# taz.de -- Protest von Studierenden: Bayern besetzen
       
       > Im Freistaat Bayern ist der AStA seit rund 50 Jahren verboten. In München
       > kämpfen Studierende nun um eine Repolitisierung der Uni.
       
 (IMG) Bild: 1973 gehörten Studierendenproteste in Bayern zur Tagesordnung. Davon ist heute kaum etwas zu spüren
       
       MÜNCHEN taz | Es ist kurz nach 10 Uhr, als die Gruppe aus rund 20 Personen
       am Dienstagvormittag den Hörsaal S001 an der Münchner
       [1][Ludwig-Maximilians-Universität] (LMU) betritt. Während gerade noch eine
       Vorlesung läuft, werden Transparente an den Wänden aufgehängt und Flyer
       verteilt.
       
       Ein Banner über dem Eingang gibt bekannt: Der Hörsaal ist besetzt! Die
       Gruppe, laut eigenen Angaben größtenteils selbst Studierende der LMU, will
       auf die soziale Situation von Studierenden und auf die [2][Klimakrise]
       aufmerksam machen. Sie gehören zu der Kampagne End Fossil, die ab Anfang
       Mai zu [3][Besetzungen an Schulen und Universitäten] weltweit aufruft. In
       zahlreichen weiteren Städten fanden am Dienstag ähnliche Aktionen statt.
       
       Doch was die Aktion von Besetzungen, die an diesem Tag anderswo
       stattfinden, unterscheidet, ist die Forderung nach einer „Repolitisierung
       der Unis“. Die seien in Bayern nämlich „weitgehend entpolitisierte Orte“.
       Das liegt vor allem daran, dass es, anders als in anderen Bundesländern,
       keine verfasste Studierendenschaft gibt.
       
       ## „Den Sumpf trockenlegen“
       
       Tatsächlich wurde die verfasste Studierendenschaft, die anderswo als AStA
       (mancherorts StuRa) die Interessen von Studierenden vertritt, in Bayern
       1974 verboten. Der damalige Kultusminister der CSU, Hans Maier, veranlasste
       eine entsprechende Gesetzesänderung. Der Grund lautete, man wolle „den
       linken Sumpf an den Unis trockenlegen“. Die Gesetzesnovelle bedeutete das
       faktische Verbot jeglicher politischer Betätigung an der Uni: keine Räume
       mehr, keine Fördergelder und keine Möglichkeit, sich als organisierte
       Studierendenschaft politisch zu äußern.
       
       Seitdem werden Studierendenvertretungen in Bayern in der Regel durch den
       Konvent der Fachschaften bestimmt. Der Konvent ist anders als der AStA
       jedoch keine Körperschaft des öffentlichen Rechts. „Es besteht zwar ein
       gesetzlicher Vertretungsauftrag, das letzte Wort, wenn es etwa um die
       Vergabe von Räumen oder um finanzielle Fragen geht, liegt jedoch bei der
       jeweiligen Hochschulleitung“, beklagt Torsten Utz, Sprecher der
       Landesstudierendenvertretung Bayern.
       
       Was das konkret bedeutet, zeigt sich auch an der LMU: Das Referat gegen
       Faschismus (RegeFa), das sich als Anlaufpunkt für linke Studis an Bayerns
       größter Uni versteht, versuchte zuletzt erfolglos eine Veranstaltung zur
       sozialen Lage von Studierenden zu organisieren. Dafür Räume der LMU zu
       nutzen, ist quasi unmöglich. Allgemeinpolitische Veranstaltungen sind durch
       einen Beschluss des Präsidiums grundsätzlich untersagt.
       
       „Bei unseren Bemühungen, politische Bildungsarbeit an der Uni zu leisten,
       werden uns andauernd Steine in den Weg gelegt. Wenn wir versuchen, Anträge
       in den Fachschaftskonvent einzubringen, wird uns geraten, ‚bloß keine
       Grundsatzdiskussionen‘ zu starten“, sagt Line Kindler vom RegeFa der taz.
       Die Abhängigkeit des Konvents von der Hochschulleitung führe dazu, dass
       lieber gar nicht erst versucht werde, Äußerungs- und Handlungsspielräume
       der Studierendenschaft zu erweitern. Zu groß die Angst vor Repressalien.
       „Schon mehrfach wurde uns die Auflösung des Referats angedroht, sollten
       politische Äußerungen überhandnehmen.“
       
       ## Schwarz-rote Symbolik im Logo ist tabu
       
       Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Hochschulgruppe an der LMU wegen
       unliebsamer politischer Betätigung verboten wird. Als das
       Antifaschismusreferat, Vorgängerin des RegeFa, 2017 einen Vortrag zu
       rechten Burschenschaften an der LMU organisierte, wurde die Veranstaltung
       von eben jenen Burschenschaftern gestört. Es kam zu Tumulten im Hörsaal.
       Als Reaktion darauf wurde das Antifaschismusreferat durch die Unileitung
       aufgelöst.
       
       Als das RegeFa 2022 neu gegründet wurde, gab es strenge Vorgaben.
       „Antifaschismus“ dürfe im Titel nicht mehr vorkommen. Zu nah sei die
       Bezeichnung an „der“ Antifa. Auch Fahnen oder schwarz-rote Symbolik im Logo
       sind tabu – Anordnung des Konvents.
       
