# taz.de -- Gericht entscheidet über Bergmannstraße: Lärmende Ruhe
       
       > Das Berliner Verwaltungsgericht befindet die Verkehrsberuhigung im
       > Bergmannkiez für rechtens. Geklagt hatte ein Anwohner einer Nebenstraße.
       
 (IMG) Bild: Bringt das alles Ruhe rein? Oder erzeugt es anderswo Lärm?
       
       BERLIN taz | Die verkehrsberuhigte Bergmannstraße ist ein Sinnbild der
       Verkehrswende – und sie kann es vorläufig auch bleiben. Nach mehrstündiger
       mündlicher Verhandlung entschied das Berliner Verwaltungsgericht am
       Dienstagnachmittag, dass im Juli 2021 rund um die Kreuzberger Flaniermeile
       getroffenen Verkehrsanordnungen des Bezirksamts rechtmäßig sind. Ein
       Anwohner und ein Radfahrer hatten dagegen aus unterschiedlichen
       Beweggründen geklagt.
       
       Hintergrund ist ein Beschluss der BVV Friedrichshain-Kreuzberg von 2019,
       den Durchgangsverkehr aus dem beliebten Kiez zu verbannen – nach
       jahrelangen Testphasen für eine „Begegnungszone“. [1][Seit 2021 verläuft
       auf einem Abschnitt der Bergmannstraße] ein Zweirichtungsradweg. Er nimmt
       zusammen mit einem „Multifunktionsstreifen“ so viel Platz ein, dass dem
       Autoverkehr nur noch eine Spur bleibt, die als Einbahnstraße ausgewiesen
       ist. In dem Abschnitt gilt Tempo 10, durch Einbahnstraßenregelungen in den
       Seitenstraßen ist ein Durchqueren des Kiezes nicht mehr möglich.
       
       Anstoß genommen hatte der Kläger mit Eigentumswohnung in der Nostitzstraße
       an dem Lärm vor seinem Fenster, der ihm zufolge dadurch enorm zugenommen
       hat. Er störe sich nicht am Ziel der Verkehrsberuhigung, versicherte er vor
       Gericht: „Mich stört, dass es nicht gut geplant ist.“ Vom westlichsten
       Abschnitt der Bergmannstraße zum Mehringdamm hin, wo sich unter anderem
       zwei Supermärkte befinden, würden nun schwere Lkws nach der Anlieferung den
       Kiez wegen der Einbahnstraßenregelung durch die kopfsteingepflasterte
       Nostitzstraße verlassen. „Da wackeln die Wände“, sagte der Anwohner,
       besonders schlimm sei es morgens.
       
       Aus demselben Grund zwängten sich auch Pkws „in Kolonnen“ durch seine
       Straße, in der es vorher praktisch keinen Durchgangsverkehr gegeben habe,
       so der Kläger. Problematisch sei auch deren Fahrverhalten: Weil vor der
       Einmündung der Wohnstraße in die vielbefahrene Gneisenaustraße eine Ampel
       steht, würden viele AutofahrerInnen beschleunigen, um die Grünphase zu
       erwischen.
       
       ## Gefühlte Zahlen
       
       Die Vertreter des beklagten Bezirksamts, darunter der Leiter des Straßen-
       und Grünflächenamts, Felix Weisbrich, hielten dem Verkehrszählungen
       entgegen, die eine Abnahme des Verkehrs in der Nostitzstraße belegen. So
       seien im Jahr 2012 an einem Abend 212 Fahrzeuge registriert worden, im Jahr
       2022 nur noch 118. Der Kläger zog das in Zweifel: Er und seine NachbarInnen
       nähmen eine Zunahme wahr. Gegen die Macht der Zahlen kam er jedoch nicht an
       – auch nicht im Fall der auf der Bergmannstraße verzeichneten
       Verkehrsunfälle: Auf diesen nämlich basieren die ganzen Anordnungen zur
       Verkehrsberuhigung.
       
       Die Vorsitzende Richterin wies auf eine verbreitete Wahrnehmungsvezerrung
       hin: „Weil immer so viel über planerische Ideen gesprochen wird, übersieht
       die Öffentlichkeit oft, dass solche Anordnungen der Gefahrenabwehr dienen
       müssen.“ Tatsächlich erlaubt die deutsche Straßenverkehrsordnung
       beruhigende Eingriffe in den Verkehr nicht einfach, weil es die
       Aufenthaltsqualität einer Straße steigert – auch wenn das absolut
       nachvollziehbar wäre. Vielmehr muss eine überdurchschnittliche
       („qualifizierte“) Gefahrenlage vorliegen, die so entschärft werden soll.
       
       Im Falle der Bergmannstraße kann das Bezirksamt aber tatsächlich auf die
       polizeiliche Unfallstatistik verweisen. Diese ordnet die Bergmannstraße als
       Unfallhäufungspunkt ein: Zwischen 2018 und 2020 wurden hier 4 Radfahrende
       schwer und 13 leicht verletzt.
       
       ## Alles „Ermessensausübung“
       
       Wieso sich daraus ausgerechnet die Einrichtung einer Einbahnstraße ergebe,
       wollte die Vorsitzende dennoch wissen. Das ergebe sich aus den
       „Gesamtsystem“, argumentierte der Anwalt des Bezirksamts: Der
       Zweirichtungsradweg sei erforderlich, um die Gefahrenlage zu minimieren,
       daraus ergebe sich eine deutlich reduzierte Fläche für den Autoverkehr.
       „Wenn man jetzt nicht die Gehwege schmaler machen will, kommt man zur
       Einbahnstraße.“ Letztlich handele es sich bei der konkreten Ausgestaltung
       der verkehrsberuhigten Zone um eine „Ermessensausübung“.
       
       Den Richterinnen der 11. Kammer reichte das, um die Klage abzuweisen: Die
       getroffenen Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung seien begründet und nicht
       „ermessensfehlerhaft“. Die Verkehrssicherheit habe höher gewichtet werden
       dürfen als das Interesse des Anwohners, von Lärm am Morgen verschont zu
       bleiben – zumal dessen Angaben zur Lärmbelastung „vage“ geblieben seien.
       Während der Verhandlung hatte die Vorsitzende Richterin vorgeschlagen, die
       Klage zurückzuziehen, weil das Bezirksamt zusagte, auch in der
       Nostitzstraße noch „Berliner Kissen“ zur Geschwindigkeitsreduzierung
       einzubauen. Das hatte der Kläger aber abgelehnt.
       
       Auch die Klage eines Fahrradfahrers gegen das Tempolimit von 10 km/h wurde
       zurückgewiesen. Er hatte argumentiert, Unfälle würden ja schon durch den
       baulich abgetrennten Radweg vermieden. Dem hielt das Gericht entgegen, die
       bauliche Umgestaltung der Straße habe zu einer „komplexen Gemengelage von
       Fuß-, Rad-, Liefer- und Durchgangsverkehr“ geführt, das Tempolimit schütze
       vor allem querende FußgängerInnen.
       
       Dem Argument des Klägers, die Radfahrenden hielten sich ohnehin nicht an
       die Geschwindigkeitsbeschränkung, hielten die Richterinnen entgegen, dies
       sei „reine Spekulation“ und stelle die Erforderlichkeit der Maßnahme nicht
       infrage. [2][Die Klage war zuvor schon im Eilverfahren abgewiesen worden.]
       
       15 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
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