# taz.de -- Adel verpflichtet sich meist zu nichts: Jetzt vielleicht ein bisschen edler
       
       > Die Entschädigungsklage der Hohenzollern ist endlich vom Tisch. Aber
       > kommt der lange privilegierte Adel jetzt wirklich in der Demokratie an?
       
 (IMG) Bild: So kennt man den deutschen Adel: rüde, selbstbesoffen. Caroline von Monaco nebst Ehemann, 1998
       
       Es wurde aber auch Zeit: Ein Hohenzollern drückte sich nicht länger,
       [1][sondern zog einen Schlussstrich]. Zumindest in der Rückgabedebatte.
       
       Dass der Urahn des Georg Friedrich Prinz von Preußen, Kaiser Wilhelm II.,
       1918 sich nicht in einer verzweifelten Attacke selbst an der Front opferte,
       hat den auf Ritterlichkeit bedachten deutschen Adel am Ende des Ersten
       Weltkriegs in eine tiefe Identitätskrise gestürzt. Der verlorene Krieg
       führte zum Verlust der sicheren Jobs bei der Armee und einer Welle von
       Adelsarmut, die Feigheit vor dem Feind zu Selbstzweifeln. Die Mehrheit des
       deutschen Adels blieb demokratiefeindlich, viele setzten bald auf Hitler.
       Der doch sicher die Monarchie neu errichten wird? Wären nicht einige Edle
       kurz vor Zappenduster noch auf die Idee gekommen, eine Bombe zu zünden,
       wäre das kollektive Versagen des Adels schon in der frühen Bundesrepublik
       aufgefallen. So war man Stauffenberg und wurschtelte sich durch, wie alle
       anderen auch.
       
       Ganz so entscheidend dürfte der Rückzug der Entschädigungsklage jetzt nicht
       sein. Trotzdem: Wie steht es eigentlich um den Adel in der Demokratie? In
       Deutschland wurde der Adel, anders als in Österreich, mit der
       republikanischen Verfassung 1919 nicht abgeschafft, lediglich seine
       Vorrechte aufgehoben. Das hat damals schon arg wenig an Besitzverhältnissen
       verändert, noch weniger aber an Netzwerken und audacity.
       
       Sicher, auf jeden reichsadeligen Putschprinzen kommen heute Tausende
       Adlige, die überzeugt und selbstverständlich Demokrat*innen sind, die
       meisten führen, wenn überhaupt, ein „von“ ohne besondere Standesdünkel, und
       selbst die bürgerlich-liberale FDP leistet sich mit Hermann Otto Prinz zu
       Solms-Hohensolms-Lich einen Ehrenvorsitzenden mit landesherrlichem
       Hintergrund. Und so erscheint es kein bisschen erstaunlich, dass etwa 2020
       der Präsident der Genossenschaft der katholischen Edelleute in Bayern als
       Beispiel gelungener demokratischer Integration des Adels, ja beinahe seiner
       Verbürgerlichung, einen Bundestagsabgeordneten und Botschafter der BRD
       würdigt, Karl von Spreti. Dem ja durchaus zugute zu halten ist, dass er
       nicht, wie sein gleichaltriger Verwandter Hans Erwin von Spreti-Weilbach,
       als SA-Führer den Untergang der Weimarer Republik herbeiprügeln ließ.
       
       ## Es ist leicht auf der Gewinnerseite
       
       Der Lebenslauf einer edlen Heizungsbauerin hätte den Punkt vielleicht
       besser unterstrichen. Demokratisch lässt sich nämlich besonders gut sein,
       wenn man sich sicher auf der Gewinnerseite wähnen kann. Wie die vielen
       adligen Familien, die noch immer auf den Reichenlisten auftauchen – oder
       [2][scheinbar erblich] in Führungspositionen in Unternehmen, Kultur,
       Medien. Oder wie einst der CSU-Politiker und Ex-Kronprinz Otto von
       Habsburg, der mit gleich vier Staatsangehörigkeiten eine Partei vertrat,
       die rassistisch Stimmung gegen die doppelte machte. Man bleibt dann eben
       doch ein bisschen edler.
       
       Erstaunlich eher, dass so viele mitspielen, auch jenseits der
       Regenbogenpresse. Natürlich harmlos, wenn im Februar ein
       „Sportschau“-Kommentator angesichts einer leichtathletelnden Adligen jovial
       anmerkt, das „Gräfin“ dürfe man durchaus weglassen, als sollte das nicht
       eine seit hundert Jahren abgefrühstückte demokratische
       Selbstverständlichkeit sein. Weniger, wenn ausgesuchten Familien à la
       Hohenzollern Verhandlungen auf Regierungsebene zugestanden werden. Oder
       Thüringen per Gesetz einen „Vertreter des Hauses Sachen-Weimar und
       Eisenach“ in einen Stiftungsrat bestellt – und so die adels-esoterische
       Fiktion dynastischer „Häuser“ zu einer republikanischen Wirklichkeit wird.
       
       Derweil geriert man sich in den adligen Verbänden als eine in der
       bürgerlichen Mehrheitsgesellschaft von Identitätsverlusten bedrohte Gruppe,
       die um ihr kollektives Gedächtnis ringt. In der Tat erfolgreich: Der Adel
       dürfte die einzige soziale Minderheit in Deutschland sein, auf deren
       Bedürfnisse Rücksicht genommen wird. Immerhin da kann man von ihm lernen.
       
       12 Mar 2023
       
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