       Eine Kultur der politischen Organisierung an Unis, wie sie anderswo
       selbstverständlich ist, existiert in Bayern kaum. Das liegt nicht bloß an
       den veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen. Das AStA-Verbot ging mit
       verschiedenen Repressionsmaßnahmen gegen die Studentenbewegung der
       1970er-Jahre einher. Der Radikalenerlass, der Linke aus dem öffentlichen
       Dienst verbannen sollte, wurde in Bayern besonders rigoros durchgesetzt.
       Die verschärfte Repression gegen soziale Bewegungen fand im Freistaat auf
       unterschiedlichsten Ebenen statt. Besonders an Hochschulen führte sie zum
       Abreißen von Kontiunitäten in der politischen Organisierung. Die
       Studierendenvertretungen, die anstelle eines AStAs bestehen, verstehen sich
       nicht als widerständige Institutionen.
       
       Wozu das in der Praxis führt, zeigt sich, als eine Repräsentantin der
       Studierendenvertretung (StuVe) den besetzten Hörsaal an der LMU besucht:
       Statt einer Solidarisierung gibt es Ärger für die Besetzer*innen. Man
       habe vorher nicht mit der Unileitung kommuniziert. Mit einer Besetzung gehe
       man einen völlig falschen Weg. Die aufmüpfigen Student*innen reden
       beschwichtigend auf die StuVe-Vertreterin ein, bis diese abzieht.
       
       ## Die Mannschaftswägen sind schon vor Ort
       
       Das weitere Programm für die Besetzung wird vorgestellt. Verschiedene
       Vorträge sind geplant. In einer offenen Diskussionsrunde soll besprochen
       werden, wie die Uni demokratischer gestaltet werden kann. Als die gerade
       läuft, betritt Christoph Mülke, Vizepräsident der LMU, den Hörsaal und
       verkündet, dass eine Unterbrechung der Lehre durch die Aktion nicht
       geduldet werde. Unter Buhrufen fordert er die Protestierenden auf, den
       Hörsaal zu verlassen, ansonsten drohe eine Anzeige. Kurze Zeit später
       wiederholt er seine Androhung und setzt eine Frist von 15 Minuten bis zur
       Räumung.
       
       Die Polizei ist schon mit einigen Mannschaftswägen vor Ort. Mehrere Beamte
       besprechen sich in einem anderen Hörsaal mit der Hochschulleitung über das
       weitere Vorgehen. Auf Fragen, was denn mit der Lehre im zur Einsatzzentrale
       umfunktionierten Hörsaal nebenan sei, geht Mülke nicht ein.
       
       Bereits im vergangenen Herbst ließ das Präsidium der LMU eine
       Hörsaalbesetzung durch die Polizei räumen und Personalien aufnehmen. Auf
       Anzeigen wurde zwar verzichtet, im Nachhinein sei jedoch signalisiert
       worden, dass die Besetzer*innen bei weiteren Aktionen mit Konsequenzen
       zu rechnen hätten. Ein Strafverfahren oder gar eine Exmatrikulation wollen
       die meisten nicht riskieren. Nach einer kurzen Besprechung wird die Aktion
       beendet.
       
       Vor dem Hörsaalgebäude halten die Studierenden noch eine spontane
       Kundgebung ab. Während die gleichzeitig stattfindenden Besetzungen an
       vielen anderen Unis geduldet werden, rechtfertigt die LMU ihr
       kompromissloses Vorgehen mit Verweis auf die unterbrochene Lehre. Die
       Frage, wie die „Repolitisierung der Uni“ gelingen kann bleibt an diesem Tag
       offen. Klar ist nur, dass auf die bestehenden Studierendenvertretungen
       dabei kein Verlass ist.
       
       10 May 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Verfassungsschutz-prueft-LMU-Professor/!5923196
 (DIR) [2] /Kinder-in-der-Klimakrise/!5931258
 (DIR) [3] /Klimabewegung-besetzt-Hochschule/!5932466
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tim Döpke
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Bayern
 (DIR) Asta
 (DIR) München
 (DIR) Studierende
 (DIR) Besetzung
 (DIR) IG
 (DIR) Italien
 (DIR) Universität Hamburg
 (DIR) Islamismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Eis-Universität in Italien: Dolce Vita an der Uni
       
       Die Carpigiani Gelato University bei Bologna bildet seit 20 Jahren
       angehende Eismacher:innen aus. Ein Besuch auf dem süßesten Campus
       Italiens.
       
 (DIR) Unterbezahlte Hilfskräfte: Uni soll Tarif zahlen
       
       SPD und Grüne in Hamburg wollen bessere Arbeitsbedingungen für studentische
       Beschäftigte von ihrem Senat prüfen lassen.
       
 (DIR) Muslime rügen pauschale Islamkritik: Asta warnt vor Islamisten
       
       Die Studentenvertretung beklagt Angstmache durch radikale Muslime. Auch die
       Schura hatte gegen einen vom Asta veranstalteten Vortrag protestiert.