# taz.de -- Ökonom über Wirksamkeit von Sanktionen: „Der Westen musste reagieren“
       
       > Mit Sanktionen zu politischen Veränderungen? Wirtschaftswissenschaftler
       > Felbermayr hält das für naiv. Doch in Hinblick auf China seien sie
       > wichtig.
       
 (IMG) Bild: Ein Tanker in Novosibirsk, einer der größten Umschlagplätze für Ölprodukte in Russland
       
       taz: Herr Felbermayr, sind die westlichen Sanktionen gegen Russland
       gescheitert? 
       
       Gabriel Felbermayr: Nein, das sind sie nicht. Allerdings ist das
       eingetreten, was wir eigentlich hätten erwarten können: Dass sie politisch
       wenig ändern und auch ökonomisch keine verheerende Wirkung haben, solange
       die Koalition der sanktionierenden Länder so klein ist.
       
       [1][Russlands Wirtschaft wächst sogar]. Was bringen Sanktionen, wenn ein so
       großer Player wie China die Lücken füllt, die der Westen hinterlassen hat? 
       
       Es ist ja nicht nur China, sondern eine ganze Reihe von Ländern, die in die
       Bresche gesprungen sind. Dennoch sind die Kosten für die russische
       Volkswirtschaft hoch. Dass Russlands Wirtschaft leicht wächst, dürfte auch
       mit den hohen Aktivitäten zu tun haben, die notwendig sind, um den Krieg
       aufrechtzuerhalten. Die Kriegsindustrie boomt. Russlands Wirtschaft mag
       jetzt um ein halbes Prozent wachsen, ohne Krieg wäre sie aber
       wahrscheinlich um dreieinhalb Prozent gewachsen. Damit hat sie schon drei
       Prozentpunkte verloren. Dieser Wachstumsverlust ist in großen Teilen auf
       die Sanktionen des Westens zurückzuführen. Die Idee, dass der Westen eine
       dramatische Rezession auslösen kann, die ist aber in der Tat nicht
       aufgegangen.
       
       Also eine ganz klare Fehleinschätzung des Westens. 
       
       Ja. Wir haben unterschätzt, wie sehr sich Russland auf diese Sanktionen
       vorbereitet hat. Seit 2014 haben wir ein Sanktionsregime gegen Russland.
       Wir haben es dann im März 2022 deutlich verschärft. Russland hat aber schon
       sehr erfolgreich den ersten Sanktionsschub verarbeitet, indem es andere
       Lieferanten und Absatzmärkte gefunden und die Binnenwirtschaft neu
       ausgerichtet hat. Der Kreml wusste: Wenn man die Ukraine überfällt, wird
       der Westen mit weiteren Sanktionen reagieren. Der kurzfristige Schock für
       die russische Wirtschaft war kleiner, weil die Vorbereitungen schon liefen,
       während im Westen nur eine kleine Minderheit geglaubt hat, dass es zu einem
       Krieg kommen würde.
       
       Welche Seite dürfte dann mehr wirtschaftlichen Schaden davongetragen? 
       
       Das lässt sich noch nicht klar beantworten, weil die Zahlen noch nicht alle
       da sind. Wir haben in Russland weniger Schaden gesehen. Das trifft auf den
       Westen aber auch zu. Nach Kriegsausbruch vor einem Jahr hatten die meisten
       Wirtschaftsforschungsinstitute damit gerechnet, dass es 2022 für die
       deutsche Industrie stürmisch werden und es gar eine Rezession geben würde.
       Dazu ist es nicht gekommen. Bis zum Spätsommer haben wir weiter russisches
       Gas bezogen. Zudem ist russisches Erdöl weiter auf den Weltmarkt gelangt
       und hat entsprechend den Weltmarktpreis niedrig gehalten. Generell gilt:
       Wenn der Handel zwischen zwei Ländern unterbrochen wird, es typischerweise
       so, dass die ökonomischen Kosten ungefähr gleich verteilt sind. In Prozent
       der Wirtschaftsleistung bedeutet das aber einen viel höheren Schaden für
       Russlands, als für den Westen. Russland hat eben doch das sehr viel
       kleinere Pro-Kopf-Einkommen.
       
