# taz.de -- Die CDU unter Friedrich Merz: Er kann nicht anders
       
       > Merz ist seit einem Jahr Chef der Christdemokraten. Wie läuft es, wenn
       > jemand mit dem Hang zum Polarisieren eine Partei einen soll?
       
 (IMG) Bild: Im Pullover und ohne Krawatte, aber trotzdem nicht leger: Friedrich Merz bei der CDU-Bundesvorstandsklausur in Weimar
       
       Es ist früher Nachmittag, als Friedrich Merz am zweiten Samstag im Januar
       in einem Hotel am Weimarer Goethepark vor die Presse tritt. Im Nebenraum
       räumen Servicekräfte die Reste des Mittagessens ab, mit dem die [1][Klausur
       des CDU-Bundesvorstands] gerade zu Ende gegangen ist.
       
       Zwei Tage lang hat sich die CDU-Spitze mit den Themen Wirtschaft, Energie
       und Klima beschäftigt, mit dem Ökonomen Clemens Fuest vom Ifo-Institut und
       der Bremer Meeresbiologin Antje Boetius waren hochkarätige Gäste geladen.
       In der Wirtschaftspolitik, traditionell eigentlich ein Kernthema der
       Partei, sind die Kompetenzwerte der CDU eingebrochen. Bei der Klimapolitik
       waren sie noch nie sonderlich hoch.
       
       Das Treffen soll Abhilfe schaffen, und natürlich soll darüber berichtet
       werden. Deshalb steht der CDU-Parteivorsitzende nun vor dem Mikrofon. Doch
       schon der zweite Journalist, der das Wort erhält, fragt nicht nach
       Wirtschafts- oder Klimapolitik. Es habe doch eine Diskussion über den
       integrationspolitischen Kurs und Kritik an seiner Wortwahl gegeben: „Werden
       Sie an diesem Kurs etwas ändern, werden Sie sich zusammenreißen?“
       
       Merz hatte vier Tage zuvor [2][in der Talkshow von Markus Lanz] im
       Zusammenhang mit der Silvesterrandale pauschalisierend arabische Jungen
       „kleine Paschas“ genannt und von Menschen gesprochen, „die nicht in unser
       Land gehören“. Das hat für Wirbel gesorgt, auch in der Partei. Migration
       ist für die CDU ein schwieriges Thema, nicht erst seitdem der
       Flüchtlingsherbst 2015 die Union fast zerrissen hat. Hier stehen sich
       Modernisierer und Konservative besonders unversöhnlich gegenüber – auch
       wenn inzwischen jeder in der Partei weiß, dass es ohne
       Fachkräftezuwanderung nicht mehr gehen wird.
       
       ## Im dritten Anlauf
       
       Merz wiegelt ab. Diskussionen dazu habe es keine gegeben, nur einige wenige
       Wortmeldungen, sagt er auf der Hotelbühne. Und ohnehin: Die Partei sei sich
       weitgehend einig. Doch da war die Mahnung von CDU-Generalsekretär Mario
       Czaja, man möge Menschen mit Migrationsgeschichte gegenüber sensibel mit
       Sprache umgehen, schon längst aus der Klausur nach außen gedrungen. Und die
       kritischen Äußerungen der Vorstandsmitglieder Hermann Gröhe und Serap Güler
       ebenfalls. Die Auseinandersetzung überlagerte die Berichterstattung
       verhagelte der CDU den Jahresauftakt und sagt viel über die Schwierigkeiten
       von Friedrich Merz als Parteichef.
       
       Seit gut vier Jahren ist der Sauerländer, Millionär und ehemalige
       Aufsichtsratsvorsitzende von Blackrock Deutschland zurück in der Politik.
       Seither hat es viele polarisierende Einwürfe von Friedrich Merz gegeben.
       Als er erst gegen Annegret Kramp-Karrenbauer und dann gegen Armin Laschet
       um den CDU-Vorsitz kämpfte, haben ihn seine kernigen Aussagen zum
       vermeintlichen Heilsbringer für all jene gemacht, die eine Kehrtwende der
       Partei und ein stärker konservatives Profil wollten, möglichst weit weg vom
       mittigen Kurs Angela Merkels. Verloren hat Merz die Wahlen trotzdem.
       
