# taz.de -- Politiker-Derbleckn auf dem Nockherberg: „All You Need Is Olaf“
       
       > Der Starkbieranstich auf dem Nockherberg feiert sein Comeback – und es
       > zeigt sich mal wieder: Die Bayern sind die Nummer eins im
       > Ganz-weit-vorn-sein.
       
 (IMG) Bild: Der bayerische Ministerpräsident Marksu Söder am Freitag auf dem Nockherberg
       
       MÜNCHEN taz | Es ist eines dieser Rituale, die für so manche im Norden
       beheimateten Zeitgenossen nur schwer zu begreifen sind und doch auch auf
       diese immer wieder eine gewisse Anziehungskraft ausüben, und sei diese auch
       nur der Faszination für das Brauchtum dieses vermeintlich indigenen
       Stammes. Hierzulande hingegen gehört er zu den letzten Straßenfegern,
       erreicht für heutige Verhältnisse schwindelerregende Einschaltquoten (1,9
       Millionen Zuschauer waren es in diesem Jahr), wird hinterher in
       Sondersendungen eingehend analysiert und beherrscht das Tagesgespräch: der
       Starkbieranstich am [1][Nockherberg].
       
       Vier Jahre lang mussten die Bayern nun pandemie- und kriegsbedingt auf
       dieses Spektakel verzichten (von einer virtuellen [2][Schrumpfveranstaltung
       im Jahr 2021] mal abgesehen), jetzt fand er wieder statt und – so viel
       Euphorie sei gestattet – es war eine würdige Rückkehr. Das Konzept ist im
       Prinzip nicht weiter kompliziert: Man nehme die komplette Politikerriege
       des Freistaats plus einige Gäste aus der Bundes- und Europapolitik, setze
       sie in einen großen Biersaal von zahlreichen Kameras des Bayerischen
       Rundfunks wachsam beäugt wie die Insassen eines Big-Brother-Containers,
       serviere ihnen eine deftige Brotzeit und dann wird sauber eingeschenkt.
       
       Klar, ein- und ausgeschenkt wird schon auch Starkbier, genauer gesagt der
       Salvator, dieses „herrliche Fastengetränk“ (Paulaner-Chef Andreas
       Steinfatt) beziehungsweise, diese [3][„gemeingefährliche Alkoholbombe für
       das gemeine Volk zum Erlangen eines Fetzen-Rausches binnen kürzest
       möglicher Zeit“] (Süddeutsche Zeitung). Vor allem aber sind es Wahrheiten,
       Gehässigkeiten und Witze auf Kosten der anwesenden Politiker, die hier
       kredenzt werden. Eine neuzeitliche Form des Hofnarrentums.
       Politiker-Derbleckn nennt man die Tradition, zum 70. Mal findet es in
       diesem Jahr statt. Die Prozedur ist stets zweigeteilt: zuerst eine
       Fastenpredigt, dann eine Art politisches Musical.
       
       ## Inkonsequent wie Markus
       
       Den Part des Predigers übernimmt seit 2019 der [4][Kabarettist Maxi
       Schafroth], unterstützt von seinen musikalischen Freunden, dem Chor der
       Jungen Union Miesbach – ein sympathisches Sängerensemble, von dessen
       Existenz der Miesbacher CSU-Nachwuchs vermutlich bis heute noch nichts
       mitbekommen hat. Und während Schafroth in seinen früheren Reden zum Teil
       mehr frotzelte als austeilte, ließ der Allgäuer die Samthandschuhe diesmal
       daheim in der Garderobe.
       
       Anders als in den vergangenen Jahren kamen heuer besonders wenige namhafte
       Bundespolitiker in den Süden. Die Ausnahme bildeten Ricarda Lang sowie die
       Stammgäste Dietmar Bartsch, Claudia Roth und Alexander Dobrindt. Sie wurden
       denn auch gleich von Schafroth besonders willkommen geheißen: „Lassts euch
       mitreißen vom bayerischen Spirit! Raus aus der Berliner Blase, rein in die
       bayerische Südstaatenanarchie, wo man noch sagen und essen kann, was man
       will. Ihr könnt euch hier im Grunde völlig inkonsequent verhalten, der
       Markus macht das, seit er in der Politik ist. Es hat ihm nie geschadet.“
       
