# taz.de -- Wahlen in der Türkei: Gespannt auf das Ergebnis
       
       > Es zeichnet sich eine hohe Wahlbeteiligung ab. Schon am Morgen bildeten
       > sich Schlangen vor Wahllokalen.
       
 (IMG) Bild: Alle Augen auf ihn: Kemal Kılıçdaroğlu am Sonntag vor seinem Wahllokal in Ankara
       
       ANKARA taz | „Papa, was ist die CHP?“, fragt ein junges Mädchen beim
       Verlassen eines Wahlbüros in der türkischen Hauptstadt Ankara am Sonntag.
       „CHP steht für Republikanische Volkspartei“, sagt der Mann. „Und was ist
       das andere?“, will das Mädchen wissen. Der Vater antwortet: „Das ist die
       AK-Partei, ein wertloses Ding.“ Der Mann nimmt die Tochter bei der Hand und
       die beiden spazieren fort.
       
       Fast 61 Millionen türkische Staatsbürger*innen waren am Sonntag
       aufgerufen, sowohl den Präsidenten als auch das Parlament des Landes neu zu
       wählen. Schon vor der Schließung der Wahllokale um 17 Uhr Ortszeit (16 Uhr
       MESZ) zeichnete sich eine hohe Wahlbeteiligung ab. Vor vielen Wahllokalen
       hatten sich schon am frühen Morgen Schlangen gebildet.
       
       Nun wird mit Spannung das Ergebnis der Abstimmungen erwartet. Der
       Oppositionsallianz, geführt vom Präsidentschaftskandidaten Kemal
       Kılıçdaroğlu von der kemalistischen CHP, werden echte Chancen zugerechnet,
       den amtierenden Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan von der AKP zu
       schlagen. Das Oppositionsbündnis besteht aus sechs sehr unterschiedlichen
       Parteien.
       
       Auch Erdoğan tritt als Kandidat eines Bündnisses an. Umfragen
       prognostizierten zuletzt ein knappes Rennen zwischen Erdoğan und
       Kılıçdaroğlu, mit einem leichten Vorsprung für den Herausforderer. Erreicht
       in der Präsidentschaftswahl keiner der beiden im ersten Wahlgang eine
       absolute Mehrheit, müssen sie in zwei Wochen zur Stichwahl antreten.
       
       Wie „wertlos“ die AKP nach den Wahlen tatsächlich sein wird, ist die Frage,
       die das ganze Land umtreibt und auch international für Aufsehen sorgt. Bei
       der Parlamentswahl sind die Religiös-Konservativem beileibe keine
       Nomenklatur: Umfrageinstitute sahen die AKP dort zuletzt mit Werten um die
       30 bis 35 Prozent als stärkste Kraft, gefolgt von der CHP mit 28 bis 33
       Prozent. Weil das Parlament seit dem [1][Verfassungsreferendum von 2017]
       stark geschwächt ist, richten sich die Blicke aber auf die
       Präsidentschaftswahl.
       
       Vor dem Wahllokal in Ankara ist das Stimmungsbild ziemlich eindeutig. Es
       liegt im Stadtbezirk Çankaya, wo die CHP traditionell überdurchschnittlich
       gut abschneidet. In der türkischen Hauptstadt scheint die Sonne und fast
       alle haben sich hier für den Wahlgang herausgeputzt. Die Stimmung ist
       festlich, die Menschen sind hoffnungsvoll, dass es für einen Sieg der
       Opposition reicht. Drei Frauen beglückwünschen sich und wiederholen nach
       getaner Stimmabgabe den Spruch, den der CHP-Bürgermeister von Istanbul,
       Ekrem Imamoğlu, unlängst zu einer geflügelte Phrase gemacht hat: Her şey
       güzel olacak – alles wird sehr schön werden.
       