       Doch im dritten Anlauf hat die Partei Merz schließlich doch noch zu ihrem
       Vorsitzenden gewählt, nach einer Mitgliederbefragung, die eindeutig
       ausging: 62 Prozent stimmten für ihn, beim Parteitag wurden über 94 Prozent
       daraus. Selbst Merz-Gegner*innen konnten das Mitgliedervotum nicht
       ignorieren. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen dachte manch einer aber
       wohl auch: Dann soll er es halt selbst versuchen.
       
       Als Merz im Januar 2022 die CDU übernimmt, gleicht sie einem Trümmerfeld.
       Zwei Parteivorsitzende hat sie in kürzester Zeit verschlissen, das
       Verhältnis zur Schwesterpartei ist zerrüttet, die Bundestagswahl ging
       verloren, das Kanzleramt an die SPD. Niemand weiß mehr, wofür die CDU steht
       und wohin sie will. Es ist eine Herkulesaufgabe: Der neue Vorsitzende
       muss die Partei einen, inhaltlich neu aufstellen und mit der CSU versöhnen.
       
       Anfangs scheint es, als hätte der heute 67-Jährige bei seinem langen Weg an
       die Spitze der Partei gelernt. Mit zugespitzten Äußerungen hält er sich
       zurück, stattdessen sagt er Sätze wie „Die CDU muss modern werden“. Er
       verspricht, mit ihm werde es keinen Rechtsruck geben, und beteuert die
       Bedeutung von sozialer Gerechtigkeit. Es scheint, als wolle Friedrich Merz
       sich neu erfinden. Weg von dem neoliberalen Anti-Merkel mit viel Arroganz
       und wenig Empathie.
       
       Zum Generalsekretär macht er Mario Czaja, Mitglied in der
       Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), dem Arbeitnehmerflügel
       der Partei – und damit parteiintern weit entfernt von Merz. Auffällig oft
       spricht Merz vom „Team“ und davon, dass eine Partei wie die CDU viele Köpfe
       brauche. Auch Karin Prien, die liberale Bildungsministerin aus
       Schleswig-Holstein, und der Klimaexperte Andreas Jung werden
       stellvertretende Parteivorsitzende.
       
       Seitdem aber sendet Merz widersprüchliche Signale: Er hat eine
       parteiinterne Frauenquote durchgesetzt und sich bei einer Rede von
       Außenministerin Annalena Baerbock mit theatraler Geste ans Herz gefasst,
       [3][um ihre Ausführungen über feministische Außenpolitik ins Lächerliche zu
       ziehen]. Er hat beteuert, wie wichtig der Klimaschutz für die CDU sei, und
       ist [4][im Privatflieger] zu Christian Lindners Hochzeit nach Sylt
       gejettet. Er ist früh in die Ukraine gereist, um Solidarität zu bekunden,
       und hat ukrainische Geflüchtete als „Sozialtouristen“ beschimpft. Für
       Letzteres hat er sich später halbherzig entschuldigt.
       
       ## Das eine und das andere Ende der Partei
       
       Was die Frage aufwirft, ob er sich wirklich verändert hat. Kann einer, der
       immer „ich“ gesagt hat, plötzlich im „Wir“ denken? Kann einer, der so oft
       polarisierte und ausgrenzte, plötzlich zusammenführen? Wo also steht
       Friedrich Merz – und wo steht seine Partei nach einem Jahr mit ihm als
       Vorsitzenden?
       
       Anrufe bei zwei CDU-Kennern, die es wissen könnten. Beide haben die Partei
       professionell im Blick und sind auch eng mit ihr verbandelt. Der eine,
       Andreas Püttmann, Politikwissenschaftler und Publizist aus Bonn, nennt sich
       selbst „ideeller Christdemokrat ohne Parteibuch“. Er ist dem
       sozialliberalen Parteiflügel zugetan und hat aus seiner Gegnerschaft zu
       Friedrich Merz nie einen Hehl gemacht. Rechtspopulistische Abwege sind
       Püttmann ein Graus. Er sagt: „Friedrich Merz ist zu der notwendigen
       geistigen Führung der Partei nicht in der Lage.“
       