       Je kumpelhafter Schafroth im Ton wird, je mehr er selbst lacht, desto
       deutlicher wird mitunter die Kritik: „Der Olaf baut in 90 Tagen ein
       LNG-Terminal“, sagt er etwa zu Söder, „du in vier Jahren keine einzige
       Wohnung.“ Mit einem Tintenstrahldrucker vergleicht er den CSU-Chef: „Ein
       Laserdrucker ist schnell, aber leise, der Tintenstrahl langsam aber laut.“
       Belustigt nimmt der Kabarettist Bezug auf einen Aktenvermerk aus der
       Staatskanzlei, der jüngst öffentlich wurde: Kein „Gewinnerthema“ sei die
       zweite Stammstrecke in München, weshalb man das Thema vor der Wahl im
       Herbst lieber nicht hochkochen lassen solle. „Ich hab’ den Eindruck, seit
       so Leut’ wie der Scheuer weg sind, habt ihr einen Fachkräftemangel im
       Bereich strategisches Bescheißen.“
       
       ## Merz – der ist älter, der darf mehr Dreck ausstoßen
       
       Es geht um verfehlte Energie- und Verkehrspolitik, den besonders harten
       Umgang mit Klimaaktivisten, Söders „strategische Cholerik“, die
       rückständige Bildungspolitik und immer wieder den Hubert Aiwanger, den
       Vize-Ministerpräsidenten von den Freien Wählern, der es sich im
       „Söder-Schwitzkasten“ bequem gemacht habe.
       
       Die Essenz des bayerischen Schulsystems, so Schafroth, laute: „Permanente
       Höchstleistungsanreize durch schwelende Minderwertigkeitsgefühle. Das ist
       quasi die Bauanleitung für die Persona Söder.“ Über [5][Gesundheitsminister
       Klaus Holetschek], Schwabe wie er selbst, sagt der Fastenprediger: „Solche
       wie dich kenn’ ich aus’m Allgäu, das sind die, die früher im Schulbus immer
       ganz vorne gesessen sind und sich beim Busfahrer eingeschleimt haben: Toll,
       wie Sie ganz allein den großa Wage lenkat.“
       
       [6][Und Friedrich Merz?] „Da kommt so ein politischer Scheunenfund daher
       und verunglimpft mit seinem Geschwätz über,kleine Paschas' eine ganze
       Kultur. Aber da sagt die Union: Ja mei, das ist wie bei Autos mit
       H-Kennzeichen, da sagt man, der ist schon älter, der darf a bissl mehr
       Dreck ausstoßen.“
       
       ## Gestrandet auf einer einsamen Insel
       
       Gegen Ende seiner Rede wird Schafroth dann noch einmal ernst, preist
       Demokratie und Rechtsstaat, die ermöglichten, dass er hier auf der Bühne
       frei sagen könne, was er wolle. Wer dieses Glück der Freiheit nicht schätze
       und sage, „mir ist das a bissl zu viel Freiheit in einer Demokratie, mir
       waren das bei der Einführung vom Farbfernsehen damals schon zu viele
       Farben, ich hab’ es lieber schwarz-weiß und binär“, der möge bitte Platz
       machen für Leute, die zu uns wollten und an dieser Freiheit teilnehmen
       möchten.“ Der Saal jubelt. Stehende Ovationen.
       
       Und dann das Singspiel. Ja die rund einstündige bewegte 3-D-Karikatur trägt
       tatsächlich noch diesen altmodischen Namen, mag man es nun
       traditionsbewusst oder rückständig finden. Den Sachverhalt jedenfalls
       trifft es, denn es wird gesungen und gespielt.
       
       „Gestrandet“, heißt das Stück, es geht um eine illustre Runde von
       Politikern, die sich nach einer Wassernotlandung auf einer einsamen Insel
       wiederfinden. Darunter ein Söder, der darunter leidet, immer für seine
       ganze CSU mitdenken zu müssen. Zum Beispiel für seinen Generalsekretär, den
       zweiten gestrandeten Christsozialen, dessen Namen auch Söder immer wieder
       vergisst und der sich noch platter als sein über alles verehrter Chef darin
       ergeht, Werbefloskeln für seine Partei, sein Land und seinen „Dr. Markus
       Söder“ abzusondern. „Wir in Bayern sind die Nummer eins im
       Ganz-weit-vorn-sein.“
       
       ## „Jede Ankündigung als Triumph feiern!“
       
       Aber es sind auch Bundespolitiker auf der Insel gestrandet, namentlich Olaf
       Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner. Es geht sodann – logisch! – um
       einen Wettstreit zwischen den Regenten in Bayern und im Bund, die Frage,
       wer in der Krise mehr leistet.
       
