Arbeiterklasse.
       
 (IMG) Bild: „Die Taube auf dem Dach“ (DDR 1973), Regie Iris Gusner
       
       Momentan ist der der aus Österreich stammende, aber schon lange in Berlin
       lebende Regisseur Bernhard Sallmann mit seinem aktuellen Dokumentarfilm
       „Berlin JWD“ über das Berlin jenseits des S-Bahn-Rings in den Kinos
       vertreten, zugleich zeigt das Zeughauskino in einer Werkschau aber auch
       ältere Werke des Filmemachers.
       
       „Havelland Fontane“ schloss 2019 einen vierteiligen Zyklus ab, der sich mit
       Theodor Fontanes kulturhistorischen „Wanderungen durch die Mark
       Brandenburg“ beschäftigt, und führt in die Landschaft rund um Potsdam.
       Thematisch geht es um so unterschiedliche Themen wie den Zusammenprall der
       heidnisch-wendischen Kultur mit der christlich-germanischen, den Beginn des
       Obstanbaus in der Gegend um Werder oder den Warenaustausch mit der
       Hauptstadt in der Zeit der Industrialisierung (Ziegel aus Glindow für
       Berlin).
       
       Die Schauspielerin Judica Albrecht liest dazu aus dem Off Exzerpte aus
       Fontanes Texten, die zwar vom Ende des 19. Jahrhunderts stammen, sich aber
       mit ihren vielen Verweisen auf frühere Chroniken als eine Art kommentierte,
       mehrere Jahrhunderte umfassende Geschichtsschreibung des heutigen Großraums
       Berlin-Brandenburg bezeichnen lassen.
       
       Die sorgfältig komponierten Bilder, die Sallmann dazu findet, nehmen genau
       diese Idee wieder auf: Sie versuchen nicht, einfach das moderne Abbild
       einer historischen Beschreibung zu liefern, sondern evozieren Stimmungen
       und nähern sich dem Thema assoziativ (5. 2., 16 Uhr, [1][Zeughauskino]).
       
       Ein ungewöhnlicher, ursprünglich verbotener und dann beinahe zerstörter
       Film aus der DEFA-Produktion des Jahres 1973: In die „Die Taube auf dem
       Dach“ erzählt Regisseurin Iris Gusner von der jungen Bauleiterin Linda
       (Heidemarie Wenzel) und ihren Beziehungen zu dem schon etwas älteren
       Brigadeleiter Böwe und dem Studenten Daniel.
       
       Lindas konsequente Unabhängigkeit, Böwes Idealismus und Daniels Utopien
       stoßen dabei auf den Widerstand einer verbürgerlichten Arbeiterklasse und
       stehen ihrem Glück im Wege. Dass der Film auf die Fragen seiner
       Protagonisten nach einem eigenen Weg in der DDR keine staatssozialistischen
       Antworten liefert, sondern die Geschichte völlig offen lässt, macht die
       besondere Qualität dieses Film aus.
       
       „Die Taube auf dem Dach“ läuft in der umfangreichen Reihe „DEFA 70“, in der
       das Babylon Mitte bei freiem Eintritt bis 23. Februar die 100 besten
       DEFA-Filme der 1970er Jahre zeigt (6. 2., 17.30 Uhr, [2][Babylon Mitte]).
       
       Einen seiner schönsten Dokumentarfilme drehte Werner Herzog in der
       Chauvet-Höhle in Südfrankreich, die mit Höhlenmalereien aus der
       Alt-Steinzeit von vor 32 000 Jahren aufwartet und damit das zurzeit älteste
       künstlerische Wirken des modernen Menschen bewahrt.
       
       Die für „Die Höhle der vergessenen Träume“ unter komplizierten technischen
       Bedingungen entstandenen Aufnahmen vom Höhleninneren sind wahrlich
       spektakulär, die Malereien der Pferde, Wollnashörner, Bisons, Löwen und
       Mammuts so lebendig und plastisch wie man sie sich eben vorstellen kann.
       Bewegung war den Malern dabei besonders wichtig: Versetzte
       Umrisszeichnungen eines Nashorns deuten wie in Phasenzeichnungen für einen
       Animationsfilm dessen Vorwärtsdrang an.
       
       Immer wieder sucht Herzog hier die Verbindung zur Gegenwart, findet in den
       Steinzeitkünstlern den modernen Menschen und im modernen Menschen den
       „Primitiven“ und das mit einem glücklicherweise unverschwurbelten Sinn für
       jene Spiritualität, die sich in den Kunstwerken auszudrücken scheint. Der
       Kameramann Georg Simbeni hält eine Einführung (4. 2., 20 Uhr, [3][Kino
       Arsenal]).
       
       2 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.dhm.de/zeughauskino/vorfuehrung/havelland-fontane-9635/
 (DIR) [2] https://babylonberlin.eu/programm/festivals/defa-70-umsonst/5370-defa-70-umsonst-die-taube-auf-dem-dach
 (DIR) [3] https://www.arsenal-berlin.de/kino/filmvorfuehrung/cave-of-forgotten-dreams-1387/
       
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 (DIR) Lars Penning
       
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