       Die Wahlbüros hatten am Sonntag im gesamten Land von 8 bis um 17 Uhr
       geöffnet. An der Ahmet-Vefik-Paşa-Mittelschule in Ankara ist der Andrang am
       Morgen groß. Vor dem Gebäude bildet sich eine kleine Schlange. Eine Gruppe
       von Polizisten steht an den Eingängen und beobachtet das Geschehen. Alte
       Menschen mühen sich die Eingangsstufen hoch, eine hochbetagte Frau wird mit
       dem Auto vorgefahren und danach im Rollstuhl über einen Seiteneingang in
       der Schule zu den Wahlkabinen geschoben.
       
       ## Zum ersten Mal zur Wahl
       
       Doch es kommen auch viele junge Menschen: In der ganzen Türkei durften am
       Sonntag fast fünf Millionen junge Menschen das erste Mal bei einer Wahl
       ihre Stimme abgeben. CHP-Kandidat Kılıçdaroğlu hatte sich Ende April in
       einer millionenfach verbreiteten Ansprache an die Erstwähler*innen
       gewandt und für ein „besseres Leben in einem freien und reichen Land“
       geworben.
       
       Eine junge Frau, die ihren Namen nicht nennen will, kommt aus dem Wahlbüro
       an einer anderen Schule in Ankara, etwa zwei Kilometer entfernt von der
       Ahmet-Vefik-Paşa-Mittelschule. Auch sie hat zum ersten Mal gewählt und ist
       aufgeregt. „Es hat sich gut angefühlt abzustimmen“, sagt sie. Die
       Wahlzettel haben die Größe von mehr als zwei DIN-A4-Blättern und müssen
       gefaltet in Umschläge gestopft werden, bevor sie in den transparenten
       Wahlurnen landen.
       
       Die 23-jährige Deniz Özcan ist an der Kavaklıdere-Mittelschule zum ersten
       Mal Wahlhelferin. Sie sagt, der Andrang sei sehr groß, und sie stehe hier
       schon seit den frühen Morgenstunden. Sie freut sich auf das Auszählen der
       Stimmen und die Verkündung der Ergebnisse.
       
       Insgesamt waren in der Türkei am Sonntag fast 192.000 Wahlurnen
       aufgestellt. Das OSZE-Büro für demokratische Institutionen und
       Menschenrechte (ODIHR) war bereits seit dem 7. April mit 28
       Langzeit-Wahlbeobachter*innen im Land. Am Wahltag waren über die
       Organisation etwa 200 internationale Beobachter*innen im Einsatz.
       Hinzu kamen parlamentarische Beobachter*innen, ebenfalls über die
       Organisation für Internationale Zusammenarbeit und den Europarat.
       
       „Wir versuchen, überall im Land vertreten zu sein“, sagte der Vorsitzende
       der ODIHR-Mission, der norwegische Botschafter Jan Petersen, am Sonntag vor
       dem Wahlbüro an der Kavaklıdere-Mittelschule in Ankara. „Wir sind den
       ganzen Tag im Einsatz und verfolgen neben dem Wahlgang auch die
       Auszählungen und die Listenrechnungen.“ Zum Verlauf der Wahlen und zu
       möglichen Unstimmigkeiten wollte sich Petersen am Wahltag noch nicht
       äußern.
       
       Auch Kılıçdaroğlu ging am Sonntag in Ankara wählen. Nach seiner Stimmabgabe
       sagte er: „Ich spreche allen meinen Bürgerinnen und Bürgern, die zur Wahl
       gegangen sind und gewählt haben, meine tiefste Liebe und meinen Respekt
       aus. Wir alle haben die Demokratie vermisst. Von nun an werden Sie sehen,
       dass der Frühling in dieses Land kommen wird.“
       
       Erdoğan gab seine Stimme in Istanbul ab und sprach von einem Wahlgang „ohne
       Zwischenfälle und Probleme“. „Nach der Auszählung am Abend hoffen wir auf
       eine bessere Zukunft für unser Land, unsere Nation und die türkische
       Demokratie“, sagte der amtierende Präsident.
       
       14 May 2023
       
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 (DIR) Cem Güler
       
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