# taz.de -- Seniorenwohnen: Oldies und Goldies
       
       > Im Alter wollen Menschen in Gemeinschaft leben, versorgt sein oder im
       > Luxus schwelgen. Beim "Servicewohnen" geht das. Aber es gibt zu wenig
       > Angebote.
       
 (IMG) Bild: Seit 26 Jahren wohnt Christa Fuchs im Caritas-Seniorenheim in Berlin – und schätzt sich glücklich
       
       BERLIN taz | Es gibt Frühlingstage wie diesen, da verliert das hohe Alter
       seinen Schrecken. Die Sonne scheint, auf dem Balkon blüht es lila und gelb,
       unten im Garten sonnen sich die Mitbewohner:innen. „Ich fühle mich hier
       geborgen“, sagt Christa Fuchs, 91 Jahre alt, „man grüßt sich, man ist nicht
       so allein“.
       
       Fuchs, den rot-weißen Seidenschal sorgfältig umgebunden, sitzt in ihrer
       Einzimmerwohnung im fünften Stock des Seniorenzentrums Kardinal Bengsch in
       Berlin. Der Blick nach draußen reicht weit in den Himmel. „Es war ein
       Glücksfall“, sagt Fuchs, „dass ich das Haus hier vor vielen Jahren gefunden
       habe“.
       
       „Servicewohnen“, auch Betreutes Wohnen genannt, bietet das Seniorenzentrum
       der Caritas an. Dabei wohnt man zur Miete in einem barrierearmen Haus mit
       Aufzug und bucht diverse Angebote, auch Pflegeleistungen, dazu. Jüngere
       Außenstehende mögen den Gebäudekomplex aus den 80er Jahren mit den
       Bewohner:innen, von denen sich viele mit Stock, Rollator oder im Rollstuhl
       bewegen, vielleicht als „Altenghetto“ empfinden.
       
       Aber für die Bewohner:innen hier ist der Mietvertrag wie ein Sechser im
       Lotto. „Wir werden überrannt von Bewerberinnen“, erzählt Christine Nawrath,
       die agile Seniorenberaterin in dem Caritas-Haus. Man könne die
       Interessent:innen nicht mal auf eine Warteliste vertrösten, sondern
       müsse auswählen, so stark sei der Andrang.
       
       ## Ein boomender Markt
       
       Im Caritas-Haus, das direkt an der Spree liegt, kostet eine
       43-Quadratmeter-Wohnung mit Schlafnische und abgetrennter Küche warm rund
       690 Euro im Monat, inklusive einer Service-Pauschale von 105 Euro für die
       Angebote an Gruppenaktivitäten und Beratungssprechstunden, aber ohne
       Mahlzeiten. Damit gehört das Haus zu den günstigen im Bereich des
       Servicewohnens, und das in einer Metropole wie Berlin.
       
       Servicewohnen ist ein boomender Markt, rund 300.000 Plätze gebe es
       schätzungsweise in Deutschland, aber der Bedarf sei viel höher, so der
       „[1][Pflegeheim Rating Report 2022]“. Dazu zählen Einzimmerappartements in
       altersgerechten Seniorenwohnhäusern ebenso wie Dreizimmerwohnungen in
       hotelähnlichen Residenzen.
       
       „Wir raten den Leuten, sich genau anzuschauen, welche Leistungen sie für
       welche Kosten bekommen“, sagt David Kröll, Sprecher des
       [2][Patientenschutzbundes Biva], „manche Menschen haben falsche
       Vorstellungen davon, was betreutes Wohnen ist. Die denken, dass sie da
       gewissermaßen an die Hand genommen werden.“ Die Serviceleistungen schließen
       aber keine pflegerische Betreuung ein. Die Versorgung durch einen
       ambulanten Pflegedienst muss vielmehr im Bedarfsfall hinzu gebucht werden,
       dann werden gegebenenfalls auch Eigenanteile fällig.
       
       Fuchs wohnt schon seit 26 Jahren im Caritas-Seniorenwohnhaus. Davor lebte
       sie alleine, sie hat keine Kinder. „Ich war selbstständig,
       Bandagenmeisterin“, erzählt sie, „heute nennt man das
       Orthopädiemechanikerin. Meine Wohnung lag in einem Altbau, Kohleheizung,
       vier Treppen ohne Aufzug“. Im hohen Alter konnte sie da nicht bleiben, so
       kam sie her. Zweimal in der Woche hilft ihr jemand vom ambulanten
       Pflegedienst beim Duschen.
       