       Der andere: Andreas Rödder, Geschichtsprofessor in Mainz, gilt als
       konservativer Vordenker. Seit Merz CDU-Chef ist, leitet Rödder die
       Grundwertekommission der Partei und wollte prompt den Begriff
       Gleichstellung aus ihrer Grundwertecharta streichen. [5][Identitätspolitik
       hat er als zentrale Gefahr für die Demokratie ausgemacht.] Rödder, der
       eigentlich Merz-Fan ist, sagt: „Ich habe Hoffnungen, die sich noch erfüllen
       lassen.“
       
       Püttmann steht also für das eine, Rödder für das andere Ende der CDU,
       zufrieden ist keiner der beiden mit dem Vorsitzenden – und manche ihrer
       Begründungen ähneln sich. Beide finden gut, wie Merz im Bundestag den
       Kanzler herausfordert. Beide sind der Ansicht, dass er sich zu sehr auf die
       Fraktion konzentriert und die Partei vernachlässigt. Dass der CDU weiterhin
       eigene Konzepte fehlen, ein echtes Manko. Und dass Merz im ersten Jahr
       einige gravierende Fehler gemacht hat.
       
       ## Parteichef, Fraktionschef, Oppositionschef – Kanzlerkandidat?
       
       Es ist Anfang Juni, Generaldebatte im Bundestag, als Merz den Kanzler zum
       ersten Mal aus der Reserve lockt. Lässig steht er mit seinen 1,98 Metern am
       Redepult. Warum Olaf Scholz nicht endlich sage, dass die Ukraine den Krieg
       gewinnen müsse, fragt Merz. Welche Waffen er wirklich liefern wolle. Und
       wie der Kanzler abstimmen werde, wenn es im Europäischen Rat um einen
       EU-Kandidatenstatus für die Ukraine geht. 20 Minuten läuft das so. Der
       CDU-Mann macht klar: Der Kanzler wird dem Begriff Zeitenwende nicht
       gerecht.
       
       Olaf Scholz liest seine Reden gewöhnlich vom Blatt ab, fürs Zuhören
       ermüdend. Doch an diesem Tag lässt er sein Manuskript liegen – und koffert
       zurück. „Sie sind hier durch die Sache durchgetänzelt und haben nichts
       Konkretes gesagt.“ Merz stelle nur Fragen und positioniere sich nicht.
       „Damit werden Sie nicht durchkommen.“ Dann listet er, sogar mit einer
       gewissen Leidenschaft, auf, wie Deutschland die Ukraine unterstützt. Ein
       Moment, in dem auch Gegner*innen der Union einräumen: Für die Debatte im
       Bundestag ist Merz ein Gewinn.
       
       Dem CDU-Mann gefallen Auftritte wie dieser – wenn er auf großer Bühne auf
       einer Stufe mit dem Kanzler agieren kann. Mitte Februar hat er dafür Ralph
       Brinkhaus geschasst und den Fraktionsvorsitz selbst übernommen. Sein
       Teamgeist hat Grenzen, wenn es um die eigenen Pläne geht. Merz hat damit
       die beiden Top-Posten der CDU besetzt – und die Pole-Position für die
       Kanzlerkandidatur. Geht es in der Presse um die Bundes-CDU, kommt vor allem
       einer vor: Friedrich Merz.
       
       In Zeiten des russischen Angriffkrieges muss die Union staatstragend sein,
       aber sich gleichzeitig gegen die Regierung profilieren. Beim Sondervermögen
       für die Bundeswehr und beim Bürgergeld gelingt ihr diese Gratwanderung,
       manchmal, wie beim Mindestlohn, geht es daneben.
       
       Merz konzentriert sich auf die öffentlichkeitswirksamen Auftritte und auf
       die Fraktion, das hat seinen Preis: Für die Partei hat er wenig Zeit, dabei
       soll hier die CDU inhaltlich neu aufgestellt werden. Carsten Linnemann,
       Parteivize und ehemaliger Chef der Mittelstandsvereinigung, schiebt zwar
       das neue Grundsatzprogramm an, doch das ist ein zäher Prozess. 2024, zur
       Europawahl, soll es fertig sein. „Innerparteilich sind stärkere Akzente
       nötig, um diese heterogene Partei zu führen“, urteilt Historiker Andreas
       Rödder.
       
