# taz.de -- Lobbyarbeit für den Fußverkehr: Ein Mann für die Straße
       
       > Roland Stimpel kämpft mit seinem Verein FUSS e. V. für die Rechte von
       > Fußgänger*innen. Ein Spaziergang mit Hindernissen in Berlin-Mitte.
       
 (IMG) Bild: Tritt nicht gerne zur Seite: Roland Stimpel, Vorsitzender von FUSS e.V. in Berlin
       
       BERLIN taz | Nein, nein, ein „Wutgänger“ sei er nicht, das ist Roland
       Stimpel wichtig. Aber als ein Vater mit Kinderwagen wegen eines quer
       parkenden Fahrrads auf die Straße ausweichen muss, bricht es dann doch aus
       ihm heraus: „Berlin-Mitte ist ein failed state! Die Behörden haben hier
       vollständig kapituliert.“ Fast nirgendwo in Deutschland könne man auf dem
       Bürgersteig sicher von A nach B kommen, schimpft Stimpel. Schon gar nicht
       in Berlin.
       
       Die harschen Worte kommen von einem Mann, der sich vorgenommen hat, auf
       Deutschlands am meisten vernachlässigtes Verkehrsmittel hinzuweisen: das
       Zu-Fuß-Gehen. [1][Roland Stimpel, 65 Jahre alt, ist Vorstandsmitglied im
       Verein FUSS e. V.] Während die meisten Deutschen den Autoklub ADAC und
       viele Großstädter den Fahrradverband ADFC kennen, fristet die offizielle
       Fußgängerlobby hierzulande eher ein Schattendasein.
       
       Doch es gibt sie. Stimpel, ein bedachter Mann mit grauem Lockenkopf und
       langem Wollmantel, repräsentiert den rund 1.000 Mitglieder starken Verein.
       Dessen Ziel ist eine Politik, die nicht bei Schnellradwegen und Busspuren
       endet, sondern das alltäglichste aller Verkehrsmittel in den Blick nimmt:
       die menschlichen Füße.
       
       „Das Problem fängt direkt vor der Haustür an“, sagt Stimpel, während er die
       Planckstraße, eine kurze Parallele zur ungleich bekannteren
       Friedrichstraße, in Berlin-Mitte entlangschlendert. Die Luft ist kalt an
       diesem Morgen, von der Spree weht eine feuchte Brise herüber. Während eines
       kleinen Spaziergangs – etwas mehr als einen Kilometer lang – möchte der
       Fußlobbyist demonstrieren, was auf bundesdeutschen Bürgersteigen im Argen
       liegt. Aus seiner Sicht, so viel sei schon mal gesagt: fast alles.
       
       Wenige Meter weit erst ist Stimpel gekommen, da wölbt sich auch schon das
       Kopfsteinpflaster. Ein Rohr ragt aus dem Boden, daneben ein Wald aus
       provisorischen Verkehrsschildern und ein Zebrastreifen, der vor einem
       Baucontainer endet. „Die Fahrbahn ist immer heilig“, sagt Stimpel, „aber
       der Gehweg verkommt zur Resterampe.“ Er spricht in einem ruhigen Ton, aber
       anhand seiner Wortwahl merkt man, wie es in ihm brodelt. Der Zebrastreifen,
       der im Nirgendwo endet? „Wenn hier eine alte Person stürzt und sich die
       Hüfte bricht, liegt ihre Lebenserwartung bei einem Jahr“, behauptet er.
       Dass das mehr markiger Spruch als medizinischer Fakt ist, weiß er
       vermutlich, aber es klingt eben gut.
       
       Bevor er in Rente ging, war Stimpel Journalist. Sein Handwerk hat er an der
       renommierten Henri-Nannen-Journalistenschule gelernt, für seine Texte bekam
       er mehrere Journalistenpreise. Seine Auftraggeber waren die Süddeutsche
       Zeitung, Geo, FAZ, Wirtschaftswoche, Stern. Noch heute schreibt er
       regelmäßig Gastbeiträge. „Eigentlich bin ich aber im Vollzeitehrenamt“,
       sagt Stimpel und meint sein Engagement für FUSS e. V. – eine frühe
       Verrentung machte es möglich.
       
