# taz.de -- Linker Politiker über Abwahl Sanna Marins: „Finnland ist generell eher rechts“
       
       > Sanna Marins Regierung machte Fehler, sagt Toivo Haimi von der
       > Links-Allianz. Den Nato-Beitritt Finnlands hält er für eine traurige
       > Notwendigkeit.
       
 (IMG) Bild: Nato-Partner im finnischen Wald: ein amerikanischer Abrams-Panzer nahe Niinisalo
       
       wochentaz: Herr Haimi, am Sonntag hat Finnland ein neues Parlament gewählt,
       Sie haben selbst für die Links-Allianz Vasemmistoliitto kandidiert. Wie ist
       Ihr Fazit? 
       
       Toivo Haimi: Diese Wahl war eine Abstimmung über Sanna Marins
       Mitte-Links-Regierung, zu der auch unsere Partei gehört. Die Wähler in
       Finnland [1][haben sie abgewählt], die rechten Oppositionsparteien haben
       hinzugewonnen. Das muss man anerkennen. Für unsere Partei war die Wahl ein
       Desaster, ähnlich wie für die Grünen. Wir haben 5 unserer 16 Sitze
       verloren, obwohl alle Prognosen etwas anderes gesagt haben.
       
       Woran lag das? 
       
       Die Umfragen waren sehr knapp. In dieser Situation haben einige Wähler der
       Grünen und Linken lieber strategisch entschieden und Sanna Marins
       sozialdemokratische SDP gewählt, damit sie Regierungschefin bleiben kann.
       Außerdem haben wir es nicht geschafft, unsere eigene Vorstellung von
       Politik zu vermitteln. Was geben wir den Leuten, was die SDP nicht bieten
       kann? Darauf hatten wir keine gute Antwort.
       
       Gebracht hat das taktische Wählen nichts, am Ende liegt die Nationale
       Sammlungspartei vorn, knapp vor den rechtspopulistischen „Wahren Finnen“
       und der SDP. Erleben wir gerade einen Rechtsruck in der finnischen
       Gesellschaft? 
       
       Ich denke nicht, dass heute signifikant mehr Menschen in Finnland rechts
       stehen als vor vier Jahren. Auch damals war eine Mitte-Rechts-Regierung
       möglich, nach 2015 waren die Wahren Finnen sogar schon mal Teil der
       Regierung. Finnland ist einfach generell ein eher rechtes Land.
       
       Was waren die Themen dieser Wahl? Der Nato-Beitritt? Der Ukraine-Krieg? 
       
       Nein, in außenpolitischen Fragen herrscht ein ziemlicher Konsens.
       Wichtigstes Thema war die Staatsverschuldung, die durch die Pandemie, die
       Energiekrise und den Ukrainekrieg deutlich gestiegen ist. Die Opposition
       hat voll in diese Kerbe geschlagen: Die Regierung kann nicht mit Geld
       umgehen! Die Regierung steckt zu viel in unprofitable Dinge wie die
       Sozialversicherung, Entwicklungshilfe! Dazu kamen die gestiegenen
       Lebenshaltungskosten – und dass die Regierung nicht ausreichend für die
       normalen Mittelschichtsfinnen tue.
       
       Hat die Regierung von Sanna Marin Fehler gemacht? 
       
       Vor allem unser Gesundheitssektor ist unterfinanziert und überlastet. Seit
       vielen Jahren wurden die Gehälter des Pflegepersonals nicht nennenswert
       erhöht, es gibt lange Wartezeiten in den Krankenhäusern – den öffentlichen,
       denn die privaten arbeiten gut. Auch das hat die Opposition ausgenutzt:
       Wenn du keine Schlangen in öffentlichen Krankenhäusern willst, dann wähle
       uns, und wir privatisieren sie.
       
       Haben außenpolitische Fragen überhaupt eine Rolle gespielt? 
       
       Schon insofern, als die beiden siegreichen Parteien vom rechten Flügel
       patriotische Themen wie Landesverteidigung und Sicherheit traditionell
       besetzt haben. Das hat sich für sie ausgezahlt. Die Sammlungspartei ist
       etwa schon seit 20 Jahren für einen Nato-Beitritt.
       
       Am Dienstag ist Finnland dann [2][tatsächlich Mitglied der Nato geworden].
       War das für Sie und für die Finnen überhaupt ein Tag zum Feiern? 
       
       Nein, natürlich nicht! Denn der Beitritt ist eine traurige Notwendigkeit in
       einer Welt, in der jemand wie Wladimir Putin so unberechenbar und
       gewalttätig vorgehen kann. Wer den Beitritt Finnlands zur Nato feiert, der
       feiert, dass die Sicherheitslage in Europa so schlecht ist wie seit 75
       Jahren nicht mehr. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass eine große
       Mehrheit der finnischen Bevölkerung vor dem Krieg gegen eine
       Nato-Mitgliedschaft war. Aber als sie unvermeidlich wurde, haben alle
       mitgemacht: der Präsident, Sanna Marin, ihr Kabinett, das Parlament, die
       Mehrheit der Bevölkerung. Das ist wirklich eine Zeitenwende.
       
       Auch die meisten in Ihrer deutlich links stehenden Partei stimmten für die
       Mitgliedschaft. 
       
