# taz.de -- 30 Jahre Bündnis 90/Die Grünen: „Mehr Präsenz im Osten zeigen“
       
       > In Leipzig wird der Zusammenschluss von Bündnis 90 und den Grünen
       > gefeiert. Besonders im Osten aber steht die Partei vor großen
       > Herausforderungen.
       
 (IMG) Bild: Robert Habeck und Marianne Birthler bei der Festveranstaltung am Samstag in Leipzig
       
       LEIPZIG taz | „Veränderung ist positiv besetzt“, sagt Robert Habeck und
       fügt dann hinzu: „Aber in Wahrheit ist sie schwer.“ Habeck sitzt am
       Samstagabend gemeinsam mit der ehemaligen Stasi-Beauftragten Marianne
       Birthler und einer Moderatorin auf einer Bühne in Täubchenthal, einer
       Konzerthalle im Leipziger Westen – und es ist nicht ganz klar, worauf sich
       seine Äußerung bezieht. Meint der grüne Wirtschaftsminister das Engagement
       von Birthler und Co. in der Bürgerbewegung, die die DDR zum Einsturz
       brachte? Oder die Wärmewende und [1][das Gebäudeenergiegesetz], die derzeit
       nicht nur im politischen Berlin für viel Wirbel sorgen? Oder irgendwie
       beides?
       
       Die Grünen, oder besser gesagt: Bündnis 90/Die Grünen, haben an diesem
       Abend nach Leipzig geladen, um ihre Vereinigung zu feiern. 30 Jahren ist es
       her, dass aus Bündnis 90/Ost und den Grünen/West eine Partei wurde, am 14.
       Mai 1993 wurde dies mit einem gemeinsamen Parteitag in Leipzig besiegelt.
       „Das ist einzigartig in der deutschen Parteienlandschaft und darauf sind
       wir stolz“, sagt Bundesgeschäftsführerin Emily Büning zur Begrüßung.
       
       Beide Seiten hätten unterschiedliche Erfahrungen, einen anderen Habitus und
       auch nicht die gleiche Sprache gehabt. „Das verbindende Moment, das war und
       ist die Freiheit.“ Man wolle an diesem Abend zurück und auch nach vorne
       schauen, sagt Büning – und man wolle das auch kritisch tun.
       
       Dazu hat die Parteizentrale verschiedene Gesprächsrunden mit
       Parteiprominenz organisiert, neben Habeck und Birthler sind auch
       Außenministerin Annalena Baerbock, Ricarda Lang und Omid Nouripour, die
       beiden Parteivorsitzenden, Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt,
       Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Grünen-Mitbegründer Lukas Beckmann
       dabei. Beckmann hatte in den 1980er Jahre enge Kontakte zur DDR-Opposition.
       
       ## „Die Grünen mussten manche Kröte schlucken, wir auch“
       
       Dazwischen werden Videos eingespielt mit historischen Aufnahmen und
       Statements von Menschen, die vor 30 Jahren dabei waren. Es wird klar: Das
       Interesse der zahlenmäßig stark überlegenen Wessis an den Ossis war
       mitunter sehr begrenzt. „Ich hab zum ersten Mal das Gefühl, auf so einer
       Feier zu sein, die relevant ist und politisch gewollt“, sagt Steffi Lemke
       später am Abend. Die heutige Umweltministerin stammt aus dem Osten und war
       in den 2000er Jahren Bundesgeschäftsführerin. Sie habe „zig solcher Feiern“
       organisiert, es sei fast immer „ein Krampf“ gewesen. „Das Interesse an der
       ostdeutschen Geschichte war in den westdeutschen Landesverbänden
       reduziert.“
       
       „Die Grünen mussten manche Kröte schlucken, wir auch“, betont Marianne
       Birthler, als sie mit Habeck auf der Bühne sitzt. Birthler hat damals den
       32-seitigen Assoziationsvertrag zwischen Bündnis 90 und den Grünen mit
       ausgehandelt. Wie die West-Grünen miteinander gestritten hätten, sei nicht
       auszuhalten gewesen, sagt sie. Die Ostdeutschen seien pragmatischer und
       weniger ideologisch gewesen, etwa in der Außenpolitik.
       