       In der CDU-Zentrale laufen die Dinge alles andere als rund. Merz hat den
       alten Bundesgeschäftsführer spät ausgetauscht, aber bereits zwei
       Büroleiter*innen verschlissen, die neue Kommunikationschefin wurde
       groß angekündigt und war dann schnell wieder weg. Der Generalsekretär wird
       quer durch die Parteilager als schwach kritisiert, die stellvertretende
       Generalsekretärin gilt als noch schwächer. Deren Posten hat Merz extra
       geschaffen, damit er beim Kampf um den Parteivorsitz zumindest eine Frau
       vorweisen kann. „Wenn die anderen nicht glänzen, kann Merz besser
       strahlen“, kommentiert ein Parteifunktionär Merz’ Personalauswahl.
       
       Dass Mario Czaja es nicht schafft, so richtig zu punkten, könnte aber auch
       an seiner Rolle liegen. Generalsekretäre sind meist dazu da, die Position
       des Parteivorsitzenden zuzuspitzen. Sie testen, wie Aussagen wirken. Und
       greifen an. Manchmal macht Czaja das auch, wie zuletzt mit der Forderung,
       eine Deutschpflicht auf Schulhöfen einzuführen. Aber er ist als liberales
       und soziales Korrektiv zu Merz ins Amt gekommen, sollte parteiintern für
       Zustimmung jenseits der eigenen Fanbase sorgen. Jetzt setzt Czaja sich
       mitunter merklich von seinem Chef ab.
       
       Czaja weiß, dass die CDU andere Wählergruppen ansprechen muss, will sie
       zurück an die Macht. Der Unmut über die Bundesregierung ist derzeit groß,
       doch in Umfragen ist die CDU bei knapp 30 Prozent wie festgenagelt, sie
       überzeugt nur ihre Kernklientel. Der Generalsekretär will Frauen, junge
       Familien, Menschen mit Migrationsgeschichte für die CDU ansprechen. Und
       weiß natürlich, wie schädlich dafür Merz’ „kleine Paschas“ sind oder auch
       die Frage des Berliner Landesverbandes nach den Vornamen der
       Tatverdächtigen mit deutscher Staatsbürgerschaft aus der Silvesternacht.
       
       ## Die Gesellschaft ist weiter
       
       Schaut man sich Merz’ Auftritt bei Lanz genau an, sieht man einen Mann, der
       sich in Fahrt redet. Der immer schneller spricht und im Ton bestimmter
       wird. Merz wirkt nicht so, als wolle er nur rein strategisch an den
       Stammtischen punkten. Sondern wie einer, der meint, was er sagt. Der nicht
       wirklich versteht, was Aladin El-Mafaalani, der Integrationsforscher, der
       im TV-Studio neben ihm sitzt, überhaupt von ihm will. Merz wirkt wie einer,
       der nicht anders kann.
       
       Am Abend darauf ist [6][Carlo Masala], Sohn eines italienischen
       Gastarbeiters und Militärexperte von der Universität der Bundeswehr, in
       Lanz’ Talkshow zu Gast, er wird auch von der Union geschätzt. „Ich bin über
       die Maßen erzürnt“, sagt Masala zu den Äußerungen von Merz und die Debatte
       rund um die Silvesternacht. „Man spuckt all denen, die seit zwei oder drei
       Generationen hier leben, ins Gesicht.“
       
       Merz wird Masalas Auftritt gesehen haben, kurze Clips davon schwirren
       tagelang durch die sozialen Netzwerke. Doch eine Irritation, ein Innehalten
       sind ihm nicht anzumerken. Das mag auch daran liegen, dass in der
       CDU-Zentrale auch Zustimmung für den Parteichef ankommt. Immer wieder
       verteidigt Merz seine Äußerungen. [7][„Ich habe dem Volk aufs Maul
       geschaut“, sagt er etwa dem Tagesspiegel, ] und das sei Demokratie. Dass
       große Teile des Volkes inzwischen längst anders ticken, dass sich die
       Gesellschaft in den Jahren, die er jenseits der Politik verbracht hat,
       weiterentwickelt hat, das sieht Merz nicht. Oder er will es nicht sehen.
       