       Die nächste Kreuzung auf dem kleinen Spaziergang naht: Friedrichstraße Ecke
       Am Weidendamm. Hier hat man einen tollen Blick am Spreeufer entlang in
       Richtung Regierungsviertel. In der Ferne saust eine S-Bahn über die Spree,
       die Morgensonne taucht die Uferpromenade in ein orangefarbenes Licht. Nur:
       Wie überquert man diese viel befahrenen Straßen denn jetzt? Eine
       Fußgängerampel gibt es erst einige Meter weiter: Wer am Ufer auf dem
       Spazierweg weiterwill, muss also einen ordentlichen Umweg laufen.
       
       „Und da liegt auch schon der erste E-Scooter im Weg“, bemerkt Stimpel, nun
       ganz in seinem Element. Durchschnittlich alle 77 Meter taucht ein solches
       Hindernis auf einem Bürgersteig auf, wie sein Verband im Rahmen einer
       Studie in drei Stadtteilen nachgewiesen hat.
       
       Berlin-Mitte, ein failed state? Diesen Ausdruck hört Almut Neumann, die
       zuständige Bezirksstadträtin in Mitte, nicht gerne. Aber sie räumt ein: „An
       vielen Stellen ist die Situation nicht so, wie man sie sich wünschen
       würde.“ Die Grünen-Politikerin kennt Roland Stimpel, hat schon mehrfach die
       Situation der Fußwege mit ihm diskutiert – ein konstruktiver Austausch, wie
       sie betont. Schließlich sagt sie: „Wir haben ein Riesenproblem.“
       
       Sicherere Fußwege, weniger Falschparker, bessere Regelungen für E-Scooter –
       all das hat sie sich nach eigenen Angaben vorgenommen. „Ich wünschte, wir
       wären in der Vergangenheit schneller gewesen“, sagt Neumann, „aber wir
       arbeiten mit Hochdruck daran.“
       
       Wir gehen weiter, die Spree entlang gen Pergamonmuseum, zunächst ohne
       weitere Vorkommnisse. Doch dann ist plötzlich Schluss: Das Geländer einer
       Brücke ragt komplett in den Bürgersteig hinein. Um geradeaus
       weiterzukommen, muss man entweder übers Geländer klettern oder auf die
       Fahrbahn treten – keine gute Idee angesichts der Tatsache, dass hier gerne
       Lastwagen und Blaulichtfahrzeuge vorbeibrettern.
       
       Die Analyse des Fußwegexperten: „Das ist eine der verrücktesten Stellen der
       Stadt.“ Stimpel fasst sich ein Herz und das Geländerrohr, um das glitschige
       Hindernis zu überklettern. Wenigstens haben seine Schuhe genügend Profil.
       „Für uns ist das nur ärgerlich“, sagt Stimpel, „aber stellen Sie sich mal
       vor, Sie haben eine Behinderung. Barrierefreiheit? Davon kannste hier
       träumen.“
       
       Wie eine fußgängerfreundliche Straße auszusehen hat, hat FUSS e. V. genau
       definiert: Der Gehweg soll mindestens 2,50 Meter breit sein und möglichst
       nur von „Menschen auf zwei Beinen“ genutzt werden – eine Formulierung, die
       sich vor allem gegen Radlerinnen und E-Scooter-Fahrer richtet. So steht es
       im Forderungskatalog des Fachverbands. Eine weitere Idee: Wer andere
       behindert oder gefährdet, soll 60 Euro Bußgeld bezahlen, genau wie beim
       Schwarzfahren.
       
       Dringen die Aktivistinnen und Aktivisten mit solchen Forderungen durch?
       „Nun“, sagt Stimpel, „immerhin kommt das Wort Fußverkehr im
       Koalitionsvertrag zum ersten Mal vor.“ Auf Seite 53, im Kapitel
       „Radverkehr“, steht der ersehnte Satz: „Den Fußverkehr werden wir
       strukturell unterstützen und mit einer nationalen Strategie unterlegen.“
       Was das nun genau bedeutet – zumal ja nun auch bald eine neue Regierung am
       Ruder sein wird, der die Grünen nicht mehr angehören werden?Unklar. Doch
       Stimpel ist zuversichtlich: „So fing es mit dem Radverkehr schließlich auch
       an.“ Aus einem Satz im Koalitionsvertrag würde ein Kapitel, vielleicht
       Realpolitik.
       
