# taz.de -- Hamburger Obdachlosenprojekt „Die Mission“: Schlingensiefs Intervention am Ende
       
       > Das Projekt "Die Mission" konnte nach der Kündigung seiner Räume durch
       > die Stadt keine neuen Räumlichkeiten finden. Eine Lösung ist nicht in
       > Sicht.
       
 (IMG) Bild: Das Projekt „Passion Impossible“ im Jahr 1997: Christoph Schlingensief interviewt einen Obdachlosen
       
       HAMBURG taz | Ein einzigartiges Projekt in Hamburg wird nicht weiter
       aufrecht erhalten: Der „Mission“ wurden die Räume von dem städtischen
       Sozialunternehmen Fördern und Wohnen gekündigt. Hier kümmerten sich
       Obdachlose in eigener Regie um ihren Aufenthaltsraum, das Kochen und um
       Veranstaltungen. Der Vereinsvorsitzende der Mission, Matthias Brott, fühlt
       sich alleine gelassen.
       
       Die Geschichte der Mission beginnt 1997. Der verstorbene Künstler
       [1][Christoph Schlingensief] hat sie als „die Bahnhofsmission“ in Hamburg
       ins Leben gerufen. Im Anschluss an eine Aufführung im Deutschen
       Schauspielhaus zog er mit seinem Ensemble für sieben Tage in eine
       leerstehende Polizeiwache gegenüber dem Hauptbahnhof. Das Motto: „Passion
       Impossible – 7 Tage Notruf für Deutschland“. Ziel war es, Menschen aus
       allen gesellschaftlichen Schichten miteinander zu verbinden. Jede*r konnte
       mitmachen.
       
       Als Initiator für die Mission sei Schlingensief absolut wichtig gewesen,
       sagt der Vorsitzende der Mission, Matthias Brott. „Danach eher weniger,
       weil die Arbeit ja dann genau in die Richtung verlaufen ist, die er sich
       gedacht hat.“ Auch Nicht-Obdachlose [2][besuchten die Kulturaktionen der
       Mission]. „Wir haben uns von Anfang an so verstanden, dass wir nicht nur
       ausschließlich für Obdachlose da sind, sondern für jedermann!“, sagt Brott.
       Starke Bande und tiefe Freundschaften entwickelten sich.
       
       Seit 14 Jahren ist Brott nun Vereinsmitglied. „Jeder Obdachlose, der bei
       uns reingekommen ist, hat es wie ein Wohnzimmer empfunden: in dem man sich
       aufhalten und austauschen kann, in dem man nicht ausgegrenzt wird“, sagt
       er.
       
       Die Obdachlosen organisierten Kurse, meditierten und musizierten gemeinsam.
       Ihre Gäste hatten 64 Sitzplätze zum Essen zur Verfügung. Es sei auch mal
       eng geworden, erzählt Brott. Auch in der Coronazeit gaben sie pro Tag 80
       bis 120 Essen aus – die Obdachlosen kochten mit Zutaten der Tafel in der
       eigenen Küche.
       
       Im September 2022 hat die Mission die Räume in der Neustädter Straße 31b
       verlassen: Das Sozialunternehmen Fördern und Wohnen – über das die
       Sozialbehörde die Aufsicht hat – [3][kündigte den Mietvertrag.] Die
       Sozialbehörde begründete das der taz gegenüber mit Vorarbeiten für den
       Abriss der benachbarten Obdachlosen-Übernachtungsstelle Pik As, die von
       Fördern und Wohnen betrieben wird. Für Pik As hat die Stadt eine
       Ersatz–Unterkunft organisiert, nicht aber für die Mission.
       
       Brott enttäuscht das: „Für uns war es sehr merkwürdig, dass Fördern und
       Wohnen selber eine neue Tagesaufenthaltsstätte in der Spaldingstraße
       aufgemacht hat“, sagt er. Diese eröffnete Ende Januar dieses Jahres. Laut
       der Sozialbehörde gibt es keinen Zusammenhang zwischen der Kündigung und
       Eröffnung der Tagesstätte.
       
       Brott kritisiert die neue Einrichtung: „Obdachlose gehen da kaum hin, weil
       sie abgetastet werden von Sicherheitsleuten, bevor sie reingehen zum
       Essen.“ Das finde er menschenunwürdig. Die Sozialbehörde schreibt: „Es gibt
       wie in anderen niedrigschwelligen Einrichtungen von F&W zum Schutz aller
       Gäste einen sog. Soft-Check.“ Dieser sei zum Schutz aller Gäste notwendig –
       so werde es auch im Winternotprogramm gehandhabt.
       
       Die Kündigung ist Brott sehr nahe gegangen. Zu der Zeit seien alle sehr
       geschockt gewesen. Aber: Fördern und Wohnen habe dabei helfen wollen,
       Kontakt zum Bezirksamt Hamburg-Mitte herzustellen, um eine geeignete
       Immobilie zu finden. Die Sozialbehörde bestätigt, diese Hilfe angeboten zu
       haben. Brott erinnert sich, dass der Verein zuständige Mitarbeiter der
       Stadt im Sommer nicht habe erreichen können – Brott vermutet wegen der
       Urlaubszeit.
       
       Der Sozialbehörde sind diese Kontaktversuche nicht bekannt. Der Verein habe
       sich noch zwei Monate nach dem Verlassen der Räume nach neuen Unterkünften
       umgesehen. „Die Hoffnung, noch irgendwas zu finden, ist bei uns immer mehr
       geschrumpft“, sagt Brott. Irgendwann habe er sich nicht mehr dahinter
       geklemmt und versucht, etwas zu erreichen. Er habe alles versucht, damit
       der Verein bestehen bleibe. „Das hat leider nicht funktioniert“, bedauert
       er. Auf jeden Fall würde er Hilfe annehmen, wenn die Stadt diese anbieten
       würde.
       
       Warum gibt die Sozialbehörde dieses Projekt auf? Auf taz-Nachfrage
       antwortet die Behörde, dass sie es nicht weiterverfolgt habe, weil sich
       niemand von der Mission bei ihr gemeldet habe. Auf ihr Angebot sei niemand
       zurückgekommen. „Ich werde immer noch ständig darauf angesprochen, dass es
       schade ist, dass es so was in der Form nicht mehr gibt“, sagt Brott. Es
       steht schlecht um dieses Erbe von Christoph Schlingensief.
       
       30 May 2023
       
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