       Natürlich wird Birthler nach Szenen gefragt, die ihr in Erinnerung
       geblieben sind, es geht hier schließlich auch um Gefühl. Birthler erzählt
       vom Abend der Bundestagswahl im Dezember 1990, lange vor der Fusion. Sie
       war damals Sprecherin von Bündnis 90, [2][Christian Ströbele] ihr
       Counterpart bei den Grünen, gemeinsam waren sie auf dem Weg zur
       Elefantenrunde im Fernsehstudio.
       
       Kurz davor aber habe man Ströbele abgefangen. Die Grünen waren unter fünf
       Prozent gerutscht, Ströbele wurde aus der Runde ausgeladen. „Ich wusste
       nicht, ob ich mich für uns freuen oder für sie mittrauern soll“, sagt
       Birthler. Die Grünen hatten sich mit dem Slogan „Alle reden von
       Deutschland, wir reden vom Wetter“ ins Abseits manövriert. Sie flogen aus
       dem Bundestag, Bündnis 90 zog mit acht Abgeordneten ein. Für die Wessis war
       das eine traumatische Erfahrung. Die den Wunsch verstärkte, bei der
       nächsten Wahl mit einer gesamtdeutschen Partei anzutreten. Birthler spricht
       von „politischer Notwendigkeit“.
       
       ## Die grüne Schwäche im Osten
       
       30 Jahre später ist die Lage für die Grünen in Ostdeutschland gar nicht
       gut. Zwar regieren die Grünen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen mit.
       Aber die Landesverbände sind klein, bei den Landtagswahlen bleiben sie
       anders als im Westen einstellig. In Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern
       stehen die Grünen laut Umfragen bei sechs Prozent, also gefährlich nah an
       der Fünfprozent-Hürde.
       
       Noch immer werden die Grünen, das Bündnis 90 rutscht ja meist weg, vor
       allem als westdeutsche Partei wahrgenommen. Die große Mehrheit in den
       ostdeutschen Ländern ist laut Umfragen gegen das Aus für fossil betriebene
       Heizungen und einen vorgezogenen Braunkohleausstieg, wie es die Grünen
       wollen. Ihre Schwäche im Osten liegt aber auch an der Bevölkerungsstruktur:
       Die Grünen sind vor allem in großen Städten und Unistandorten stark, die im
       Osten nicht so zahlreich sind. Und viele Kreative, Frauen, junge Leute sind
       weggezogen.
       
       „Mehr Präsenz im Osten zeigen“, ist eine der Botschaften, die die Basis
       ihrer Parteispitze in Leipzig bereits am Samstagnachmittag mit auf den Weg
       gibt. Das sagt Pegah Edalatian, stellvertretende Parteichefin, nach
       Workshops, zu denen die Presse nicht eingeladen war. „Ich will nicht nur,
       dass Wahlkampfurlaub hier in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gemacht
       wird“, fordert auch die sächsische Justizministerin Katja Meier mit Blick
       auf die Landtagswahlen im kommenden Jahr, als sie später am Abend mit Lang
       und Lemke auf der Bühne sitzt. „Ich will insgesamt eine Unterstützung vom
       Bündnis 90/Die Grünen für den Osten.“ Die sei auch mit Blick auf die
       Bundestagswahl 2025 wichtig: „Sicher wird die Bundestagswahl nicht gewonnen
       im Osten, aber sie kann verloren werden.“
       
       Und Robert Habeck? Der schafft es, seinen Auftritt so abzubinden, dass es
       sowohl auf die Bürgerbewegten in der DDR als auch auf die grünen
       Bundesminister*innen passt: „Was wir erinnern sollten, ist, dass
       Menschen einen Unterschied machen können.“
       
       7 May 2023
       
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