       Überhaupt, die Radler. Zu ihnen hat Stimpel eine geteilte Meinung. Klar
       seien Zweiräder umweltfreundlicher als Autos. „Aber ich erlebe sie oft als
       aggressive, verdrängende Verkehrsteilnehmer“, sagt Stimpel. Im VCD, dem
       ökologisch orientierten Verkehrsklub, ist er ebenfalls Mitglied, wenngleich
       dieser für seinen Geschmack zu wenig an Menschen auf zwei Beinen denkt. Er
       seufzt. „Das Fahrrad und ich, das ist wie eine enttäuschte Liebe.“
       
       Der VCD selbst gibt sich milder: Auf Nachfrage erklärt eine Sprecherin,
       dass man gut mit FUSS e. V. zusammenarbeite. Das Anliegen des
       Fußgängervereins stelle „einen sehr wichtigen Aspekt für die Verkehrswende
       dar“. Zudem gebe es viele Menschen, die in beiden Vereinen Mitglied seien.
       
       Auf der anderen Seite der Spree verengt sich der Bürgersteig erneut. Links
       ein Stromkasten, rechts ein Restaurant, das draußen Tische und Stühle
       aufgestellt hat. „Wenn jetzt noch ein Lieferwagen auf dem Gehweg parkt, ist
       alles verstopft“, schimpft Stimpel, der nicht nur asphalterprobte Füße,
       sondern offenbar auch hellseherische Fähigkeiten besitzt: Einige Meter
       weiter, auf der Tucholskystraße, steht tatsächlich ein Kastenwagen vor
       einer Hauseinfahrt. Jetzt platzt Stimpel der Kragen: „Hier kommt niemand
       mehr durch“, herrscht er den Fahrer an. „Fahren Sie mal einen Meter
       zurück!“ Der verdutzte Fahrer tut, wie ihm geheißen, Punktsieg für den
       Fußverkehr.
       
       Bezirksstadträtin Neumann kann den Frust nachvollziehen. Sie klingt sogar
       selbst ein wenig frustriert, wenngleich deutlich dosierter als Stimpel:
       „Viele Auto-, aber auch Radfahrer nehmen die Straßenverkehrsordnung nur als
       Empfehlung wahr“, glaubt sie. „Wenn man eine Person, die im Rollstuhl
       sitzt, zwingt, auf die Fahrbahn auszuweichen, ist das nicht nur ärgerlich,
       sondern eine Gefahr.“
       
       Umso wichtiger ist ihr die Botschaft, dass etwas dagegen getan wird. „Die
       Bußgelder sind oft zu niedrig, um abzuschrecken. Deshalb setzen wir in
       Berlin-Mitte verstärkt aufs Abschleppen.“ Und tatsächlich: Laut amtlicher
       Statistik wurden 2021 rund 4.000 Autos abgeschleppt. Ein Jahr später kam
       der Bezirk bereits auf knapp 6.000 „Umsetzungen“, wie das Abschleppen im
       Amtsdeutsch heißt.
       
       Doch wieso sind solche Maßnahmen überhaupt nötig? Woher kommt es, das
       Rowdytum im Straßenverkehr? So ganz scheint sich die Bezirksstadträtin da
       auch nicht sicher zu sein. „Ich nehme wahr, dass das Verkehrsverhalten
       vieler leider von Rücksichtslosigkeit gegenüber den schwächeren
       Verkehrsteilnehmenden geprägt ist“, sagt sie. „Wir brauchen hier einen
       Mentalitätswechsel: weg vom Recht des Stärkeren hin zu gegenseitigem
       Verständnis und Rücksichtnahme.“
       
       Auch Roland Stimpel hat kein Problem damit, auf Konfrontationskurs zu
       gehen. Wenn im Bundestag eine Anhörung zum Straßenverkehrsgesetz ansteht,
       trägt er sachlich seine Argumente vor. Viele Statistiken hat er im Kopf,
       von den jährlich getöteten Fußgängern im Bundesgebiet (es sind über 400)
       bis hin zum Anteil der Senioren daran (etwa die Hälfte). Aber er ist auch
       ein Mann der Straße. Ob Mahnwachen für getötete Fußgänger, Demonstrationen
       oder Diskussionen mit Verkehrssündern – alles schon gehabt. Ein Auto
       besitzt er nicht, dafür zwei Fahrräder. Auf seinem Handy hat er drei
       Carsharing-Apps installiert.
       
       Geboren wurde Stimpel in Göttingen, fürs Studium der Stadtplanung kam er
       nach Berlin. Seine „Karriere“ als Aktivist begann, als er sich in den
       1980er Jahren gegen die geplante Westtangente engagierte. „Wenn wir keinen
       Erfolg gehabt hätten, gäbe es heute eine sechsspurige Autobahn am
       Reichstag“, sagt Stimpel. „Wir warten heute noch auf das Dankesschreiben,
       weil wir das tolle Bauland freigehalten haben.“ Es ist einer der wenigen
       Augenblicke, in denen er nicht komplett ernst schaut.
       
