# taz.de -- Die Wahrheit: Psychosoße
       
       > Tagebuch einer Kinogängerin: Schluss mit dem Streamen zu Hause! Hinein
       > ins gute, alte Filmtheater! Mit seinem leider nicht so guten Publikum.
       
       Mitten im heimischen Filmstreaming fällt einem gewöhnlich ein, dass die
       Waschmaschine ausgeräumt werden muss und Mails nach Aufmerksamkeit greinen,
       lauter Gründe, weshalb man das gemütliche Zuhause am besten gegen einen
       klassischen Kinosaal austauscht. Allerdings ist man dort anderen Störfeuern
       in Gestalt unberechenbarer Zuschauer ausgeliefert, die sich nach Filmbeginn
       nicht auf einen der massenweise freien Plätze, sondern auf den benachbarten
       Sitz und den darauf befindlichen Rucksack mit seinem fragilen Inhalt fallen
       lassen wollen.
       
       Blöderweise bin ich in Sachen Etikette von einer Gladbecker Großmutter
       geprägt, die die Überzeugung mancher Mitmenschen, es sei ihr naturgegebenes
       Recht, freie Sitze mit ihrem Geraffel zu blockieren, mit kalter
       Unerbittlichkeit beantwortete. „Da is ja getz sicher noch frei, ne?“ war
       ihr Killersatz selbst in halbleeren Bahnabteilen, es nützte dem Reisenden
       auch nichts, sich betont abwesend zu zeigen oder gar Schlaf zu heucheln.
       
       Ihren strengen Blick vor Augen strecke ich also seufzend meinen Arm nach
       dem gefährdeten Rucksack aus, als der adipöse Brocken neben mir schwer
       atmend seinen Hintern herabsenkt und nur mein panischer Warnschrei
       Armbruch, Notaufnahme, monatelange Reha und hohe Schmerzensgeldzahlung
       verhindert. Zum Dank packt er sein chinesisches Take-out aus, und der
       strenge Geruch nach zu Tode gebratenem Irgendwas in brauner Irgendwassoße
       besiegelt meine Niederlage.
       
       Auf der Leinwand verstrickt sich derweil eine bislang gefeierte Dirigentin
       in allerlei Ranküne und die Dinge entwickeln sich nicht zu ihren Gunsten.
       Ich weiß nicht, ob der vorangegangene Schrecken oder das durch den Saal
       wabernde teuflische Aroma mein Hirn vernebelt, in jedem Fall fühle ich mich
       plötzlich in der Wohnung der zusehends verstörten Diva wie zu Hause und
       folge ihr durch seltsam vertraute Räume, bis ich gegen eine unversehens im
       Weg stehende Wand renne, wo doch – ich könnte schwören – immer ein
       Durchgang war.
       
       In der nächsten Einstellung kommen hinter einer Fenstertür Balkonpflanzen
       ins Bild, die hab ich schon mal gegossen, garantiert, ich bin ganz sicher!
       Wo bin ich? Bin ich diese Frau? Immerhin wollte ich schon als Kind
       Dirigentin werden … Aber dann taucht da plötzlich diese junge Cellistin
       auf, trägt sie etwa die Bluse, die ich gerade anhabe? Natürlich, Irrtum
       ausgeschlossen! Wo ist mein Cello? Hat sich der China-Take-out-Typ
       draufgesetzt? Ich darf meinen Auftritt nicht verpassen! Will I see dead
       people?
       
       Draußen taumele ich in die Arme eines Straßenzeitungsverkäufers, er hält
       mir ein Heft hin, schauen Sie mal, Rätsel aus dem Filmbereich! Auf dem
       Heimweg komme ich am Haus befreundeter Nachbarn vorbei, mein Blick wandert
       zum Balkon. Diese Pflanzen? Das Lösungswort des ersten Rätsels lautet
       übrigens „Psycho“. Zeit für eine Runde Mahlers Fünfte. Wo zum Teufel ist
       mein Taktstock?!
       
       13 Apr 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pia Frankenberg
       
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