       Wie gespalten die CDU beim Thema Migration ist, zeigt sich im Dezember in
       der Bundestagsfraktion, bei der Abstimmung über das Aufenthaltsrecht. Die
       Innenpolitiker*innen wollten die Fraktion auf ein Nein einschwören,
       dass es zum internen Konflikt kommen würde, war vielen Beteiligten klar.
       Nach allem, was man aus der Fraktion hört, ließ Merz, in dieser Frage
       selbst Hardliner, das Problem schleifen. Erst kündigte er einen eigenen
       Antrag der Union an, hinter dem sich die ganze Fraktion versammeln könnte,
       dann war dieser plötzlich wieder vom Tisch. 20 Abgeordnete scherten
       schließlich aus der Mehrheitsmeinung aus. Sie enthielten sich bei der
       Abstimmung und gaben dazu eine Erklärung ab. Gröhe und Güler waren dabei,
       auch Armin Laschet, Helge Braun und Bundestagsvizepräsidentin Yvonne
       Magwas.
       
       Es ist ein Abwehrkampf, klar, aber man darf dies wohl auch als Warnzeichen
       verstehen, dass die Liberalen in der CDU ihre Grenzen haben.
       
       Am Rande des Plenums beobachten mehrere Politiker*innen, wie Merz mit
       erhobenem Zeigefinger auf Serap Güler eingeredet. Der Eindruck der
       Beobachter*innen: Der Fraktionschef staucht eine Abgeordnete zusammen, die
       nicht hinter ihre Positionen als NRW-Integrationsstaatssekretärin
       zurückfallen will. Am 24. Januar soll es eine offene Fraktionssitzung
       geben, in der das Thema Migration auch mit Experten von außen besprochen
       wird.
       
       Auch Sozialpolitik ist in der CDU ein umstrittenenes Feld. Für diese steht
       besonders die CDA. Doch zuletzt ist der Sozialflügel der Partei etwas unter
       die Räder gekommen. „Merz hat die CDA an die Wand gedrückt“, sagt
       Politikwissenschaftler Püttmann. „Der sozial-liberale Flügel ist
       erschreckend schwach.“ Alle fünf Stellvertreter:innen des Parteichefs
       gehören zur Mittelstandsvereinigung, verkündete deren Geschäftsführer nach
       der Wahl stolz. Dass Merz die CDA für die Minderheit in der CDU hält, hat
       er jüngst öffentlich beim Arbeitgebertag vorgetragen. Der CDA-Forderung
       nach mehr Tariftreue hat Merz dort eine Absage erteilt. Er sagte: Der
       Vorschlag, in die Tarifautonomie einzugreifen, komme „von einem kleinen
       Teil der Partei“. Völlig ohne Not hatte Merz einen Teil der Partei
       gedemütigt.
       
       Feingefühl ist seine Sache nicht, aber Merz scheint oft auch nicht gut
       beraten. Fragt man herum, auf wen der Parteichef denn höre, ist die
       Reaktion oft ein Schulterzucken. „Friedrich Merz kennt nur zwei Antworten:
       seine und die falsche“, sagt einer aus der CDU, der kritisch auf Merz
       blickt. Auch aus der CDU-Zentrale ist zu hören, dass es nicht immer leicht
       mit dem Chef sei. „In seinem Apparat scheint es kein Frühwarnsystem zu
       geben“, sagt Püttmann.
       
       Das könnte auch einige der Fehler erklären. Fragt man Püttmann und Rödder,
       fällt beiden, neben der „Sozialtourismus“-Äußerung über ukrainische
       Geflüchtete, gleich das Debakel mit Lindsey Graham ein – dem US-Senator und
       Trump-Vertrauten, der versuchte, den Demokraten die Schuld am Sturm auf das
       Kapitol anzuhängen. Merz sagte erst zu, bei einer Veranstaltung im August
       mit Graham gemeinsam aufzutreten, als es Kritik hagelte, sagte er wieder
       ab.
       