       ## Feingetunte Balance zwischen Nähe und Distanz
       
       Es gibt Gemeinschaft im Haus, aber man dürfe nicht zu viel erwarten. „Eine
       Nachbarin bringt mir jeden Tag die Post hoch“, berichtet Fuchs, „und eine
       Nachbarin hat mir Blumen abgeholt, die ich für eine Beerdigung bestellt
       habe“. Bei Gemeinschaftsfeiern kommt sie und hilft bei den Vorbereitungen,
       so gut sie kann. Sie geht am Rollator oder kurvt mit dem Elektrorollstuhl
       durch die Gänge.
       
       Hat sie in all den Jahren Freundinnen im Haus gefunden? Hm, sie würde es
       „Freundschaften“ nennen, sagt sie vorsichtig. Die feingetunte Balance
       zwischen Nähe und Distanz ist entscheidend in einem Haus mit hochbetagten
       Bewohner:innen, meist alleinstehenden Frauen, die alle ihre Eigenheiten
       haben.
       
       Im Haus haben 30 bis 40 Prozent der Bewohner:innen einen Pflegegrad,
       erzählt die Seniorenberaterin Nawrath. Wer einen Pflegegrad hat, kann
       Leistungen von der Pflegekasse etwa für ambulante Pflege beanspruchen, was
       sich aber auf die Wohnkosten nicht auswirkt.
       
       In der Regel kommen die Leute in jüngeren Jahren ohne Pflegegrad ins Haus
       und werden dann mit den Jahren gebrechlicher. Das Eintrittsalter liege bei
       Mitte 70, das Durchschnittsalter bei über 80 Jahren, „ein Mix ist gut“,
       sagt Nawrath. Jüngeren, noch etwas fitteren Menschen fällt es in der Regel
       leichter, an Gemeinschaftsaktivitäten teilzunehmen und Kontakte
       herzustellen.
       
       ## Seniorenyoga und Doppelkopf
       
       Daher belebt eine Altersmischung, will man nicht eine Einrichtung haben, in
       der zumeist hochgebrechliche Bewohner:innen isoliert auf ihren Zimmern
       sitzen und nur noch auf den nächsten Besuch des Pflegedienstes warten.
       Unter den vielen Bewerberinnen und Bewerbern könne man ein bisschen
       auswählen und darauf achten, dass man jene nimmt, die auch Interesse an
       Gemeinschaftsaktivitäten haben, schildert Nawrath.
       
       Betreuerinnen, Ehrenamtliche und Bewohner:innen bieten im Haus
       Seniorenyoga, Kraft- und Balancetraining, Seniorentänze, ein Erzählcafé,
       Technik-Sprechstunden, Bingo- und Doppelkopfrunden an. Im
       Gedenkgottesdienst hält man Andachten für Verstorbene. Zweimal wöchentlich
       promenieren die Spaziergruppen an der Spree entlang.
       
       Um bei den Angeboten noch mitmachen zu können, „sollte man nicht zu spät in
       das betreute Wohnen ziehen“, sagt Anita Seidel. Die 72-Jährige bewohnt ein
       Apartment im Erdgeschoss des Hauses. Seidel zog nach dem Tod ihres Mannes
       vor vier Jahren hier ein. Ihre Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in
       Berlin-Zehlendorf im dritten Stock war ihr zu groß geworden, es gab keinen
       Aufzug, sie wollte auch näher bei ihrer Tochter sein.
       
       „Ich habe meiner alten Wohnung keine Träne nachgeweint“, sagt Seidel. Hier
       im Seniorenzentrum spielt Seidel Bingo, sie geht bei der Gruppe der
       „Morgenspaziergänger“ mit und macht Yoga. Das Gefühl, zu einer Gemeinschaft
       zu gehören, hat auch sie. „Wir passen ein bisschen aufeinander auf“, sagt
       Seidel.
       
       ## Notrufknopf für 25 Euro
       
       Im Caritas-Wohnhaus führt die Leitung eine Art Sicherungsliste. Jede
       Bewohnerin und jeder Bewohner seien dort namentlich aufgeführt, erklärt
       Nawrath. Hat eine Mitarbeiterin im Haus die Bewohnerin an einem Tag
       gesehen, macht sie ein Kürzel auf der Liste. Wenn zehn Tage hintereinander
       kein Kürzel hinter dem Namen steht, schaut jemand nach. Für den Fall der
       Fälle „haben wir einen Generalschlüssel“, berichtet Nawrath.
       
