# taz.de -- Die Wahrheit: Meine nominelle Arisierung
       
       > Namen sind leider nicht Schall und Rauch, sondern verwirrend. Zumindest
       > für Deutsche. Die Namen einfach nicht richtig über die Lippen bekommen.
       
 (IMG) Bild: „Für mich ist es Luxus, hin und wieder erster Klasse zu fahren“
       
       Für viele Deutsche ist es eine Herausforderung, jemandem mit einem
       nahöstlichen Namen zu begegnen. Dann fangen sie an zu stammeln, machen
       hilflose Artikulationsversuche und sprechen den Namen dann halt irgendwie
       aus. So wurde ein Mitschüler meiner Tochter von den Lehrern konsequent
       „Aamett“ genannt, obwohl er selbstverständlich Ahmed hieß und es ja nun
       wirklich nicht so schwer sein sollte, sich zu merken, dass ein solches „h“
       in der Mitte eher wie ein „ch“ gesprochen wird.
       
       Aus diesem Grund habe ich meinen arabischen Vornamen schon 1971, kurz nach
       meiner Einschulung, gegen meinen deutschen Mittelnamen getauscht.
       Eigentlich heiße ich nämlich „Samer“, was hübscherweise soviel bedeutet wie
       „Jemand, der seine Freunde des Nachts mit Plaudereien unterhält“. Leider
       aber bekamen die Kinder in meiner Klasse diesen Namen einfach nicht über
       die Lippen. Obwohl „Samer“ ja keinerlei komplizierte
       Buchstabenkombinationen enthält.
       
       Selbst meine Lehrerin konnte ihn bei der Anwesenheitskontrolle nicht ohne
       Stocken aus dem Klassenbuch ablesen. Da ich in einem robusten Viertel
       aufwuchs, nannten mich meine Mitschüler wahlweise „Samen“, „Besamer“ oder
       irgendwas anderes mit Sperma. Ein Junge nannte mich, warum auch immer,
       „Senftopf“. Ich dachte mir: Dann doch lieber „Hartmut“.
       
       Diesen Zweitnamen hatte mir meine deutsche Mutter verpasst, weil sie, als
       ich ihr damals in Amman nach der Geburt in die Arme gelegt wurde,
       vermutlich dachte: Okay, es ist also, wie erwartet, ein kleiner Schwarzkopf
       geworden. Der kriegt jetzt mal zum Ausgleich einen germanisch-blonden
       SS-Mittelnamen. Eine Art nominelle Arisierung.
       
       Meine Umbenennung war allerdings nur so mittel erfolgreich: Mein Nachname
       „El Kurdi“ verwirrt manche Deutsche so, dass sie gar nicht anders können,
       als meinen Vornamen schriftlich zu „Hartmoud“ zu orientalisieren. Analog
       zum arabischen „Mahmoud“. Den sie allerdings oft „Mammut“ aussprechen.
       Siehe: Aamett.
       
       Auch schön: In verschiedenen Zeitungen erschienen schon Texte von mir unter
       meinem unfreiwilligen Pseudonym „Helmut El Kurdi“. Daran gefällt mir, dass
       die Verantwortlichen hier gar nicht dazu kommen, meinen arabischen
       Nachnamen zu verhunzen, sondern sich vorher schon im deutschen
       Vornamengestrüpp verheddern: Hartmut, Helmut, Helmfried – was soll’s?!
       
       Lustigerweise nennt mich auch meine Freundin Mely Kiyak konsequent Helmut,
       zumindest in unserer erschütternd albernen Digital-Korrespondenz. Beim
       ersten Mal war es ein Versehen. Seitdem macht sie es aus Daffke. Ich nenne
       sie folgerichtig seit Jahren Melanie.
       
       Meine Tochter heißt übrigens Salima und wird gern mal als Samira, Selina
       oder Shalimar angesprochen. Selbst von Menschen, die gerade eine
       Namensliste oder ihren Personalausweis vor sich liegen haben. Manchmal
       glaube ich, dieses Land braucht dringend eine Alphabetisierungskampagne.
       
       29 Mar 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hartmut El Kurdi
       
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