       Hat sich die Lage der Fußgängerinnen und Fußgänger verbessert, seit die
       Grünen in der Regierung sind? Oder setzt FDP-Verkehrsminister Volker
       Wissing immer noch hauptsächlich aufs Auto? Noch sei das schwer zu sagen,
       meint Stimpel. Die positivsten Entwicklungen spüre man vor allem auf
       lokaler Ebene. Zum Beispiel in Leipzig. „Dort gibt es mit Friedemann Goerl
       einen Fußverkehrsbeauftragten, der zufällig auch Mitglied bei uns ist.“
       Wieder dieses verschmitzte Lachen. Natürlich hat ihn Stimpel auch schon
       interviewt; das Gespräch kann man [2][auf der Vereinswebsite nachlesen].
       
       Bedauerlich findet Stimpel es trotzdem, dass er überhaupt laut werden muss.
       Mehr Zebrastreifen, sichere Übergänge, konsequentere Sanktionen für
       Falschparker – selbst solche Basics sind im Autoland Deutschland vielerorts
       nicht zu machen. Wieder kommt er auf Leipzig als Vorbild zu sprechen: „Der
       dortige Oberbürgermeister ist der einzige in Deutschland, der jedes Jahr
       eine Begehung durch die Stadt mitmacht.“ Laut FUSS e. V. ist die Lage im
       europäischen Ausland oft deutlich besser, vor allem in Paris. Das sei die
       „Hauptstadt des Gehens“, schwärmt Stimpel. „Alles ist sehr kleinteilig und
       nah beieinander, die Ampelphasen sind kurz, und man kommt zu Fuß gut
       zurecht.“
       
       Auf unserem Spaziergang durch Berlin hingegen endet die Freude am
       Zu-Fuß-Gehen an der nächsten Straßenecke; ein Falschparker steht mitten im
       Weg. Stimpel ärgert sich, dass er seine Aufkleber mit dem Slogan „Scheiße
       geparkt“ nicht dabeihat. „Wir kleben uns nicht auf der Straße fest“, sagt
       er, „aber wir kleben unsere Botschaften.“ Ist das nicht illegal?
       „Sachbeschädigung liegt nur dann vor, wenn sich der Kleber nicht ablösen
       lässt“, erklärt Stimpel. Der Bürgeraktivist klingt nun wie ein Beamter.
       
       Doch er will nicht alles schlechtreden. Zwischen all den E-Scootern,
       Mamataxis und quer stehenden Verkehrszeichen identifiziert der
       Oberfußgänger durchaus Fortschritte: An der Ecke
       Tucholskystraße/Auguststraße wurden Autoparkplätze zu Fahrradstellflächen
       umgewandelt. Dahinter hat ein Restaurant seine Außengastronomie vom Gehweg
       auf die Fahrbahn verlagert. „Kleine ermutigende Anfänge“, nennt es Stimpel
       gnädig.
       
       Nach den ermutigenden Anfängen gefragt, verweist Bezirksstadträtin Neumann
       auf die Fortschritte, die ihre Behörde bereits habe erzielen können:
       regelmäßige Patrouillen des Ordnungsamts, Verbotszonen sowie klar geregelte
       Abstellflächen für E-Scooter. 2022 wurden an 50 Kreuzungen Parkplätze
       gestrichen und in Fahrradstellplätze umgewandelt; dieses Jahr sollen 100
       weitere folgen. Im Dezember 2022 überreichte ihr Roland Stimpel, verkleidet
       als Weihnachtsmann, ein Dankeschön für das Kreuzungsprojekt. Almut Neumann
       hat die Szene bei Instagram hochgeladen; Stimpel trägt ein Gedicht vor:
       „Für deine schicken Fahrradbügel / Gibt’s das Gegenteil von Prügel / Alle
       Kinder haben’s gern / Wenn Zweiräder vom Gehweg fern“.
       