       Dazu haben viele einen externen Hausnotruf dazu gebucht, für etwa 25 Euro
       Grundgebühr. Ein Funkgerät in der Wohnung ist mit einem Knopf verbunden,
       den man immer am Körper trägt. Wird der Notruf ausgelöst, meldet sich eine
       rund um die Uhr besetzte Zentrale. Man kann auch eine tägliche
       „Aktivitätstaste“ dazu buchen, eine Art Lebendigkeitsnachweis. Wird die
       Taste nicht täglich einmal gedrückt, schaut jemand vorbei.
       
       Dass eine Bewohnerin länger tot in der Wohnung liegt, ohne dass jemand was
       merkt, wäre der Gau für jedes Seniorenwohnhaus. „Man zieht auch zur
       Vorsorge hier ein“, erklärt Seidel. Wer weiß, was die Zukunft bringt.
       Einmal irrte eine Bewohner:in plötzlich im Garten umher und fand nicht
       mehr zurück in ihre Wohnung, erzählt Nawrath. Eine Dame saß einmal nackt im
       Garten. Manche klingeln irgendwo in einer anderen Wohnung, wenn sie
       verwirrt sind.
       
       Wenn das ein paar Mal passiert, „dann kann man helfen, die Menschen zu
       ihrer Wohnung zurückzubringen“, sagt Nawrath, „wenn das aber zum
       Dauerzustand wird, können die Bewohnerinnen nicht mehr alleine bleiben“.
       Dann reicht auch der ambulante Pflegedienst nicht mehr aus und die
       Bewohner:innen ziehen um, zum Beispiel in die stationäre Pflegestation
       im selben Gebäudekomplex.
       
       ## Zwischen Luxus und Gebrechlichkeit
       
       Das Seniorenzentrum verfügt insgesamt über 150 Wohnungen, 64 Plätze in der
       Pflegestation, eine Demenz-WG und eine Tagespflege-Einrichtung. Wer aus dem
       Servicewohnen kommt, wird bei der Platzvergabe im Pflegeheim vorrangig
       berücksichtigt. Wobei man aber auf Abgrenzung achtet: Der Eingang zum
       Servicewohnen mit den vielen Briefkästen und Namen an der Tür liegt separat
       vom Pflegeheim.
       
       Das ist die heikle Balance des Servicewohnens, die noch viel mehr in den
       teuren Altenresidenzen gefunden werden muss: Man will ein Haus der
       Lebensfreude, womöglich sogar des Luxus sein, und gleichzeitig muss das
       Haus Versorgung und Sicherheit bei Gebrechlichkeit bieten. Man kann den
       körperlichen und womöglich auch geistigen Abbau nicht verdrängen wie in
       einem Urlaubshotel.
       
       „Wer in eine Premium-Residenz einzieht, will sich damit auch Sicherheit
       kaufen“, sagt Thomas Neureuter, Gründer des Verbandes „Premium-Residenzen“
       und Herausgeber eines Kataloges, in dem 29 dieser Häuser im Stil von Vier-
       oder Fünf-Sterne-Hotels aufgeführt sind.
       
       Die Preise fangen für Einzimmer-Apartments mit Küche und Bad bei etwa 1.500
       bis 2.000 Euro monatlich an. Für eine 62 Quadratmeter große
       Zwei-Zimmer-Wohnung in der „Villa Sibilla“ im Ahrtal werden bei
       Einzelbelegung 4.000 Euro im Monat fällig, Pool-Benutzung und diverse
       Serviceleistungen sind inkludiert. Ambulante Pflege muss auch in diesen
       Häusern bei Bedarf dazu gebucht werden.
       
       ## Eigenes Amphitheater und Sternekoch
       
       Auf Werbefotos sieht man distinguierte grauhaarige Herren mit jüngeren,
       grauhaarigen Damen, die sich im Restaurant zuprosten und nicht so wirken,
       als hätten sie irgendeine Versorgung nötig. In der Realität zeigt sich
       dann, dass auch dort zumeist Hochaltrige leben. Die meisten Residenzen
       verfügen über Bereiche mit stationärer Pflege, in die man bei Bedarf
       umziehen kann.
       