       Mit im Bayernteam: Aiwanger, der sich gleich daran macht, nach Nahrung zu
       suchen. Ein dafür anvisierter Thunfisch entpuppt sich jedoch als Hai,
       worauf Aiwanger zunächst als einarmiger („Des werd scho wieder“), dann als
       einbeiniger Wirtschaftsminister („Der hat’s jetzt fei g’nau beinand.“)
       wiederkommt. Der Generalsekretär verkündet indes stolz den Kontrahenten aus
       Berlin: „Bei uns gibt’s heute noch Fisch!“ Und erntet dafür erstmals Lob
       vom Chef: „Das hast du gut von mir gelernt: Jede Ankündigung schon als
       Triumph feiern! Ob’s nachher hinhaut, ist dann wurscht.“
       
       Auch musikalisch ist einiges geboten. Ein bisschen Shanty, ein bisschen
       Deutsch-Rap, und als Höhepunkt ein Kanzler-Medley, den Doppel-Wumms. Darin:
       Klassiker von den Supremes („Stop! In The Name Olaf“), den Beatles („All
       You Need Is Olaf“) und Isley Jasper Isley („Caravan Olaf“).
       
       Außerdem auf der Insel: die bayerische Oppositionsführerin Katharina
       Schulze von den Grünen. Ansonsten ist das Personal reichlich männlich
       ausgefallen, auch wenn die Frauenquote schauspielerseits etwas aufgebessert
       wird, da die nicht unbedingt dankbare Aufgabe, den Kanzler darzustellen von
       Nikola Norgauer übernommen wird. Statt des Ampel-Dreigestirns
       Scholz-Habeck-Lindner hätte eine Variante mit Annalena Baerbock anstelle
       des ohnehin etwas blass geratenen Habecks vielleicht doch inhaltlich etwas
       mehr Potenzial geliefert.
       
       ## Gisela Schneeberger als Reichsbürgerin
       
       Immerhin zwei weitere Frauen gibt es. Als Überraschungsgast erscheint
       plötzlich [7][Gisela Schneeberger] in der Rolle von Freya auf, einer
       Reichsbürgerin, die sich schon auf der Insel häuslich eingerichtet, sprich
       ein Bunker gebaut hat und wenig erfreut ist, als die vom internationalen
       Großkapital finanzierten Genderwahnsinnigen, Geimpften und Linksextremen
       hier aufkreuzen. „Aber meine Insel gehört nicht zu Ihrer Deutschland GmbH!“
       
       Und ausgerechnet von einer im Schlauchboot vorbeirudernden Ex-Kanzlerin
       müssen die Gestrandeten schließlich erfahren, dass sie daheim längst
       vergessen sind und nicht vermisst werden. Nach Aiwanger habe man immerhin
       eine Schneekanone am Sudelfeld benannt. Ob er denn daheim schon ganz
       vergessen sei, fragt Söder ungläubig. „Iwo! Im Zukunftsmuseum Nürnberg
       gibt’s jetzt jeden zweiten Dienstags immer drei Söderwürstchen im Weckla.“
       Auf den Wunsch, Hilfe zu holen, will Merkel allerdings nicht eingehen: „Nö
       nö, ich misch’ mich nicht mehr ein. Ihr schafft das schon!“ Und rudert ab.
       Mit Gesang. „Je ne regrette rien.“
       
       Oberbürgermeister Dieter Reiter („Le Stadt c’est moi“) war zwar nicht an
       Bord des abgestürzten Fliegers kommt aber plötzlich aus dem Untergrund,
       weil er sich auf dem Weg vom Marienplatz zum Ostbahnhof vergraben hat. Für
       weniger Ortskundige: Die zweite Stammstrecke der S-Bahn ist für München in
       etwa das, was für Hamburg die Elbphilharmonie und für Berlin der Flughafen
       ist – nur dass ihre Fertigstellung noch in weiter Ferne liegt.
       
       Sehr unterhaltsam ist das Stück, mit reichlich Wortwitz und Anspielungen,
       die Charaktere sind teils sehr gut getroffen. Gute Miene zum bösen
       Singspiel muss hier freilich keiner machen. Allenfalls vielleicht der
       CSU-Generalsekretär, der sich in seiner Belanglosigkeit und
       Groopiehaftigkeit doch sehr authentisch dargestellt sah. Schließlich
       dürften sein Name auch in der bayerischen Wählerschaft nur besonders
       Interessierten geläufig sein. Und zur Vollständigkeit – nicht, dass es eine
       Rolle spielte – sei er um der guten Chronistenpflicht willen halt doch noch
       erwähnt: Der Mann heißt Huber. Martin Huber.
       
       4 Mar 2023
       
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