# taz.de -- Finnlands Regierungschefin geht: Sanna Marins kluger Rückzug
       
       > Raus aus dem Amt, weg vom Parteivorsitz: Die finnische Wahlverliererin
       > Marin geht – doch von dem jungen Ausnahmetalent wird man noch hören.
       
 (IMG) Bild: Sanna Marin hat den Rücktritt ihrer Regierung eingereicht
       
       Sanna Marin will nicht mehr. Nachdem [1][Finnlands
       Noch-Ministerpräsidentin] und ihre Partei, die Sozialdemokraten, bei der
       Parlamentswahl am vergangenen Sonntag einer konservativen und einer rechten
       Partei Platz machen mussten, kündigte Marin nun auch ihren Rückzug vom
       Parteivorsitz an. Auf dem Parteitag im September wird sie nicht mehr für
       die Spitzenposition kandidieren.
       
       Marin, so ließ sie wissen, sehe jetzt „Gelegenheit für neue Perspektiven“
       und wolle gern „eine neue Seite“ in ihrem Leben aufschlagen. Ist das klug?
       Weitblickend? Nachvollziehbar? Oder präsentiert sich hier eine Politikerin,
       die sich nach einer (eingestandenen) Wahlniederlage verantwortungslos
       davonstiehlt? Die ihre Partei sich selbst überlässt und lieber schaut, wo
       ihre politische Karriere möglicherweise chancenreicher ist als in ihrem
       eigenen Land, beispielsweise in Brüssel?
       
       Marins Rückzug erinnert an den vorzeitigen Amtsrücktritt der
       neuseeländischen Premierministerin [2][Jacinda Ardern]. Ardern hatte zu
       Beginn dieses Jahres überraschend das Staatsamt niedergelegt, weil sie
       [3][„nicht mehr genug im Tank für weitere vier Jahre“ habe, wie sie es
       formuliert hatte.]
       
       [4][Sanna Marin] dagegen hat noch genug „im Tank“, sie wäre gern erneut
       Regierungschefin geworden. Auch wenn sie zugibt, dass die vergangenen Jahre
       ihr „Durchhaltevermögen auf die Probe gestellt“ hätten. Und doch gibt es
       Parallelen zwischen den beiden Spitzenpolitikerinnen. Ardern und Marin –
       beide noch recht jung – sind politische Ausnahmetalente, von denen es nicht
       viele gibt auf der Welt. Die Neuseeländerin wurde im Ausland zuweilen wie
       eine Heroin gefeiert. Die Finnin gilt in Europa als der „hellste Stern der
       europäischen Linken“.
       
       Als sie 2019 mit 34 Jahren die Führung ihres Landes übernahm, war Marin die
       jüngste Regierungschefin weltweit. Knapp vier Jahre führte sie die
       rot-grüne Fünfparteienkonstellation weitgehend unaufgeregt. Das ist,
       verglichen mit dem hiesigen Dreiparteien-Ampel-Desaster, ein großer Erfolg.
       Auch sind fundamentale Skandale – bis auf das geleakte Video, das sie
       ausgelassen und tanzend bei einer Privatparty zeigt und eher noch
       prominenter und zu Teilen beliebter machte – nicht bekannt. Im Gegenteil:
       Marin managte zwei in ihre Regierungszeit gefallene Krisen erfolgreich –
       die Coronapandemie und den Nato-Beitritt infolge des russischen
       Angriffskriegs auf die Ukraine.
       
       Neuer Kurs unter Marins Führung 
       
       Finnland, das einmal zu Russland gehörte und das sich 1917 infolge der
       Oktoberrevolution vom bolschewistischen Russland unabhängig machte, war
       stets auf seine militärische Neutralität bedacht. Diese Haltung hatte das
       Land unter Marins Führung aufgegeben, die Debatten dazu – im Parlament und
       in der Gesellschaft – verliefen ebenfalls konfliktfrei. Die in Marins
       Amtszeit gestiegene Staatsverschuldung allerdings wussten die Konservativen
       im Wahlkampf für sich zu nutzen, ambitionierte linke Ziele haben halt ihren
       Preis, so lautete das konservative Narrativ. Aber welches Land hat in den
       vergangenen Coronajahren nicht finanziell gelitten?
       
       Angesichts dieser Bilanz der jungen Politikerin Verantwortungslosigkeit zu
       attestieren, hieße, die Debatten um das sprichwörtliche Kleben am
       politischen Stuhl zu leugnen, mindestens aber zu ignorieren.
       Politiker:innen, die trotz Niederlagen und Fehltritten die politische Bühne
       nicht verlassen wollen, sich an Ämter und Positionen klammern, stehen zu
       Recht in der Kritik. Geht es ihnen um die Sache oder einzig um die Macht,
       die sie mit dem Rückzug verlieren würden? Gut beraten sind jene Menschen,
       die wissen, wann es Zeit ist, zu gehen – und es auch tatsächlich tun.
       
       Das sind indes nur wenige. Einer von ihnen war Philipp Rösler,
       FDP-Politiker und früherer Gesundheitsminister. Mit 45 Jahren wollte er
       seine politische Karriere beenden, hatte er stets betont – und kam dem auch
       nach. Sein Parteifreund, der einstige Außenminister Guido Westerwelle,
       hatte schon recht früh in seiner politischen Laufbahn öffentlich bekundet,
       nicht mehr lange politisch tätig sein zu wollen. Doch er war es – bis zu
       seinem Tod 2016. Andere mögen einen früheren Rückzug in Betracht ziehen,
       behalten das aber für sich, aus Angst vor politischem Bedeutungs – und
       Gesichtsverlust: Man könnte es ja als Eingeständnis von Schwäche werten.
       
       Im kommenden Jahr finden Europawahlen statt. Sanna Marin, so ist zu hören,
       könnte als Spitzenkandidatin für die Europäischen Sozialdemokraten
       antreten. Warum auch nicht? Eine neue Chance für eine talentierte
       Politikerin, die gerade mal 39 Jahre alt ist. Ganz egal, ob hinter ihrem
       jetzigen Rücktritt Karrierebewusstsein steckt – oder die Einsicht, dass sie
       in Finnland angesichts einer möglichen konservativ-rechten Regierung
       ohnehin wenig wird bewirken können.
       
       7 Apr 2023
       
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