       Das Durchschnittsalter liege auch hier um die 80 Jahre, 75 Prozent der
       Bewohner:innen seien Frauen, ein großer Teil davon alleinstehend, viele
       verwitwet, sagt Neureuter, „es ziehen aber auch zunehmend Paare ein“. Viele
       der Bewohner:innen seien „Menschen, denen im Alter das Haus zu groß
       geworden ist. Sie verkaufen dann die Immobilie und von dem Geld und den
       Altersbezügen kann man fünf, zehn Jahre in der Residenz leben.“
       
       Die Werbung soll das wohlhabende Bildungsbürgertum ansprechen, das merkt
       man auch an den Katalogtexten. Zum Tertianum in Berlin ist von der
       Brasserie mit „Sternekoch“ und „modern interpretierter französischer Küche“
       die Rede.
       
       Zum Kulturprogramm der Parkresidenz Alstertal in Hamburg mit eigenem
       „Amphitheater“ heißt es: „Neben dem Klassiker-Schauspiel kommt auch das
       Hamburger Volksstück zu seinem Recht, auf ein Konzert mit Kammermusik folgt
       ein Abend mit Jazz Standards. Das kulturelle Angebot findet seine
       Fortsetzung in einem umfangreichen Programm mit Konversations- und
       Gesprächskreisen, mit Vernissagen, Modenschauen, Ausflügen.“
       
       ## Altwerden im Seehotel
       
       Nur eine der Premium-Residenzen aus dem Katalog liegt in den neuen
       Bundesländern, in Zeuthen in der Nähe Berlins. Die Kaufkraft in der Region
       spielt eine große Rolle für die Investoren. Doch die Residenzen sind nicht
       nur etwas für die Oberschicht, auch die Mittelschicht hat Vermögen und
       Immobilien. Silke Hummer, 80, ist vor zwei Monaten in die Luisen-Residenz
       in Zeuthen gezogen und hier „sehr happy“, wie sie sagt.
       
       Hummer, früher Turnlehrerin an einer Oberschule, schlank und mit
       sportlichem Kurzhaarschnitt, hat ihren Mann drei Jahre lang gepflegt. Nach
       seinem Tode wurde ihr das Haus in Mahlow zu groß. Der Gedanke, dass ihre
       erwachsenen Kinder einmal für ihre Pflege zuständig sein sollten, war ihr
       nach der langen Pflegezeit ihres Mannes ein Graus. „Ich dachte mir: Ich
       brauche etwas, wo die Kinder entlastet sind“, erzählt Hummer, die in
       Wirklichkeit anders heißt aber nicht mit ihrem richtigen Namen in der
       Zeitung stehen will.
       
       Ihr Traum sei schon immer gewesen, direkt am Wasser zu leben. „Mein Mann
       und ich, wir sind gerne und viel gerudert“, erzählt die Brandenburgerin.
       Das Haus mit 76 Ein- bis Drei-Zimmer-Wohnungen direkt am See war ein
       früheres Seehotel, das der privaten „Land Union Gruppe“ gehört und nach dem
       Umbau seit Jahresbeginn als Senioren-Residenz vom Evangelischen
       Diakonissenhaus Berlin Teltow Lehnin betrieben wird.
       
       „Der Blick ist eine Wucht“, sagt Hummer und öffnet die Tür zu ihrer 47
       Quadratmeter großen Zwei-Zimmer-Wohnung mit dem kleinen Balkon. Man schaut
       weit über den Zeuthener See hinaus und fühlt sich wie in einer geräumigen
       Ferienwohnung. Einige Möbel aus ihrem alten Haus hat Hummer mitgebracht. Im
       Wohnzimmer steht ein Tisch mit kunstvoll geschnitzten Beinen und
       Marmorplatte, ihr Mann, ein Tischler, hatte ihn gebaut.
       
       ## Traum erfüllt dank Hausverkauf
       
       Die Zwei-Zimmer-Wohnung kostet 2.300 Euro warm im Monat, mit Nutzung des
       Wellnessbereichs mit Sauna, Pool, Fitnessgeräten und Sportangeboten. Essen
       im hauseigenen Restaurant ist nicht inkludiert. Ein externer ambulanter
       Pflegedienst kooperiert mit dem Haus.
       