       China ist offenbar der große Profiteur. 
       
       Ja, das stimmt. Die USA sind es aber auch. Die Amerikaner profitieren vom
       Ausstieg Europas aus russischem Gas und vom Einstieg Europas in
       amerikanisches Flüssiggas. Auch Indien hat stark profitiert, weil es zu
       günstigen Preisen Ölmengen kaufen konnte, die sonst nach Europa gegangen
       wären. Die türkische Wirtschaft wiederum hat sich ähnlich als Umschlagplatz
       profitabel einrichten können, wie Armenien und Kasachstan. Die Liste der
       Profiteure geht deutlich über China hinaus.
       
       Wer profitiert am meisten? 
       
       [2][In absoluten Zahlen ist es ganz klar China], die chinesische Wirtschaft
       ist ja auch riesig. In Prozentzahlen sind es aber die zentralasiatischen
       Länder, weil sie kleine Volkswirtschaften sind und als Umschlagplätze für
       die Sanktionsumgehung besonders gute Voraussetzungen haben. China kann
       günstig Rohstoffe aus Russland kaufen. Das ist natürlich ein Vorteil. Aber
       China müsste ohnehin Rohstoffe importieren, es handelt sich also um kein
       Zusatzgeschäft. Für die Länder Zentralasiens sind das hingegen neue
       Geschäftsaktivitäten. Auf der Exportseite hat China auch deswegen keine
       Vorteile, weil ein Russland, das aufgrund der Sanktionen ärmer ist, weniger
       Möbel, Spielsachen und Schuhe aus China bezieht. Auf der Absatzseite
       profitiert China also nicht.
       
       Europa und die USA wollen im Zuge der zunehmenden Spannungen auch mit China
       weniger Handel betreiben. Kann mehr Handel mit Russland das für China
       ausgleichen? 
       
       Nein, denn dafür ist die russische Volkswirtschaft zu klein. Russland macht
       2,5 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung aus. Der Westen hingegen
       fast die Hälfte. Das flächenmäßig große Russland ist für chinesische Firmen
       auch logistisch mit seinen langen Verkehrswegen schwer zu erschließen.
       
       Wie kann der Westen die Umgehung der Sanktionen über Drittstaaten
       verhindern? 
       
       Es gäbe schon Möglichkeiten: sogenannte extraterritoriale Sanktionen gegen
       Länder, die die westlichen Sanktionen nicht mitmachen. Damit könnte man die
       Sanktionen wirksamer machen. Aber wenn auch Kasachen, Armenier und
       [3][Türken sanktioniert werden,] dann bedeutet das weitere Kosten auch für
       den Westen. Das ist also immer ein zweischneidiges Vorgehen.
       
       Sind Sanktionen generell richtig oder falsch? 
       
       Dass Sanktionen zu politischen Veränderungen in dem sanktionierten Land
       führen, halte ich für naiv. Putin dürfte die Kosten eines Angriffs auf die
       Ukraine und die Folgen einkalkuliert haben. Das heißt aber nicht, dass die
       Sanktionen deswegen falsch sind. Der Westen musste reagieren und
       Schlagkraft demonstrieren. Bei den Russlandsanktionen geht es nicht nur um
       Russland, sondern auch um ein geschlossenes Auftreten des Westens gegenüber
       China [4][in der Taiwan-Frage]. Die Führung in Peking schaut sehr genau
       darauf, ob es dem Westen gelingt durchzuhalten, auch wenn das Inflation und
       Lebensstandardverlust bedeutet. Dass die westliche Koalition zusammenhält,
       ist daher von hohem strategischem Wert.
       
       16 May 2023
       
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