# taz.de -- Hertha BSC Berlin: Schon immer krasser als Union
       
       > Union schafft es mit Mini-Etat in die Champions League. Hertha BSC
       > zittert derweil um die Zweite Liga - aber dafür fiebert die Stadt so
       > richtig mit.
       
 (IMG) Bild: Derzeit am Boden: Hertha BSC
       
       BERLIN taz | Die Tafel des 1. FC Union Berlin vor der Zufahrt zum Stadion
       an der Alten Försterei strahlt in diesen Tagen besonders hell. Während der
       Saison wird hier auf das nächste Heimspiel des Fußball-Bundesligisten
       hingewiesen. Nun stehen an der Stelle, an der normalerweise der Name der
       Gastmannschaft angebracht ist, nur zwei Wörter: „Union International“
       lautet die Botschaft des Klubs für die Sommerpause. Zwischen den beiden
       Wörtern prangt – nicht allzu groß, aber eben auch nicht zu übersehen – das
       Logo der Champions League.
       
       Ja, es stimmt wirklich: Union, gerade mal seit vier Jahren Erstligist und
       über einen der niedrigsten Etats der Liga verfügend, spielt in der
       kommenden Saison im größten Wettbewerb, den der Vereinsfußball zu bieten
       hat. [1][Köpenick ist in der ganz großen Fußballwelt angekommen.] Die
       Freudentränen mögen zwar getrocknet sein seit dem dramatischen
       Bundesligafinale vor anderthalb Wochen, aber gestaunt wird immer noch über
       Union International – das Wunder von der Wuhle.
       
       Derweil wird am anderen Ende der Stadt gerechnet. Der Abstieg ist verdaut.
       Es war ja auch nicht das erste Mal, dass Hertha BSC große Pläne hatte und
       großartig gescheitert ist. Doch während man sich in Köpenick schon auf die
       kommende Saison vorbereitet, steht in Charlottenburg noch nicht einmal
       fest, in welcher Liga Hertha demnächst spielen wird.
       
       ## Absturz in Regionalliga droht
       
       Der nächste wichtige Termin dazu steht am Mittwoch an. Dann muss der Klub
       nachweisen, dass er in der Lage ist, eine Mannschaft für die 2. Bundesliga
       zu finanzieren. Wenn das nicht klappt, droht der Absturz des überschuldeten
       Klubs in die Regionalliga, in die nur noch vierthöchste Liga.
       
       War’s das dann? Der Klub, der sich jahrzehntelang als einziger rechtmäßiger
       Fußballrepräsentant der Hauptstadt inszeniert hat, im fußballerischen
       Niemandsland? So recht mag sich das niemand vorstellen. Klub-Präsident Kay
       Bernstein sowieso nicht. „Wir sagen, wir kriegen die Lizenz und starten in
       der Zweiten Liga“, hat er am Wochenende dem Deutschlandfunk gesagt.
       
       Unioner wissen, wie es sich anfühlt, wenn der eigene Klub in der
       Viertklassigkeit zu verschwinden droht. Vor 20 Jahren kickten die
       Köpenicker, die bald gegen Real Madrid, Inter Mailand oder Manchester City
       spielen könnten, in der Oberliga des Nordostdeutschen Fußballverbands gegen
       Falkensee-Finkenkrug, Ludwigsfelde oder den Torgelower SV Greif.
       
       Saisonhöhepunkt war der 8:0-Erfolg gegen den BFC Dynamo, den nachhaltig
       abgestiegenen ehemaligen Serienmeister der DDR. Jenes Spiel, gut geschützt
       von Hunderten Polizeibeamten, die die verfeindeten Fan-Szenen voneinander
       zu trennen versuchen, war so etwas wie ein Reenactment der Ostberliner
       Fußballkultur, wie sie zu DDR-Zeiten existiert haben mag. Mit großem
       Fußball hatte das nichts zu tun. Von dem träumte man seinerzeit nicht mal
       bei Union. Tränen sind dennoch haufenweise geflossen im Südosten Berlins.
       
       ## Windiger Anlageberater
       
       Während Union durch die viertklassige Fußballprovinz tourte, hätte Hertha
       um ein Haar um die Teilnahme an der Champions League spielen dürfen. Als
       Fünfter beendete der Klub die Bundesligasaison 2005/06. Immerhin hatte man
       sich für den Europapokal qualifiziert. Am eigenen Anspruch gemessen war das
       das Mindeste, was einem Klub aus einer europäischen Hauptstadt zustand.
       Warum soll Berlin anders sein als Madrid oder London?
       