       Wer zehn Jahre hier lebt, muss mehr als 250.000 Euro an Wohnkosten bezahlen
       und ist dafür die letzten zehn Jahre des Lebens gewissermaßen im
       Dauerurlaub. „Mir kam zugute, dass die Grundstückspreise bei Berlin so
       gestiegen sind“, so Hummer. Haus und Grund hat sie verkauft, die Kinder
       ausgezahlt. Mit der eigenen Rente, der Witwenrente ihres Mannes und ihrem
       Anteil aus dem Hausverkauf seien die Kosten „zu stemmen“, bis zum
       90.Geburtstag, sagt sie und lacht.
       
       Eine sehr lange Lebensdauer kann zum Problem werden, wenn knapp gerechnet
       wurde, zumal dann meist noch Eigenanteile für die Pflege dazukommen. Kröll
       vom Patientenschutzbund Biva kennt Fälle, wo das Vermögen nach mehrjährigem
       Aufenthalt in einer Residenz aufgebraucht war, „die Leute mussten dann
       ausziehen“, sagt er. Der Biva rät den Interessent:innen, vorsichtshalber
       mit einer langen Lebensdauer zu kalkulieren.
       
       Hummer fährt gern mit dem Rad durch die Natur in der Umgebung. Ein Armband
       mit blauem Notruf-Knopf hat sie immer um, „das gibt mir Sicherheit“, sagt
       sie. Auch bei Ausflügen könnte sie sich so im Notfall per Knopfdruck in der
       Residenz melden. Sie hofft, dass sich das Haus weiter füllt. Ihr Rat für
       den Umgang mit Mitbewohner:innen: „Man sollte nicht zuviel über Krankheiten
       reden“.
       
       ## Einsamkeit geht auch in der Luxusresidenz
       
       Niemand will in diesem Ambiente an Verfall, an Demenz und Tod denken, aber
       natürlich geht es auch hier ums alt werden, ums sehr alt werden in dem
       barrierefreien Haus mit den extrabreiten Fluren, stufen- und schwellenlosen
       Bereichen, bodengleichen Duschen und Rampen, wo man mit Rollator und
       Rollstuhl überall hinkommt.
       
       Die Idee des hotelähnlichen Wohnens im Alter, mit dem Luxus wie im Urlaub
       „beißt sich meinem Eindruck nach etwas mit der Realität der
       Pflegebedürftigkeit, der Gebrechlichkeit“, sagt Kröll. Natürlich könne es
       auch in den Residenzen vorkommen, dass hochgebrechliche, demente Senioren
       isoliert auf den Zimmern sitzen, mit wenig Kontakt zu den anderen
       Bewohner:innen.
       
       Derzeit wird in der Luisen-Residenz noch um neue Bewohner:innen
       geworben. „Wir gehen davon aus, dass die Residenz bis Frühsommer nächsten
       Jahres voll belegt ist“, sagt Residenzleiterin Nancy Reinke.
       
       Der Markt für das Servicewohnen im Premium-Bereich „ist begrenzt, die
       Zielgruppe ist klein. Hingegen fehlt es im Mittelfeld etwas an Angeboten“,
       erklärt Anja Sakwe Nakonji, Geschäftsführerin von Terranus, einer
       Beratungsfirma für Sozialimmobilien.
       
       ## Servicewohnen zieht Investoren an
       
       Nakonji erlebt, dass Investoren zunehmend Interesse am Servicewohnen haben,
       schließlich sei der Bereich des betreuten Wohnens nicht so reguliert wie
       die Pflegeheime, so die Beraterin. Beim Betrieb eines Pflegeheimes müssen
       Vorgaben für die Fachkräfte, die Personalstärke, die Immobilie eingehalten
       werden, die Pflegekassen und die Kommunen sind an den
       Finanzierungsverhandlungen beteiligt.
       
       All diese Regulierungen gibt es nicht für das Investment in
       Mietappartements mit Dienstleistung, eben dem Servicewohnen.
       
       Das Caritas-Seniorenzentrum in Berlin-Charlottenburg wurde vor mehr als 40
       Jahren mit der staatlichen Förderung für den sozialen Wohnungsbau
       errichtet, das hat die Mieten von Anfang an in Grenzen gehalten. „Es müsste
       mehr solcher Häuser geben“, sagt Nawrath, „die Nachfrage steigt“.
       