       Es ist das Versagen der europäischen Linken, keine Alternative zur Nato
       entwickelt zu haben. Einen Verbund, der ohne Atomwaffen auskommt und nicht
       Mittel US-amerikanischer Außen- und Sicherheitspolitik ist. Aber das hätte
       man vor 20, 30 Jahren angehen müssen. Nun gab es keine Alternative zur
       Nato, auch wenn es viele problematische Aspekte an ihr gibt. Die meisten
       Finnen – und auch ich persönlich – sehen den Beitritt als eine
       Notwendigkeit, wie einen Anschnallgurt zu tragen.
       
       Einen Anschnallgurt? 
       
       Er mag unbequem sein, aber er rettet dein Leben. Die Nato ist jetzt Teil
       unserer Außenpolitik. Die wichtigste Frage ist nun: Was werden wir damit
       anstellen? Wird Finnland in der Nato eine Stimme für den Frieden, für die
       nukleare Abrüstung sein? Wenn der Beitritt Schwedens klappt, könnten alle
       nordischen Länder innerhalb der Nato einen Block bilden und vielleicht
       etwas in diese Richtung bewegen.
       
       In Deutschland würde die Linkspartei die Nato am liebsten verlassen. Ihre
       Links-Allianz hat hingegen im Dezember 2022 die Partei der Europäischen
       Linken verlassen und ist nur noch beobachtendes Mitglied. Warum? 
       
       Einige Mitgliedsparteien der Europäischen Linken behaupten, dass Russland
       nicht die alleinige Schuld für die Invasion in der Ukraine trägt, sondern
       dass die Nato und die USA in dieser Frage irgendwas provoziert haben
       sollen. Aber das ist einfach falsch! Es handelt sich um einen
       unprovozierten Angriffskrieg gegen ein souveränes Land, der einen
       eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt. Es hat sehr schwere
       Kriegsverbrechen gegeben. Die Europäische Linke sollte Russlands Spiel
       nicht mitspielen.
       
       Zurück nach Finnland. Petteri Orpo heißt der voraussichtliche neue
       Ministerpräsident – aber mit wem bildet er eine Regierung? 
       
       Es gibt zwei realistische Koalitionsoptionen für die Sammlungspartei:
       [3][ein rechtskonservativer Block] mit den Wahren Finnen, der
       Zentrumspartei und vielleicht der Schwedischen Volkspartei. Oder eine Art
       Große Koalition mit den Sozialdemokraten und mindestens einer, eher zwei
       weiteren Parteien – etwa den Grünen.
       
       Könnte es mit einer Rechtsregierung zu einem außenpolitischen Kurswechsel
       Finnlands kommen? 
       
       Nein. Die finnische Außenpolitik ist wie gesagt sehr konsensbasiert. Zudem
       nimmt in Finnland der Präsident eine bedeutende außenpolitische Rolle ein,
       das ist aktuell Sauli Niinistö, ebenfalls von der Sammlungspartei. Er ist
       derjenige, der in Washington Joe Biden trifft, nicht Sanna Marin. Der
       Präsident bestimmt die Hälfte der Außenpolitik und das Kabinett die andere
       Hälfte. Sauli Niinistö bleibt noch ein Jahr im Amt.
       
       Und innenpolitisch? 
       
       Die Wahren Finnen würden gern den Preis für Benzin und Diesel senken, und
       generell [4][das finnische Ziel, bis 2035 CO2-neutral zu werden], auf 2050
       verschieben. In jedem Fall drohen Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben,
       etwa der Sozialversicherung, dazu möglicherweise Privatisierungen im
       Sozialbereich, im Gesundheitswesen, in der Bildung.
       
       In unserem Bild von den nordischen Ländern und auch Finnland ist der
       Wohlfahrtstaat doch so bedeutsam. Ist das überhaupt noch richtig? 
       
       Ja. Den Sozialstaat an sich stellt auch niemand infrage. Aber viele sind
       der Meinung, dass er zu stark ist, und zu nett zu Leuten, die es nicht
       verdienen; dass es den Arbeitslosen, den Studenten, den Einwanderern hier
       zu gut geht.
       
       Sanna Marin hat am Mittwoch ihren Rücktritt als Parteivorsitzende der SDP
       erklärt. Was wird jetzt aus ihr? 
       
       Nächstes Jahr ist Europawahl und ich habe von einigen Sozialdemokraten
       gehört, dass sie dort als Spitzenkandidatin für die SPE antreten könnte –
       womit sie eine mögliche Kommissionspräsidentin wäre.
       
       In Deutschland würde das sicher gut ankommen, Marin ist hier ziemlich
       beliebt und für eine finnische Politikerin auch außergewöhnlich bekannt. Es
       kam für einige Deutsche sicher überraschend, dass sie die Wahl nicht
       gewonnen hat. 
       
       Dabei hat ihre SDP ja sogar gut abgeschnitten und drei Sitze gewonnen – das
       ist in Finnlands Geschichte nur wenigen Parteien von amtierenden
       Regierungschefs gelungen. Aber das ist auch so eine finnische Besonderheit:
       Ist jemand im Rest der Welt beliebt, sinkt die Popularität im eigenen Land.
       Viele denken dann: „Oh, der hält sich wohl für was Besseres als alle
       anderen.“ Ich glaube, das ist auch Sanna Marin passiert. Sie polarisiert,
       definitiv.
       
       7 Apr 2023
       
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