# taz.de -- Zum Kirchentag in Nürnberg: Die Kirche hat zu viele Privilegien
       
       > Über die Evangelische Kirche ist viel Gutes zu sagen. Doch bei Lichte
       > betrachtet gibt es für ihre Alltagsmacht keine Begründung mehr.
       
 (IMG) Bild: Nachtsegen bei einem vergangenen Evangelischen Kirchentag
       
       In dieser Woche findet in Nürnberg der [1][Evangelische Kirchentag] statt,
       und auch wer über keinen besonderen religiösen Draht zu protestantischen
       Glaubensauffassungen verfügt, wird mit gutem Herzen erkennen, dass dieses
       Laienfest mit über 100.000 überwiegend jungen Menschen auch eine politische
       Botschaft hat.
       
       „Jetzt ist die Zeit“ lautet das Motto der Tage in der fränkischen
       Hauptstadt. Von diesem Kirchentag sollen Signale ausgehen, auf dass die
       Welt, wenigstens unser Land ökologisch orientierter werden muss, dass es
       sozial gerechter zugehen soll und dass die Solidarität besonders mit der
       kriegerisch durch Russland überfallenen Ukraine nicht vergessen wird.
       
       Ich bin mit 14 aus der Evangelischen Kirche ausgetreten. Und doch wird mir
       diese Veranstaltung Freude bereiten – ich kenne Kirchentage seit 1979,
       damals wurde er auch in Nürnberg gegeben, von mir damals auch wahrgenommen
       als Ort mit Nazihinterlassenschaften (Reichsparteitagsgelände and all those
       voodoo landscapes …), der durch dieses Event mit einer antivölkischen
       Agenda überschrieben werden konnte. Kirchentage sind seit mehr als 50
       Jahren quasi Feste einer später Rot-Grün genannten politischen Agenda.
       
       Es ist einfach viel Gutes über diese Kirchen, die evangelischen, zu sagen.
       Ohne die christlichen Gemeinden und ihre Solidarität etwa mit den
       Flüchtlingsbewegungen seit vielen Jahrzehnten, besonders seit 2014, hätte
       es keine solche energische, respektvolle und tätige Unterstützung von
       schutzsuchenden Menschen in Deutschland gegeben.
       
       ## Trutzburgen vor den Nazimobs
       
       Ohne die christlichen Gemeinden stünde es gerade in ostdeutschen Gegenden
       um den Protest wider völkische Bewegungen wesentlich schlechter.
       Kirchengemeinden, etwa in Sachsen-Anhalt oder Brandenburg, sind
       [2][Trutzburgen vor den Nazimobs], die kaum (bis gar nicht) von der Polizei
       eingehegt werden. Die Kirchen dort? Eben: Schutzräume schlechthin.
       
       Was aber nichts daran ändert, dass die Mitgliederzahlen der Kirchen, der
       katholischen sowieso, aber auch der evangelischen, dies zur Aussage haben:
       Sie werden kleiner, die Amtskirchen, sie repräsentieren nicht mehr die
       Mehrheit in unserem Land.
       
       Sie sind jedoch als Institutionen in Staat und Gesellschaft mit Privilegien
       ausgerüstet. Und zwar mit solchen, die ihnen bei Lichte besehen kaum mehr
       zustehen: Sie haben exklusive Sendezeiten in den öffentlich-rechtlichen
       Medien, mit dem „Wort zum Sonntag“ beispielsweise. Sie sprechen,
       zugegebenermaßen gelegentlich inspirierend, morgens Kommentare im Radio.
       
       ## Finanziell aus allgemeinen Steuermitteln gepampert
       
       Sie verfügen außerdem über faktisch übermächtige Positionen im sozialen
       Bereich, über Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, auch Schulen und Kitas.
       Sie werden finanziell aus den allgemeinen Steuermitteln gepampert. Sie
       bestimmen sogar das Leben von Nicht- oder Andersgläubigen – dass Geschäfte
       sonntags geschlossen haben oder dass an bestimmten Feiertagen nur
       „gedeckte“ Musik gespielt werden darf.
       
       Das ist nicht mehr gerechtfertigt, auch die Protestanten können schon qua
       Mitgliederzahl nicht mehr diese weltliche Macht ausüben. Mögen muslimische
       Prediger, und zwar nicht von der Türkei bezahlte, oder jüdische
       Inspiratorinnen* auch Radio- und TV-Zeit haben. Möge wie in Frankreich und
       Großbritannien sonntags keine Kirchenruhe mehr herrschen, vielleicht wäre
       Zeit für Familie und Freunde zu bevorzugen, die ja gern mal wie in anderen
       Ländern [3][ausgeruht shoppen gehen wollen].
       
       Kirchen müssen von ihrer Alltagsmacht lassen, Jesus* wäre das nur recht.
       Gläubige können beten und feiern, was sie wollen – doch die Kirchen dürfen
       anderen nichts aufzwingen. Kein Amen, aber: So sei es!
       
       7 Jun 2023
       
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