       Aber nun, nur hundert Meter weiter, entdeckt der Aktivist erneut etwas an
       diesem Morgen, das sein Blut in Wallung versetzt: ein Werbeschild,
       platziert mitten auf dem Gehweg. Stimpel fackelt nicht lange und stellt das
       Schild vor den Eingang des dazugehörigen Geschäfts. Als ein verwunderter
       Mitarbeiter hervoreilt, herrscht Stimpel ihn an: „Haben Sie eine
       Sondernutzungsgenehmigung? Wenn nicht, haben Sie gleich ’ne Anzeige am
       Hals!“
       
       Der belesene Fußgängeraktivist wirkt nun seltsam verbissen, wie eine
       Ein-Mann-Armee, bewaffnet mit Gesetzestexten und bösen Sprüchen. Auch die
       Website des Vereins hat diesen Duktus inne. Da ist vom Wert des Flanierens
       die Rede, vom Gehen als Selbstzweck, von Entschleunigung und Gesundheit.
       Aber wehe, wenn ein Flaneur diesem Ideal nicht entspricht. „Fußgänger mit
       Smartphone sind oft lächerlich, manchmal lästig, aber auf dem Gehweg kaum
       je gefährlich“, heißt es in einem Kapitel. Dem Satz folgt die Forderung,
       dass solche Delikte nur bei Fahrern verfolgt werden sollten – ein
       nachvollziehbarer Gedanke, aber warum muss er so selbstgefällig und
       durchaus beleidigend daherkommen?
       
       Die Frage, ob es sich bei Stimpels Verein vielleicht doch um eine Truppe
       von Wutgängern handelt, verneint er, nun wieder ganz ruhig. Man dürfe nicht
       nur das Negative sehen. „Sonst hat man keine Freude mehr am
       Spazierengehen.“ Er erzählt von Hardcoreaktivisten, die sich bei FUSS e. V.
       einbringen wollten. „Die waren ganz schnell wieder weg, weil wir ihnen
       nicht radikal genug sind. Die hätten am liebsten eine Sitzblockade auf dem
       Radweg veranstaltet.
       
       Solche Extreme sind nichts für ihn. Er diskutiert, er demonstriert, aber er
       weiß auch, wann Schluss ist. Lieber schreibt er etwaigen Frust nieder. In
       seinem 2021 erschienenen Buch „Wer langsam macht, kommt eher an“ teilt er
       mehrfach gegen seine enttäuschte Liebe, das Fahrrad, aus. „Die
       Heilserwartung, die selbst ernannte Avantgardisten vor Jahrzehnten mit dem
       Auto verbanden, ist inzwischen aufs Fahrrad übergegangen“, schreibt er da.
       
       Doch auch in vermeintlichen Radlerparadiesen sei nicht alles perfekt.
       „Amsterdam wie Kopenhagen sind kleiner und kompakter als Berlin, also
       eigentlich gehfreundlicher“, heißt es in dem Buch. Aber in beiden Städten
       werde weniger gelaufen. „Und das, obwohl Berlin seine Bürgersteige seit
       Jahrzehnten verschlampen lässt, während Amsterdam und Kopenhagen den
       Radverkehr päppeln.“
       
       Nur das Auto bekommt noch mehr sein Fett weg. Wobei Stimpel nicht bloß
       herumpöbelt, sondern genau analysiert, immer untermauert von Zahlen und
       Fakten, da ist er Journalist geblieben. Besonders spannend liest sich das
       Kapitel über das, was er den „deutschen Tempo-Kult“ nennt. Liegt es nur an
       der starken Autoindustrie, oder geht das rastlose Rasen bereits auf das
       Dritte Reich zurück? „Wie das Waffenbesitzen in den USA hat sich das
       Schnellfahren auf der Autobahn längst von seinem historischen Sinn gelöst
       und spukt nur noch als diffuser Freiheitsmythos herum“, schreibt Stimpel.
       
       Am Ende des Berliner Spaziergangs setzt er sich auf eine Bank und lässt den
       Ausflug Revue passieren. Nur etwas mehr als einen Kilometer sind
       zurückgelegt, per pedes, wie sich das für passionierte Flaneure gehört.
       Trotz aller Widrigkeiten ist das Ziel unbeschadet erreicht. „Aber wir haben
       auch keine Behinderung“, betont Stimpel und zieht einen Vergleich: „Wenn es
       auf der Fahrbahn so viele Blockaden gäbe wie auf dem Gehweg, würden sich
       die Autofahrer sofort beschweren. Als Fußgänger wurschtelt man sich aber
       einfach durch und nimmt die Probleme hin.“ Klar, dass Roland Stimpel, der
       Oberfußgänger, da nicht mitgehen kann.
       
       5 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Bilanz-nach-1-Jahr-Fussverkehrsgesetz/!5827445
 (DIR) [2] https://www.fuss-ev.de/buerger-und-staedte/staedte-fuss-beauftragter
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Steve Przybilla
       
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