       Vielleicht war es diese Anspruchshaltung, die Berlin so anfällig gemacht
       hat für die Visionen eines windigen Anlageberaters wie Lars Windhorst. Man
       konnte einfach nicht Nein sagen, als der 2019 knapp die Hälfte der
       Klubanteile für 225 Millionen Euro gekauft und eine goldene Zukunft Herthas
       im Kreis der Besten Europas versprochen hat.
       
       In diesem Kreis hatte Hertha schon einmal gespielt. In der Saison 1999/2000
       war das, und es hat beinahe etwas Tragisches, dass das vielleicht größte
       Fußballspiel in der Geschichte des Vereins gegen den FC Barcelona im
       Novembernebel regelrecht verschwand. Wer im Stadion war, hat jedenfalls
       nicht viel gesehen von jenem 1:1 im Olympiastadion. Gut möglich, dass der
       FC Union in dieser zugigen Schüssel seine Champions-League-Heimspiele
       austragen wird. Ob die Alte Försterei mit seinen drei Stehplatztribünen vom
       europäischen Fußballverband Uefa für die Königsklasse zugelassen wird, ist
       noch nicht entschieden.
       
       Derweil bastelt Manager Oliver Ruhnert schon am Kader für die neue Saison.
       Diogo Leite, der portugiesische Innenverteidiger, der bisher auf Leihbasis
       bei Union gespielt hat, wurde für in Köpenick bis dato nie gezahlte 7,5
       Millionen Ablöse vom FC Porto losgeeist. Bei Union kann inzwischen mit
       anderen Summen gerechnet werden als früher. Allein die Qualifikation für
       die Champions League hat 15,64 Millionen Euro eingebracht. Mit jedem
       gewonnenen Punkt in der Königsklasse wandern Hunderttausende auf das
       Union-Konto. Zu den Prämien kommt die größere Aufmerksamkeit für den Klub,
       die in höheren Sponsoreneinnahmen münden wird. Dass Union die Konkurrenz in
       der eigenen Stadt abgehängt hat, wird sich dabei ebenfalls auszahlen.
       
       ## Union auch überschuldet
       
       Ein schönes Thema eigentlich und auch deshalb interessant, weil auch Union
       Berlin wahrlich nicht aus dem Vollen schöpfen kann. Vor der abgelaufenen
       Saison hat der Ligaverband DFL die finanziellen Kennzahlen der
       Bundesligisten veröffentlicht. Union Berlin hatte demnach mit dem Ende des
       Geschäftsjahres 2021 ein negatives Eigenkapital von knapp 30 Millionen Euro
       und gilt damit als eigentlich hoffnungslos überschuldet.
       
       Doch gesprochen wird in der Stadt vor allem über Hertha. Das mag den
       Unionern in diesem Fall ganz recht sein. Aber auch sonst tun sich die
       Köpenicker trotz aller sportlichen Wunder schwer, die Aufmerksamkeit der
       Stadtgesellschaft auf sich zu ziehen.
       
       Die Geschichten, die Hertha geliefert hat, waren einfach immer mindestens
       eine Spur krasser. Da war die Verpflichtung des irrlichternden
       Altbundestrainers Jürgen Klinsmann sowie das Installieren teurer
       Funktionsträger, deren einzige Qualifikation es oft war, einen besonders
       gutes oder gar freundschaftliches Verhältnis zum ebenfalls recht teuren
       Vorstandsboss Fredi Bobic zu haben.
       
       Und jetzt verfolgt die Stadt mit Hochspannung, ob es gelingen wird, die
       Zeichner von Anleihen im Wert von 40 Millionen Euro, die nun fällig werden,
       für zwei Jahre zu vertrösten, ob ein neuer Trikotsponsor via Facebook
       gefunden wird, ob die Banken bürgen, ob der neue Klubeigner, die
       Investmentfirma 777 Partners, der fast 80 Prozent des Klubs gehören,
       vielleicht noch einmal ein paar Scheine drauflegt.
       
       Nein, die Menschen in der Stadt, sie werden Hertha nicht vergessen,
       [2][auch wenn der Klub weiter abstürzen sollte.] Die sogenannte Alte Dame
       wird ein Hingucker bleiben, da kann Union noch so viele sportliche Erfolge
       erzielen. Entscheidend ist eben nicht immer aufm Platz.
       
       7 Jun 2023
       
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