       Aber dann wird es zwischen den beiden Parteikennern kontrovers: Rödder hält
       die Einführung der Frauenquote für ein schweren Fehler, weil die aus seiner
       Sicht „nicht zu den Grundlagen christdemokratischer Politik passt“. Nach
       dem Parteitag im September, als die Quote verabschiedet worden war, war
       Rödder aufgebracht. „Wenn Merz seine Unterstützer nicht verlieren will,
       wird er glaubhaft vermitteln müssen, dass er inhaltlich für die Positionen
       steht, für die ihn fast zwei Drittel der Partei gewählt haben“,
       [8][schimpfte er gegenüber der taz]. Und es stimmte: Viele Merz-Fans waren
       entsetzt.
       
       Andreas Püttmann dagegen kritisiert, Merz habe „eine Brandmauer zur AfD“
       versprochen, doch eine klare Abgrenzung nach rechts fehle weitgehend. „Wenn
       irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten,
       steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an“, das hatte Merz
       versprochen. Doch das passiert nicht, wie kurz vor Weihnachten in Bautzen
       zu sehen war. Der dortige Landrat hatte erst im Kreistag für einen Antrag
       der AfD gestimmt, was ein klarer Bruch der CDU-Regularien ist. Und dann
       hatte er in einer Videobotschaft behauptet, dass [9][die Unterbringung von
       Geflüchteten in leerstehenden Wohnungen den sozialen Frieden gefährde.]
       Merz schickte Czaja zur Distanzierung vor, parteiinterne Konsequenzen gab
       es keine.
       
       ## Problem: miserable Beliebtheitswerte
       
       Trotz der Kritik von beiden Seiten: Friedrich Merz sitzt derzeit fest im
       Sattel. Den Christdemokrat*innen hängen die Personalquerelen der
       vergangenen Jahre nach, man ist froh, dass Merz und CSU-Chef Markus Söder
       sich arrangieren und die Zusammenarbeit mit der Schwesterpartei ohne
       größeren Zwist klappt – zumindest bis zur Bayernwahl. Und dass die mächtige
       Mittelstandsvereinigung Merz fallen lässt, damit ist nicht zu rechnen.
       
       Viel spricht dafür, dass die CDU mit Merz als Kanzlerkandidaten in die
       nächste Bundestagswahl zieht. Dass er selbst das will, daran zweifelt in
       der CDU kaum jemand. Ausgemacht ist das dennoch nicht: Merz wird dann fast
       70 Jahre alt sein. Viel problematischer aber sind seine miserablen
       Beliebtheitswerte. Unter der Führung von Merz, sagt Matthias Jung von der
       Forschungsgruppe Wahlen der taz, bleibe die CDU bei unter 30 Prozent. „Das
       ist die Kernklientel. Um wieder eine strukturelle Mehrheit zu bekommen,
       dafür reicht das nicht.“ Merz sei bei vielen Wähler*innen schlicht
       unbeliebt. Nur Sahra Wagenknecht und Alice Weidel schneiden in Jungs
       Politbarometer stets schlechter ab.
       
       Kann der CDU-Chef sein schlechtes Image noch loswerden? Eher nicht, meint
       Jung: „Merz hat das Image als Gegenentwurf zum Merkel-Kurs, der die Partei
       wieder konservativer aufstellen will, sehr lange gepflegt. Wenn man eine so
       zementierte Wahrnehmung hat, kommt man da nicht mehr raus.“
       
       Merz will sich in diesem Jahr mehr um die Partei kümmern, hört man aus dem
       Konrad-Adenauer-Haus. Nötig ist das. Die CDU muss sich über Positionen
       verständigen und sich dann hinter diesen versammeln.Merz’ Hang zum
       Polarisieren und Poltern hat ihm beim Aufstieg genutzt. Aber jetzt könnte
       er ernsthaft zum Problem werden.
       
       21 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /CDU-Vorstandsklausur-in-Weimar/!5908723
 (DIR) [2] https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-10-januar-2023-100.html
 (DIR) [3] /Feministische-Aussenpolitik/!5841276
 (DIR) [4] /Flugzeug-oder-Regierungs-Dienstwagen/!5869917
 (DIR) [5] /Anti-Wokeness-Kongress-in-Berlin/!5890581
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 (DIR) [7] https://www.tagesspiegel.de/politik/friedrich-merz-verteidigt-seine-aussagen-dem-volk-aufs-maul
 (DIR) [8] /CDU-Politiker-ueber-Frauenquote/!5881155
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       ## AUTOREN
       
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