       2,8 Millionen Haushalte mit Senior:innen benötigen altersgerechte
       Wohnungen mit breiten Fluren, ohne Schwellen und mit Aufzug, aber nicht mal
       ein Viertel dieser Haushalte haben Wohnungen, in denen man mit Rollator und
       Rollstuhl klarkommt, hat [3][das Pestel-Institut in Hannover] unlängst
       festgestellt. Es ist auch der Mangel an altengerechten Immobilien, der die
       Senior:innen nach barrierearmen Alternativen suchen lässt, wie sie das
       Servicewohnen bietet.
       
       ## Kaum Förderungen
       
       Die staatlichen Zuschüsse der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für
       Wohnungseigentümer:innen, die ihre Wohnung seniorengerecht umbauen wollen,
       wurden ausgeschöpft und kürzlich eingestellt. Stattdessen gibt es nur noch
       Kredite für den Umbau mit einer langen Laufzeit von 30 Jahren.
       
       „Das ist eine Farce“, rügte Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts,
       „welcher 70-Jährige bindet sich noch so einen Kredit ans Bein, um sein
       eigenes Haus oder seine Eigentumswohnung altersgerecht umzubauen?“
       
       Günther fordert KfW-Zuschüsse für den Umbau von selbstgenutztem
       Wohneigentum und staatliche Förderung für den seniorengerechten Neubau von
       Mietwohnungen. Ohne eine zusätzliche staatliche Förderung seien neue
       seniorengerechte Wohnungen für die Älteren nicht finanzierbar, weder für
       die, die im Eigentum wohnen, noch für die, die zur Miete wohnen.
       
       Günther: „Ein Alterswohnprogramm für die Baby-Boomer ist politisch weit und
       breit nicht in Sicht“. Und nicht jeder kann oder will ein Haus verkaufen,
       um in eine Residenz zu ziehen.
       
       10 May 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.curacon.de/neuigkeiten/neuigkeit/pflegeheim-rating-report-2022
 (DIR) [2] https://www.biva.de/
 (DIR) [3] /Studie-zu-altersgerechtem-Wohnen/!5925977/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Dribbusch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Alten- und Pflegeheime
 (DIR) Altern
 (DIR) Senioren
 (DIR) GNS
 (DIR) Podcast „Vorgelesen“
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Wohnungsmangel
 (DIR) Babyboomer
 (DIR) Wohnungsmangel
 (DIR) Neubau
 (DIR) Altenpflege
 (DIR) Alten- und Pflegeheime
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Pflegedienste in Not: Vier Minuten für die Strümpfe
       
       Weil die Krankenkassen die gestiegenen Kosten nicht übernehmen, machen
       viele Pflegedienste Verluste. Auf dem Land haben sie es besonders schwer.
       
 (DIR) Belästigung bei der Wohnungssuche: Dickpic statt WG-Zimmer
       
       Männer nutzen die Wohnungsknappheit aus und belästigen online Frauen auf
       Zimmer-Suche. Das geht von Drohungen bis hin zu Masturbations-Videos.
       
 (DIR) Boomerinnen vs Millennials: Sind wir Alte besser dran?
       
       Warum es Babyboomer:innen besser geht als Millennials. Und warum
       nicht. Eine Antwort auf Adrian Lobes Artikel „In verschiedenen Welten“.
       
 (DIR) Wohnungsbau der Ampelkoalition: Es geht um Bezahlbarkeit
       
       Die Bundesrepublik hat ihre Neubauziele deutlich verfehlt. Aber die
       wirklich wichtige Frage ist: Wie viel davon sind Sozialwohnungen?
       
 (DIR) Bundesweiter Wohnungsneubau: Ampelkoalition verfehlt Ziel
       
       Noch immer wird zu wenig Wohnraum geschaffen in Deutschland. Die Zahl der
       neugebauten Wohnungen ist nur minimal gestiegen.
       
 (DIR) Altenpflege: Der Preis des langen Lebens
       
       Pflegebedürftigkeit im Alter kostet und darf nicht zu einem persönlichen
       Schicksal werden. Ein Soli-Zuschlag könnte ein Ausweg sein.
       
 (DIR) Studie zur Situation in Pflegeheimen: Es fehlt an Transparenz
       
       Sozialforscher fordern, dass die Heimaufsichtsbehörden ihre Berichte
       offen legen. Knackpunkt ist die Personalausstattung.
       
 (DIR) Häusliche Pflege in Deutschland: An Mamas Seite
       
       Weil die Mutter unserer Autorin immer mehr vergisst, benötigt sie Hilfe.
       Deshalb ist Marcela bei ihr, kocht, putzt, wechselt die Windel.