# taz.de -- 78. Jahrestag der Kapitulation: Kampf um Deutungshoheit
       
       > Auch in Berlin erinnern sich am 9. Mai Hunderte an den Sieg über
       > Hitler-Deutschland. Überschattet wird das Gedenken vom russischen
       > Angriffskrieg.
       
 (IMG) Bild: Pro-Ukrainische Aktivist:innen machen auf Russlands Verbrechen in der Ukraine aufmerksam
       
       taz | Der ukrainische Superman hält sich mit seiner Kritik wenig zurück:
       „Putin ist ein Arschloch“, ruft der in einem Superheldenkostüm mit
       ukrainischer Flagge gekleidete Mann den Besucher:innen der
       Gedenkveranstaltung am Dienstag am Sowjetischen Ehrenmal am Treptower Park
       zu. „Geh an die Front und lass dich erschießen“, antwortet ein älterer
       Mann, es folgt ein wüster Austausch an russischen Beleidigungen.
       
       Auch in diesem Jahr wird das Gedenken zum „Tag des Sieges“ vom russischen
       Angriffskrieg überschattet. Neben der russischen Community und zahlreichen
       offiziellen Delegationen aus Russland und anderen Staaten der ehemaligen
       Sowjetunion kamen auch in diesem Jahr ukrainische Aktivist:innen, um bei
       der zeremoniellen Kranzniederlegung auf dem sowjetischen Soldatenfriedhof
       gegen den Krieg in der Ukraine zu protestieren.
       
       „Dieser Sieg darf nicht von Putin instrumentalisiert werden“, sagt Alex
       Schumski vom pro-ukrainischen Verein Demokrati-Ja, der auf dem Vorfeld des
       Denkmals eine kleine Protestkundgebung abhält. Schumski kritisiert den
       [1][„Siegeswahn“], der die Feierlichkeiten mittlerweile umgibt. Früher habe
       man in Russland gesagt: „Feiere mit Tränen in den Augen“, erinnert sich
       Schumski, der selbst in Moskau studiert hat. Heute hieße es: „Wir können
       es noch mal.“
       
       Einen Tag später als in Deutschland wird am 9. Mai in vielen Länder des
       postsowjetischen Raums der Sieg über Nazi-Deutschland gefeiert. Neben
       [2][dem Gedenken im Treptower Park] gab es auch eine Parade am
       Brandenburger Tor. Der Großteil der mehreren hundert Besucher:innen, die am
       Dienstagmorgen zur traditionellen Kranzniederlegung gekommen sind, haben
       einen Bezug zur ehemaligen Sowjetunion: Russ:innen und Russlanddeutsche,
       Diplomat:innen der ehemaligen Sowjetrepubliken wie Kasachstan und
       Usbekistan, bärtige und in Roben gekleidete Patriarchen der orthodoxen
       Kirche.
       
       ## Instrumentalisiertes Gedenken
       
       Während in Russland der 9. Mai in den letzten Jahrzehnten vom Feiertag
       [3][in ein Fest des russischen Nationalismus umgewandelt wurde], wie
       Schumski kritisiert, bleibt im Treptower Park nach außen das Gedenken
       würdevoll. Familien kommen in mehreren Generationen, viele haben Bilder
       ihrer Groß- oder Urgroßväter mitgebracht, die für den Sieg der Sowjetunion
       und damit eben auch die Befreiung Deutschlands gekämpft haben oder gefallen
       sind. Auf dem Altar im Sockel der zwölf Meter hohen Soldatenstatue legen
       sie Blumen und Kränze ab.
       
       Dass der 9. Mai nicht als Propagandashow russischer Nationalisten
       missbraucht wird, liegt auch an dem Verbot russischer und sowjetischer
       Fahnen, die das Oberverwaltungsgericht im Vorfeld der Gedenktage erlassen
       hat. An den abgegitterten Eingängen setzt die Polizei das Verbot konsequent
       um: Russland-T-Shirts müssen überdeckt werden, St.-Georgs-Bänder
       abgenommen.
       
       Das orange-schwarz gestreifte St.-Georgs-Band, das in Russland traditionell
       am 9. Mai getragen wird, aber auch als Symbol für die Unterstützung der
       Politik Wladimir Putins gilt, fiel gleichfalls unter das Verbot. Eine
       Ausnahme machte die Polizei für die Mitglieder der russischen Delegation
       bei der Kranzniederlegung.
       
       Darüber, welchen Bezug der Sieg über Nazi-Deutschland mit dem aktuellen
       Krieg in der Ukraine hat, möchte sich gegenüber der Presse fast niemand
       äußern.
       
       ## Unterschwelliger Nationalismus
       
       Am Stand der Kundgebung von Demokrati-Ja wird die Position vieler
       Teilnehmer:innen dann doch deutlich: „Ihr führt seit 2014 Krieg gegen
       die Menschen im Donbass!“, ruft eine ältere Frau den ukrainischen
       Aktivist:innen zu und folgt damit der russischen Propagandaerzählung,
       der Zweck des Angriffskriegs wäre eigentlich nur der Schutz der
       ostukrainischen Bevölkerung.
       
       Ähnliche Erzählungen hört man auch beim Stand der kommunistischen DKP, die
       jedes Jahr an dem Gedenken teilnimmt. Russlands Angriffskrieg diene allein
       der Selbstverteidigung gegenüber der Nato, berichtet eine ältere Frau.
       
       Ein klares Zeichen gegen diesen unterschwelligen russischen Nationalismus
       setzt hingegen der Verein der Verfolgten des Naziregimes – Bund der
       Antifaschisten (VVN-BdA), die ebenfalls mit einer Kundgebung vor Ort sind.
       „Nie wieder Krieg“ steht auf Deutsch, Ukrainisch und Russisch auf einem
       Banner des Vereins. Es sei unmöglich, den heutigen und den damaligen Krieg
       voneinander zu trennen, sagt VVN-BdA-Mitglied Markus Tervooren.
       „Sowjetische Veteranen, die bei uns Reden gehalten haben, endeten immer mit
       der Formel: ‚Wir hoffen, dass es nie wieder Krieg gibt.‘ Heute schießen die
       Enkel aufeinander.“
       
       9 May 2023
       
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       unklar.